OGH > Zivilrecht
28.03.2014 Zivilrecht

OGH: Auskunftsanspruch gem § 18 Abs 4 ECG gegen Betreiber eines Online-Diskussionsforum – Verweigerung unter Hinweis auf das Redaktionsgeheimnis nach § 31 MedienG?

Eine Berufung auf das Redaktionsgeheimnis ist dann unzulässig, wenn ein Posting in keinerlei Zusammenhang mit einer journalistischen Tätigkeit steht; ob diese Auffassung auch für moderierte Diskussionsforen gilt, kann hier dahingestellt bleiben


Schlagworte: E-Commerce-Recht, Umfang der Pflichten der Diensteanbieter, Auskunftanspruch, Online-Diskussionsforum, Redaktionsgeheimnis, journalistische Tätigkeit
Gesetze:

§ 18 ECG, § 31 MedienG, § 1330 ABGB

GZ 6 Ob 133/13x [1], 23.01.2014

 

Die Kläger (ehemalige Politiker) begehren von der Beklagten (Medieninhaberin, die auf ihrer Website ein Online-Diskussionsforum betreibt) die Bekanntgabe der E-Mail-Adressen von vier Benutzern unter Berufung auf § 18 Abs 4 ECG. Die in den Postings aufgestellten Behauptungen seien unwahr, ehrenbeleidigend, kreditschädigend und zum Teil strafrechtlich relevant; die Kläger beabsichtigten, gegen die Benutzer gerichtlich vorzugehen.

 

OGH: Die außerordentliche Revision der Beklagten greift ausschließlich die Frage auf, ob der Medieninhaber einer Website die Bekanntgabe der E-Mail-Adresse eines Nutzers, der einen Online-Kommentar zu einem auf der Website veröffentlichen redaktionellen Beitrag verfasste (Posting), unter Hinweis auf das Redaktionsgeheimnis nach § 31 MedienG verweigern darf. Dass im Hinblick auf § 18 Abs 4 ECG grundsätzlich ein Anspruch auf Auskunft über eine E-Mail-Adresse besteht, stellt sie hingegen nicht (mehr) in Abrede; dies entspricht auch der Rsp des OGH.

 

Ein Teil der österreichischen Literatur bejaht die von der Beklagten aufgeworfene Frage. Der OGH hat hingegen bereits ausgesprochen, dass Informationen, die eine der in § 31 Abs 1 MedienG genannten Personen gewinnt, ohne dass sie dieser im Hinblick auf ihre Tätigkeit von jemandem bewusst zugänglich gemacht wurden, nicht als vom Redaktionsgeheimnis geschützte Mitteilung zu qualifizieren sind; er hat sich dabei auf Rsp des EGMR und österreichische Literatur berufen. Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an:

 

Nach den ErläutRV zu § 31 MedienG ist unter Tätigkeit die journalistische Tätigkeit gemeint. Dies ist schon allein im Hinblick auf den dem § 31 MedienG zugrunde liegenden Hintergedanken zutreffend: Medien können nämlich ihrer wichtigen Kontroll- und Aufklärungsfunktion nur dann effektiv nachkommen, wenn sie an geheime Informationen gelangen und vertrauliche Hinweise erhalten. Die Bereitschaft von potenziellen Informanten, Heikles preiszugeben und Brisantes mitzuteilen, ist aber wesentlich davon abhängig, wie sehr diese befürchten müssen, dadurch Nachteile zu erleiden. Wären Journalisten daher verpflichtet, ihre Informanten preiszugeben, stünde zu befürchten, dass diese wichtigen Quellen versiegen würden. Daher wird es den Journalisten als Ausfluss von § 31 MedienG ermöglicht, ihren Informanten wirksam Vertraulichkeit zuzusichern. Auch der EGMR hat ausgeführt, dass eine der Grundvoraussetzungen für die Pressefreiheit der Schutz der journalistischen Informationsquellen ist. Ohne einen solchen Schutz würden Informanten davon abgehalten werden, die Presse bei ihrer öffentlichen Informationsaufgabe zu unterstützen. Damit würde die Funktion der Presse als „öffentlicher Wachhund“ untergraben und ihre Fähigkeit, genaue und zuverlässige Informationen zu liefern, beeinträchtigt werden.

