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31.01.2014 Zivilrecht

OGH: Zur Frage, ob ein Ehepartner, der an der Ehe mit einem kranken Partner festhalten möchte, bei einer Scheidung gem § 55 Abs 3 EheG einen Verschuldensausspruch nach § 61 Abs 3 EheG zu Lasten des Kranken erwirken kann

Ein Verschuldensausspruch nach § 61 Abs 3 EheG setzt die Schuldfähigkeit des Scheidungsklägers voraus


Schlagworte: Eherecht, Auflösung der häuslichen Gemeinschaft, unheilbare Zerrüttung der Ehe, Verschulden, Einsichts- und Urteilsfähigkeit
Gesetze:

§ 55 EheG, § 61 EheG

GZ 3 Ob 207/13g [1], 28.11.2013

 

OGH: Der Kläger hat sein Scheidungsbegehren auf § 55 Abs 3 EheG gestützt, wobei unstrittig ist, dass die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten seit weit mehr als sechs Jahren aufgehoben ist. Unstrittig ist auch, dass die Ehe tiefgreifend und unheilbar iSd § 55 Abs 1 EheG zerrüttet ist.

 

Gem § 61 Abs 3 EheG ist bei Scheidung der Ehe nach § 55 EheG, wenn der Kläger die Zerrüttung allein oder überwiegend verschuldet hat, dies auf Antrag des Beklagten im Urteil auszusprechen.

 

Dem Revisionswerber ist darin beizupflichten, dass bereits nach dem klaren Wortlaut des § 61 Abs 3 EheG „... die Zerrüttung allein oder überwiegend verschuldet“ abzuleiten ist, dass ein Verschuldensausspruch iSd § 61 Abs 3 EheG voraussetzt, dass der die Scheidung begehrende Kläger die Zerrüttung nicht nur verursacht hat, sondern dass ihm diese Verursachung auch vorwerfbar ist.

 

Maßgeblich ist somit, ob dem Kläger ein Verschulden an der Zerrüttung der Ehe anzulasten ist bzw ob, falls beiden Eheleuten ein Verschulden an der Zerrüttung vorzuwerfen ist, seine Schuld deutlich überwiegt. So ging auch die Entscheidung 2 Ob 164/07t ganz selbstverständlich davon aus, dass für den Verschuldensausspruch nach § 61 Abs 3 EheG Voraussetzung ist, dass der Kläger das ihm vorgeworfene Verhalten verschuldet hat.

 

Die vom Berufungsgericht für den gegenteiligen Standpunkt ins Treffen geführten Leitsätze der Rsp, dass es für den Ausspruch nach § 61 Abs 3 EheG nicht darauf ankommt, ob der Kläger selbst einen Scheidungstatbestand verwirklicht habe; entscheidend sei allein, ob ihm eine Schuld an der Zerrüttung der Ehe anzulasten sei (vgl 7 Ob 8/08i mwN; RIS-Justiz RS0057256) besagen nur, dass das Zerrüttungsverschulden iSd § 61 Abs 3 EheG nicht mit einer verschuldeten Eheverfehlung, die gem § 49 EheG den Scheidungstatbestand verwirklicht, gleichzusetzen ist. Dass aber eine nicht vorwerfbare - weil auf einer geistigen Störung beruhende - Verursachung der Zerrüttung einen Schuldausspruch nach § 61 Abs 3 EheG rechtfertigen könne, lässt sich aus dieser Rsp nicht ableiten.

 

Die von den Vorinstanzen angestellten Billigkeitserwägungen sind mit dem klaren Wortlaut des § 61 Abs 3 EheG nicht vereinbar und übersehen, dass die Beklagte nach gem § 55 EheG erfolgter Scheidung unterhaltsrechtlich nicht „völlig schutzlos“ ist:

 

Wird eine Ehe nach § 55 EheG geschieden und enthält das Scheidungsurteil keinen Schuldausspruch, steht jenem Ehegatten, der die Scheidung nicht verlangt hat, im Bedarfsfall ein Billigkeitsunterhalt nach § 69 Abs 3 EheG zu, der nach der Rsp und der überwiegenden Lehre auch höher sein kann als ein Unterhaltsbeitrag nach § 68 EheG. Diese Privilegierung wird ua damit begründet, dass im Anwendungsfall des § 68 EheG auch den Unterhaltsberechtigten ein Verschulden an der Zerrüttung der Ehe trifft, im Fall des § 69 Abs 3 EheG jedoch nicht und dass es der Unterhaltspflichtige ist, der aus der Ehe drängt.

 

Für den Anlassfall folgt daraus, dass eine Verfahrensergänzung in erster Instanz unumgänglich ist: Zwar belegen die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen eindeutig, dass es der Kläger war, der die Zerrüttung der Ehe zwischen den Streitteilen verursachte. Ob aber die festgestellten Verhaltensweisen des Klägers von ihm zu verantworten sind, was davon abhängt, ob dieses Verhalten in einem die erforderliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit ausschließenden Geisteszustands erfolgte, lässt sich ohne ergänzende Feststellungen - allenfalls nach Einholung eines vom Kläger auch beantragten Sachverständigengutachtens - nicht beurteilen.

 

Sollte sich nach Verfahrensergänzung ergeben, dass der Kläger bereits zu Beginn der in der Ehe aufgetretenen Probleme, die durch sein Verhalten verursacht wurden, keine ausreichende Einsichts- und Urteilsfähigkeit hatte, wird der Verschuldensantrag der Beklagten abzuweisen sein. Andernfalls muss geklärt werden, wann die Zerrüttung der Ehe eintrat. Nur dann, wenn dieser Zeitpunkt vor Verlust der Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Klägers liegt, dem Kläger also sein ehezerrüttendes Verhalten vorwerfbar war, kommt ein Ausspruch seines Zerrüttungsverschuldens iSd § 61 Abs 3 EheG in Betracht.