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22.07.2013 Zivilrecht

OGH: Videoüberwachung (bloß) einer Dachfläche der Liegenschaft der Klägerin

Kann die Klägerin den Ausstieg auf das Dach ihres Hauses benutzen, erfolgte bereits damit ein Eingriff in die Geheimsphäre der Klägerin, unabhängig davon, ob sie sich tatsächlich jemals auf dem Dach aufgehalten hätte bzw dort aufhalten würde


Schlagworte: Datenschutzrecht ,Videoüberwachung einer Dachfläche, Unterlassungsanspruch, Achtung der Geheimsphäre
Gesetze:

§ 50a DSchG 2000, § 16 ABGB, Art 8 EMRK

GZ 6 Ob 38/13a [1], 04.07.2013

 

OGH: Eine Videoüberwachung ist in datenschutzrechtlicher Sicht zwar grundsätzlich nur dann relevant, wenn sie für die Überwachung und somit zur Kontrolle von Menschen eingesetzt wird. Systematische, verdeckte, identifizierende Videoüberwachung stellt aber grundsätzlich einen Eingriff in das geschützte Recht auf Achtung der Geheimsphäre dar. Die Videoaufzeichnung ist dabei identifizierend, wenn sie aufgrund eines oder mehrerer Merkmale letztlich einer bestimmten Person zugeordnet werden kann. Muss sich jemand ständig kontrolliert fühlen, wenn er sein Haus betritt oder verlässt oder sich in seinem Garten aufhält, so bewirken getroffene Maßnahmen (selbst wenn das Gerät nur eine Attrappe einer Videokamera sein sollte) eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Geheimsphäre des Betreffenden. Geheime Bildaufnahmen im Privatbereich, fortdauernde unerwünschte Überwachungen und Verfolgungen stellen eine Verletzung der Geheimsphäre dar. Nach der Entscheidung 6 Ob 256/12h kann bei Bildaufnahmen schon ausreichen, wenn sie vom Aufgenommenen als unangenehm empfunden werden und ihn an der freien Entfaltung seiner Persönlichkeit hindern. Ob diese Voraussetzungen im konkreten Fall vorliegen, ist nach den Gegebenheiten des Einzelfalls zu prüfen.

 

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen war die Klägerin von der Überwachung insoweit betroffen, als jeweils der Dachbereich ihres Hauses im Überwachungsbereich der Kamera war. Zwar ist das Dach nur über einen Dachausstieg begehbar; dieser wird von Personen benutzt, die auf dem Dach zu arbeiten haben. Es lässt sich auch weder den Feststellungen der Vorinstanzen noch dem Vorbringen der Klägerin entnehmen, dass sich die Klägerin jemals auf dem Dach aufgehalten hätte bzw dort aufhalten würde. Es steht jedoch fest, dass die Klägerin den Ausstieg auf das Dach benutzen „kann“. Die Auffassung der Vorinstanzen, dass bereits damit ein Eingriff in die Geheimsphäre der Klägerin erfolgte, ist dabei durchaus vertretbar; der von den Beklagten behauptete Überwachungszweck hätte ja auch erreicht werden können, ohne das Dach der Liegenschaft der Klägerin aufzunehmen. Die Klägerin musste hingegen für den Fall, dass sie doch das Dach besteigen hätte wollen, mit einer „Kontrolle“ iSd dargestellten Rsp rechnen.

 

Ob der Eingriff in absolut geschützte Rechte rechtswidrig ist, kann nur aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung beurteilt werden. Steht ein Eingriff in die Privatsphäre fest (hier: durch systematische, identifizierende Videoüberwachung), trifft den Verletzer die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass er in Verfolgung eines berechtigten Interesses handelte und dass die gesetzte Maßnahme ihrer Art nach zur Zweckerreichung geeignet war. Entspricht er dieser Behauptungs- und Beweislast, kann der Beeinträchtigte behaupten, dass die Maßnahme nicht das schonendste Mittel zur Zweckerreichung darstellt. Stellt sich dabei heraus, dass die Maßnahme nicht das schonendste Mittel war, erübrigt sich die Vornahme einer Interessenabwägung. Da der von den Beklagten behauptete Überwachungszweck auch erreicht hätte werden können, ohne das Dach der Liegenschaft der Klägerin aufzunehmen, haben die Vorinstanzen ohne Überschreitung ihres Beurteilungsspielraums ein rechtswidriges Verhalten der Beklagten angenommen.

 

Videoüberwachungen unterliegen überdies nach § 50c Abs 1 iVm § 18 Abs 2 DSG 2000 regelmäßig der Vorabkontrolle; sie dürfen also erst nach ihrer Prüfung durch die Datenschutzkommission aufgenommen werden. Eine derartige Genehmigung wurde nach den Feststellungen der Vorinstanzen nicht rechtzeitig eingeholt.

 

Allgemein setzt der Unterlassungsanspruch die Feststellung schon erfolgter Störungen oder doch zumindest die Gefahr künftiger Störungen voraus, denen mit vorbeugender Unterlassungsklage begegnet werden kann. Auch Unterlassungsansprüche nach § 32 Abs 2 DSG 2000 setzen voraus, dass der Kläger Betroffener (§ 4 Z 3 DSG) ist und somit seine Daten entgegen den Bestimmungen des DSchG 2000 verwendet worden sind. Auch hier ist somit die Gefahr bevorstehender widerrechtlicher Schädigung oder Wiederholungsgefahr Anspruchsvoraussetzung.