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18.11.2013 Zivilrecht

OGH: § 26a StVO – Bushaltestelle unmittelbar vor einem aufgrund der Linienführung notwendigen Linksabbiegemanöver (hier: ein Fahrstreifen; dabei Linksüberholmanöver des nachkommenden Motorradfahrers)

Da sich die Bestimmung auf den gesamten nachfolgenden Fahrzeugverkehr - egal in welchem Fahrstreifen - bezieht und ihr Zweck in der Erleichterung des öffentlichen Kraftfahrlinienverkehrs liegt, der Linienführungen umfasst, die unmittelbar nach einer Haltestelle am rechten Fahrbahnrand ein Linksabbiegemanöver notwendig machen, kann im Gegensatz zur Ansicht des Klägers ein iSd § 26a Abs 2 StVO „nachfolgender Fahrzeuglenker“ nicht darauf vertrauen, dass ein aus der Haltestelle abfahrender Omnibuslenker mit seinem Blinken lediglich seine Absicht, im der Haltestelle nächstgelegenen Fahrstreifen geradeaus weiter zu fahren, anzeigt; der Omnibuslenker ist iSd letzten Satzes des § 26a Abs 2 StVO gehalten, sich nach dem Ausfahren aus der Haltestelle, aber vor Beginn des - wenn auch unmittelbar folgenden - tatsächlichen Linksabbiegemanövers noch einmal davon zu vergewissern, dass andere Straßenbenützer dadurch nicht gefährdet werden; daher ist - auch - ein zusätzlicher Blick auf nachfolgende Fahrzeuglenker erforderlich


Schlagworte: Straßenverkehrsrecht, Schadenersatzrecht, Fahrzeuge im öffentlichen Dienst, Omnibus, Bushaltestelle, Linksabbiegemanöver, Gefährdung nachfolgender Straßenbenützer, Kontrollblick des Busfahrers
Gesetze:

§ 26a StVO, §§ 1295 ff ABGB, § 1304 ABGB

GZ 2 Ob 110/13k [1], 30.07.2013

 

OGH: Gem § 26a Abs 2 StVO ist den Omnibussen des Kraftfahrlinienverkehrs im Ortsgebiet das ungehinderte Abfahren von gekennzeichneten Haltestellen zu ermöglichen, sobald der Lenker eines solchen Fahrzeugs mit dem Fahrtrichtungsanzeiger die Absicht anzeigt, von der Haltestelle abzufahren. Zu diesem Zweck haben die Lenker nachkommender Fahrzeuge die Fahrgeschwindigkeit zu vermindern und, falls erforderlich, anzuhalten. Der Lenker des Kraftfahrliniendienstes darf die Absicht zum Abfahren erst anzeigen, wenn das Fahrzeug tatsächlich abfahrbereit ist, und beim Anfahren andere Straßenbenützer nicht gefährden.

 

Bei dieser Spezialvorschrift handelt es sich um keine Vorrangregelung iSd § 19 StVO, wohl aber um eine Vorschrift, die sowohl dem abfahrenden Omnibuslenker als auch den Lenkern nachkommender Fahrzeuge bestimmte Pflichten auferlegt. Der Zweck dieser Gesetzesbestimmungen liegt in der Erleichterung des öffentlichen Kraftfahrlinienverkehrs; allerdings soll der Omnibuslenker diese Erleichterung nicht verkehrsgefährdend durchsetzen können.

 

Eine Einschränkung der in dieser Gesetzesstelle auferlegten Pflichten auf solche Lenker, die beim Vorhandensein von zwei Fahrstreifen in ihrer Fahrtrichtung den rechten Fahrstreifen benützen, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Es sind zB auch Fälle möglich, in denen solche Fahrzeuge im Zuge des Abfahrens von einer Haltestelle direkt auf den linken Fahrstreifen gelenkt werden müssen, etwa dann, wenn der Omnibus unmittelbar im Zuge seiner Abfahrt zum Linksabbiegen eingeordnet werden muss. Der an die Lenker nachkommender Fahrzeuge in § 26a Abs 2 StVO gerichtete Gesetzesbefehl, ihre Fahrgeschwindigkeit zu vermindern und erforderlichenfalls anzuhalten, kann daher weder nach dem Wortlaut des Gesetzes noch nach ihrem Zweck auf die auf dem rechten Fahrstreifen nachkommenden Fahrzeuglenker beschränkt werden. Er richtet sich in gleicher Weise auch an die Lenker der auf dem linken anschließenden zweiten Fahrstreifen in der gleichen Fahrtrichtung nachkommenden Fahrzeuge.

