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01.03.2014 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Zur Frage, ob ein durch einen Wespenstich verursachter anaphylaktischer Schock den Unfallbegriff des § 175 ASVG erfüllen kann

Die für die primäre Gesundheitsstörung (anaphylaktischen Schock) und schließlich den Tod des Versicherten mitursächliche Allergie steht der Bejahung des Versicherungsschutzes nicht entgegen; eine krankhafte Veranlagung ist nämlich im Vergleich zum Unfall alleinige oder überragende Ursache nur dann, wenn sie so leicht ansprechbar war, dass es zur Auslösung akuter Erscheinungen nicht besonderer, unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zur selben Zeit die Erscheinungen (Schädigung) ausgelöst hätte; ein Wespenstich ist aber kein alltägliches Ereignis


Schlagworte: Unfallversicherung, Arbeitsunfall, Wespenstich, anaphylaktischer Schock, krankhafte Veranlagung
Gesetze:

§ 175 ASVG

GZ 10 ObS 93/13v [1], 17.12.2013

 

OGH: Gem § 175 Abs 1 ASVG sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten, die sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung ereignen. Entgegen der Ansicht der beklagten Partei ist ein Arbeitsunfall des verstorbenen Vaters der Klägerin zu bejahen.

 

Der erkennende Senat hat in der Entscheidung 10 ObS 71/04w nebenher ausgesprochen, dass ein Insektenstich während der Arbeit einen Arbeitsunfall darstellen kann, wenn durch die Einwirkung eine Gesundheitsbeschädigung hervorgerufen wird. Unter Berufung auf diese Entscheidung führt Rudolf Müller in SV-System § 175 ASVG Rz 41 aus, dass bei einem durch die versicherte Beschäftigung erforderlichen Aufenthalt im Freien auch an Ortsrisken durch Schlangen- oder Insektenbisse während der Arbeit als Unfallgeschehen zu denken sei, sofern diese zu einer Erkrankung führen (zB anaphylaktischer Schock als Folge eines beim Arbeiten im Freien erlittenen Wespenstichs).

 

Unfälle iSd § 175 Abs 1 ASVG sind zeitlich begrenzte Ereignisse - eine Einwirkung von außen, ein abweichendes Verhalten, eine außergewöhnliche Belastung -, die zu einer Körperschädigung führen. Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass ein Wespenstich diesen Unfallbegriff erfüllt und der Versicherte einen Unfall erlitt. Für diesen ist es nicht konstitutiv, dass eine Betriebsgefahr oder ein besonderes, ungewöhnliches Geschehen vorliegt, denn auch ein zur gewöhnlichen beruflichen Tätigkeit gehörendes Ereignis kann ein Unfall sein, sofern es nur zeitlich begrenzt ist.

 

Für die Qualifikation eines Unfalls als Arbeitsunfall ist idR erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer oder sachlicher Zusammenhang), diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten Ereignis (Unfallereignis) geführt hat (Unfallkausalität) und das Unfallereignis einen Gesundheitsschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat.

 

Der Annahme eines Arbeitsunfalls steht nicht entgegen, dass ein Stich durch ein Insekt grundsätzlich jederzeit und an jedem Ort eintreten kann und keinen spezifischen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit hat (Gefahr des „täglichen Lebens“ wie zB Stolpern, Ausrutschen). Dass das Erstgericht eine durch betriebsbedingte Umstände herbeigeführte Erhöhung des Risikos des Erleidens eines Wespenstichs nicht feststellen konnte, führte entgegen der Ansicht der beklagten Partei allein nicht zur Verneinung eines Versicherungsfalls. Schließlich kann sich ein nach § 175 Abs 2 Z 1 ASVG versicherter Verkehrsunfall auf dem Weg zur Arbeitsstätte in gleicher Weise auch auf der Fahrt des Versicherten in den Urlaub ereignen, und niemand würde deshalb den Versicherungsschutz verneinen. In der Entscheidung 10 ObS 71/04w hat der erkennende Senat für die Bejahung eines Versicherungsschutzes bei einem Insektenstich eine berufsbedingt erhöhte Gefährdung nicht ausdrücklich verlangt.

 

Die Tätigkeit des Versicherten zur Zeit des Wespenstichs erfolgte im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses, sodass er im Unfallzeitpunkt grundsätzlich unter Versicherungsschutz stand. Der betriebsbedingte Anlass des Aufenthalts des Versicherten im Bereich des offenen Lagerbereichs ist nach Lage des Falls als rechtlich wesentliche Ursache anzusehen. Es wurde nämlich weder festgestellt noch behauptet, dass das Risiko eines Insektenstichs durch betriebsfremde Umstände erhöht worden war, sodass dem unversicherten Lebensbereich zuzurechnende Mitursachen, die mit der Ursache aus der versicherten Tätigkeit konkurrieren und nach wertender Abwägung einer Bejahung des Versicherungsschutzes entgegenstehen könnten, nicht feststehen.

 

Der Unfall war auch wesentliche Ursache des Todes des Versicherten und nicht bloße Gelegenheitsursache. Die für die primäre Gesundheitsstörung (anaphylaktischen Schock) und schließlich den Tod des Versicherten mitursächliche Allergie steht der Bejahung des Versicherungsschutzes nicht entgegen. Eine krankhafte Veranlagung ist nämlich im Vergleich zum Unfall alleinige oder überragende Ursache nur dann, wenn sie so leicht ansprechbar war, dass es zur Auslösung akuter Erscheinungen nicht besonderer, unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zur selben Zeit die Erscheinungen (Schädigung) ausgelöst hätte. Um die Allergie des Versicherten gegen Wespengift akut anzusprechen, hätte es der Induktion des Allergens durch den Stich einer Wespe bedurft. Wie ein Hundebiss ist im erörterten Zusammenhang aber auch ein Wespenstich kein alltägliches Ereignis.