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01.03.2014 Zivilrecht

OGH: Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung – falsche Angaben über Unfall gegenüber der Polizei als Obliegenheitsverletzung?

Falsche Angaben über ein Schadensereignis bedeuten grundsätzlich nur dann eine Obliegenheitsverletzung, wenn sie gegenüber dem Versicherer abgegeben werden; infolge dessen stellen falsche Angaben gegenüber der Polizei keinen Verstoß gegen die Aufklärungspflicht des Versicherungsnehmers dar, wenn dieser dem Versicherer den wahren Sachverhalt mitgeteilt und nicht beispielsweise dem Versicherer gegenüber auf die vor der Polizei gemachten Angaben verwiesen hat


Schlagworte: Vertragsversicherungsrecht, Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung, falsche Angaben über Unfall gegenüber der Polizei keine Obliegenheitsverletzung
Gesetze:

§ 6 Abs 3 VersVG, § 6 KHVG, AKHB 2009, § 4 Abs 5 StVO

GZ 7 Ob 187/13w [1], 11.12.2013

 

Zwischen den Parteien besteht ein Kraftfahrzeughaftpflichtversicherungsvertrag, dem die AKHB 2009 zugrunde liegen. Art 9.3 lautet auszugsweise:

 

„Als Obliegenheiten, deren Verletzung nach Eintritt des Versicherungsfalls die Freiheit des Versicherers von der Verpflichtung zur Leistung bewirkt (§ 6 Abs 3 VersVG), werden bestimmt,

...

3.4. Nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhalts beizutragen. ...“

 

OGH: Beide Parteien erkennen zutreffend, dass der vom Berufungsgericht vermutete Widerspruch in der Rsp nicht besteht. Das Berufungsgericht unterscheidet zu Unrecht nicht zwischen Obliegenheiten vor und solchen nach Eintritt des Versicherungsfalls. § 5 KHVG, der dem Rechtssatz RIS-Justiz RS0119238 zugrunde liegt, regelt Obliegenheiten vor Eintritt des Versicherungsfalls. Die Aufklärungsobliegenheit (§ 6 KHVG) besteht hingegen nach Eintritt des Versicherungsfalls.

 

Grundsätzlich ist in der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung der mitversicherte Lenker, hinsichtlich dessen Person die Versicherung als für fremde Rechnung abgeschlossen gilt, nach § 78 VersVG zur Erfüllung der gegenüber dem Versicherer bestehenden Obliegenheiten verpflichtet. Der Versicherer muss die objektive Verletzung einer Obliegenheit durch den Versicherungsnehmer beweisen. Der Versicherungsnehmer muss beweisen, dass er die ihm angelastete Obliegenheitsverletzung weder vorsätzlich noch grob fahrlässig begangen hat.

 

Entgegen der Rechtsmeinung des Berufungsgerichts ist hier sehr wohl zu prüfen, ob dem Beklagten eine Obliegenheitsverletzung anzulasten ist oder nicht. Dies führt aber, ausgehend von der ständigen oberstgerichtlichen Rsp, zu keiner anderen Beurteilung des Rechtsfalls.

 

Der Versicherte verletzt seine Aufklärungspflicht, wenn er einen von ihm verursachten Verkehrsunfall der nächsten Polizei- oder Gendarmeriedienststelle verspätet (oder gar nicht) meldet, sofern er zur sofortigen Anzeigeerstattung nach dieser Gesetzesstelle verpflichtet ist und im konkreten Fall etwas verabsäumt wurde, das zur Aufklärung des Sachverhalts dienlich gewesen wäre. Die Übertretung des § 4 Abs 5 StVO ist für sich allein nicht schon einer Verletzung der Aufklärungsobliegenheit gleichzuhalten. Es ist vielmehr notwendig, dass ein konkreter Verdacht in bestimmter Richtung durch objektives Unbenützbarwerden eines Beweismittels infolge Unterlassung der Anzeige im Nachhinein nicht mehr mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Der konkrete Verdacht und die Unbenützbarkeit des Beweismittels infolge Unterlassung (Verspätung) der Anzeige muss vom Versicherer behauptet und bewiesen werden.

 

Falsche Angaben über ein Schadensereignis bedeuten grundsätzlich nur dann eine Obliegenheitsverletzung, wenn sie gegenüber dem Versicherer abgegeben werden. Infolge dessen stellen falsche Angaben gegenüber der Polizei keinen Verstoß gegen die Aufklärungspflicht des Versicherungsnehmers dar, wenn dieser dem Versicherer den wahren Sachverhalt mitgeteilt und nicht beispielsweise dem Versicherer gegenüber auf die vor der Polizei gemachten Angaben verwiesen hat.

 

Der Beklagte verstieß zwar gegen § 4 Abs 5 StVO und er machte auch der Polizeibehörde gegenüber falsche Angaben (er täuschte einen Diebstahl des versicherten Fahrzeugs vor). Entscheidend ist aber iSd dargelegten Judikatur, dass der Beklagte der Klägerin gegenüber nie unrichtige Angaben machte. Die Klägerin kann keinen konkreten Verdacht, der auf Grund des Verhaltens des Beklagten nicht mehr mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, oder die Unbenützbarkeit eines Beweismittels behaupten und beweisen. Die Rechtsansicht des Erstgerichts, dass dem Versicherten damit keine Obliegenheitsverletzung anzulasten ist, hält sich daher im Rahmen der Judikatur.