OGH > Zivilrecht
25.11.2013 Zivilrecht

OGH: Zur Bemessung des Schmerzengeldes im Falle eines durch die Unfallnachricht (ohne Todesfolge) ausgelösten Schockschadens eines nahen Angehörigen

Auch wenn sich die durch die Unfallnachricht ausgelösten Leidenszustände des Zweitklägers durch die in der Folge aufgetretenen familiären und zwischenmenschlichen Belastungen verlängert haben sollten, lässt sich den Feststellungen doch keineswegs entnehmen, dass diese Belastungen für sich allein, dh ohne den durch die Unfallnachricht ausgelösten Schock, ebenfalls den Grad einer krankheitswertigen Beeinträchtigung des Gesundheitszustands des Zweitklägers erreicht hätten; auch eine allfällige „Verlängerung“ seines seelischen Leidenszustands durch diese Belastungen ist somit adäquate Folge der Unfallnachricht


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Schmerzengeld, Bemessung, Unfallnachricht, naher Verwandter, Schockschaden, Verlängerung des seelischen Leidenszustands, Adäquanz
Gesetze:

§ 1325 ABGB, § 273 ZPO

GZ 2 Ob 72/13x [1], 23.10.2013

 

Das Erstgericht gab dem Begehren des Zweitklägers im Umfang von 10.300 EUR sA statt. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung.

 

OGH: Nach stRsp des OGH ist das Schmerzengeld nach freier Überzeugung (§ 273 ZPO) unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls für alles Ungemach, das der Verletzte bereits erduldet hat und voraussichtlich noch zu erdulden haben wird, grundsätzlich global festzusetzen. Die Bemessung hat nicht nach starren Regeln, etwa nach Tagessätzen oder Schmerzperioden, zu erfolgen. Es ist vielmehr jede Verletzung in ihrer Gesamtauswirkung nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zu betrachten und auf dieser Basis eine Bemessung vorzunehmen. Auch psychische Beeinträchtigungen sind nach diesen Kriterien unter der Voraussetzung ersatzfähig, dass sie krankheitswertige Gesundheitsschäden hervorriefen. Die Entscheidungen der Vorinstanzen stimmen mit diesen Kriterien der Rechtsprechung überein.

 

Die beklagten Parteien gehen in ihrem Rechtsmittel auf die vom Berufungsgericht als erheblich erachtete Bemessungsfrage mit keinem Wort ein. Selbst wenn daher das Berufungsgericht die Zulässigkeit der ordentlichen Revision zu Recht ausgesprochen haben sollte, wäre diese nach der stRsp des OGH nur dann gegeben, wenn die beklagten Parteien zumindest eine (andere) Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung geltend gemacht hätten. Diese Voraussetzung trifft hier jedoch nicht zu:

 

Die beklagten Parteien bekämpfen das Berufungsurteil allein unter dem Gesichtspunkt, dass aufgrund der vom Erstgericht im zweiten Rechtsgang getroffenen Feststellungen nach den Vorgaben im Aufhebungsbeschluss des Obersten Gerichtshofs, 2 Ob 136/11f, der Zuspruch eines Schmerzengeldes nicht gerechtfertigt sei. Sie gestehen zwar zu, dass bei der Erstklägerin akute Lebensgefahr bestanden habe. Der Schockzustand des Zweitklägers habe aber nur 36 Stunden angedauert. Eine Abgrenzung, inwieweit die psychische Erkrankung des Zweitklägers als Folge der Unfallnachricht anzusehen oder der Belastungssituation zuzuordnen sei, habe das Erstgericht nicht vornehmen können. Es lägen daher insgesamt nur die „üblichen“ Folgen einer schweren Verletzung (eines Angehörigen) vor.

 

Entgegen dieser Deutung hat das Berufungsgericht die erstgerichtlichen Feststellungen in ihrem Gesamtzusammenhang - insoweit jedenfalls vertretbar - dahin ausgelegt, dass die psychische Erkrankung des Zweitklägers primär durch die Unfallnachricht ausgelöst worden ist. Diese war dann aber nicht nur für den ersten Schockzustand, sondern auch für die danach folgenden Leidenszustände des Zweitklägers von Krankheitswert adäquat kausal. Es begründet keine korrekturbedürftige Verkennung der Rechtslage, wenn das Berufungsgericht darin keinen entscheidenden Umstand sah, dass der Zweitkläger nicht nur um das Leben und die Gesundheit seiner Ehefrau bangte, sondern - wohl untrennbar damit verbunden - auch vor den auf ihn zukommenden Belastungen Angst hatte. Schon die zeitliche Nähe des Auftretens der festgestellten Symptome zur Unfallnachricht - die Erstklägerin befand sich zu dieser Zeit noch in stationärer Behandlung - spricht dafür, dass die psychische Erkrankung des Zweitklägers nicht erst durch die mit den schweren Verletzungen seiner Ehefrau verbundene dauernde familiäre Belastungssituation entstanden ist. Damit liegen aber die in der Entscheidung 2 Ob 136/11f umrissenen Voraussetzungen für den Zuspruch eines Schmerzengeldes an den Zweitkläger für den erlittenen Schockschaden vor. Die gegenteilige Rechtsansicht der beklagten Parteien wirft keine erhebliche Rechtsfrage auf.

 

Auch wenn sich die durch die Unfallnachricht ausgelösten Leidenszustände des Zweitklägers durch die in der Folge aufgetretenen familiären und zwischenmenschlichen Belastungen verlängert haben sollten, wie dies das Erstgericht im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung ausgeführt hat, lässt sich den Feststellungen doch keineswegs entnehmen, dass diese Belastungen für sich allein, dh ohne den durch die Unfallnachricht ausgelösten Schock, ebenfalls den Grad einer krankheitswertigen Beeinträchtigung des Gesundheitszustands des Zweitklägers erreicht hätten. Auch eine allfällige „Verlängerung“ seines seelischen Leidenszustands durch diese Belastungen ist somit adäquate Folge der Unfallnachricht. Wenn das Berufungsgericht eine Minderung des vom Erstgericht zugesprochenen Schmerzengeldes unterließ, ist ihm daher keine aufzugreifende Fehlbeurteilung vorwerfbar.