 

Dies muss umso mehr auch dann gelten, wenn für die hinter dem Omnibus nachkommenden Fahrzeuge zwar nur ein Fahrstreifen in ihre Fahrtrichtung vorhanden ist, ein nachkommendes Fahrzeug aber in einem Überhol- oder Vorbeifahrmanöver einen Fahrstreifen des Gegenverkehrs benutzt. Auch damit wird im Verhältnis zu dem in der Haltestelle befindlichen Omnibus seine Eigenschaft als „nachkommendes Fahrzeug“ iSd zitierten Gesetzesstelle nicht beendet.

 

Da sich die Bestimmung auf den gesamten nachfolgenden Fahrzeugverkehr - egal in welchem Fahrstreifen - bezieht und ihr Zweck in der Erleichterung des öffentlichen Kraftfahrlinienverkehrs liegt, der - wie der vorliegende Fall zeigt - Linienführungen umfasst, die unmittelbar nach einer Haltestelle am rechten Fahrbahnrand ein Linksabbiegemanöver notwendig machen, kann im Gegensatz zur Ansicht des Klägers ein iSd § 26a Abs 2 StVO „nachfolgender Fahrzeuglenker“ nicht darauf vertrauen, dass ein aus der Haltestelle abfahrender Omnibuslenker mit seinem Blinken lediglich seine Absicht, im der Haltestelle nächstgelegenen Fahrstreifen geradeaus weiter zu fahren, anzeigt.

 

Da es dem Kläger nach den Feststellungen möglich war, den „Start“ des Beklagtenfahrzeugs wahrzunehmen und darauf zu reagieren, hätte er iSd § 26a Abs 2 StVO seine Geschwindigkeit vermindern müssen, um dem Omnibus das seiner Linienführung entsprechende Abfahren von der Haltestelle zu ermöglichen. Stattdessen hat der Kläger seine erhöhte Geschwindigkeit beibehalten und auch sein Fahrmanöver fortgesetzt, weshalb ihm zu Recht ein Verstoß gegen § 26a Abs 2 StVO angelastet wurde.

 

Zum Verhalten des Omnibuslenkers:

 

Zwar haben ihm nachfolgende Fahrzeuglenker die Abfahrt aus der Haltestelle zu ermöglichen, er darf aber umgekehrt andere Straßenbenützer nicht gefährden. Gerade im Fall einer Linienführung, die nach einem Haltestellenaufenthalt am rechten Fahrbahnrand ein nachfolgendes Linksabbiegen notwendig macht, ist eine Gefährdung anderer Straßenbenützer aber besonders wahrscheinlich, weil das Linksblinken des Omnibusses auch nur die Absicht des Einreihens in den rechten Fahrstreifen ausdrücken kann.

 

Der erkennende Senat ist daher mit den Vorinstanzen der Ansicht, dass in einem solchen Fall der Omnibuslenker iSd letzten Satzes des § 26a Abs 2 StVO gehalten ist, sich nach dem Ausfahren aus der Haltestelle, aber vor Beginn des - wenn auch unmittelbar folgenden - tatsächlichen Linksabbiegemanövers noch einmal davon zu vergewissern, dass andere Straßenbenützer dadurch nicht gefährdet werden und daher - auch - ein zusätzlicher Blick auf nachfolgende Fahrzeuglenker erforderlich ist.

 

Dies hat der Erstbeklagte unterlassen, sodass ihm ein allerdings auch nach Ansicht des erkennenden Senats geringeres Verschulden als jenes des Klägers am Verkehrsunfall anzulasten ist. Der erkennende Senat hält die Verschuldensteilung des Berufungsgerichts in der konkreten Situation für angemessen. Ob den Lenkern auch Verstöße gegen § 12 Abs 5 bzw § 11 Abs 1 StVO anzulasten sind, kann auf sich beruhen, weil es keine Auswirkungen auf die hier vorgenommene Verschuldensteilung hätte.