 

§ 31 MedienG kennt zwar eine dem § 53 Satz 3 dStPO vergleichbare ausdrückliche Einschränkung des Redaktionsgeheimnisses nicht; nach dieser Bestimmung gilt das Redaktionsgeheimnis nur, soweit es sich um Beiträge, Unterlagen, Mitteilungen und Materialien für den redaktionellen Teil oder redaktionell aufbereitete Informations- und Kommunikationsdienste handelt. Dennoch erscheint auch für den österreichischen Rechtsbereich die Auffassung richtig, dass es Postings, die völlig ohne journalistische Kontrolle und Bearbeitung und allein aus dem eigenen Antrieb des Nutzers veröffentlicht werden, am notwendigen Zusammenhang mit der journalistischen Tätigkeit der in § 31 Abs 1 MedienG genannten Personen mangelt. Es muss also zumindest irgendeine Tätigkeit/Kontrolle/Kenntnisnahme eines Medienmitarbeiters intendiert sein, damit der Schutz des § 31 MedienG in Anspruch genommen werden kann. Allein die durch das Zurverfügungstellen des Online-Forums erklärte Absicht, alles zu veröffentlichen, was die Nutzer posten, reicht hingegen nicht aus, um den notwendigen Mindestzusammenhang zur Tätigkeit der Presse herzustellen.

 

Diese Überlegungen finden auch in weiteren Gesetzesbestimmungen eine Stütze:

 

So steht etwa ein Auskunftsanspruch nach § 18 Abs 4 ECG ausschließlich gegenüber Host-Providern nach § 16 ECG zu; auch Medienunternehmen, die Kommentare von Nutzern zu einem bestimmten Artikel online publizieren, sind Host-Provider. Merkmal eines Host-Providers ist gerade, dass die Nutzer dem Diensteanbieter weder unterstehen noch von ihm beaufsichtigt werden. Da Host-Provider nach § 16 ECG für die im Auftrag des Nutzers gespeicherte Information nicht verantwortlich sind, soll der Auskunftsanspruch nach § 18 Abs 4 ECG Personen, die durch rechtswidrige Tätigkeiten oder Informationen eines ihnen nicht bekannten Nutzers in ihren Rechten verletzt wurden, die Rechtsverfolgung erleichtern.

 

Auch § 6 Abs 2 Z 3a MedienG schränkt die Verantwortlichkeit für Berichte ein, wenn es sich um die Abrufbarkeit auf einer Website handelt.

 

Zum Rechtfertigungsgrund des § 6 Abs 2 Z 4 MedienG (wahrheitsgetreues Zitat) wiederum hat der OGH ausgesprochen, dieser komme dann nicht zum Tragen, wenn der Verletzte für den Medieninhaber objektiv erkennbar aus einem anderen Grund als jenem der Z 1 des § 6 Abs 2 MedienG auch gegen den Urheber der Äußerung schutzlos bliebe.

 

Diese Haftungsbeschränkungen und der allgemeine Grundsatz, dass berechtigte Ansprüche auch durchsetzbar sein sollen, stützen somit die Überlegung, dass eine Berufung auf das Redaktionsgeheimnis dann unzulässig ist, wenn ein Posting in keinerlei Zusammenhang mit einer journalistischen Tätigkeit steht; die vom Schweizer Bundesgericht vertretene Auffassung, Medienhäuser könnten sich grundsätzlich auch bezüglich der Verfasser von Blog-Kommentaren auf ihren Internetseiten auf den Quellenschutz berufen, teilt der erkennende Senat nicht, der im Übrigen auch die Überlegung nicht für stichhältig erachtet, der Verletzte könne ja ohnehin vom Betreiber der Website Abhilfe verlangen: Dies würde nämlich lediglich dazu führen, dass Personen, die unter dem (vermeintlichen) Deckmantel der Anonymität im Internet andere Personen in einer § 1330 ABGB und/oder medienrechtliche Bestimmungen verletzenden Weise insultieren, einfach auf andere unmoderierte Websites ausweichen und dort ihre Insultationen fortsetzen, was den Verletzten zu weiteren Klagsführungen zwingen würde.

 

Ob die hier vertretene Auffassung auch für moderierte Diskussionsforen gilt, kann dahingestellt bleiben: Die inkriminierten Beiträge der Nutzer wurden erst über Aufforderung der Kläger gelöscht; eine sonstige „Moderation“ ist nicht erkennbar.

 

Damit war aber der außerordentlichen Revision der Beklagten ein Erfolg zu versagen; sie ist zur Bekanntgabe der E-Mail-Adressen verpflichtet.

 

Die von den Klägern in ihrer außerordentlichen Revision aufgeworfene Frage, ob es sich bei den Postings weiterer Nutzer um Tatsachenbehauptungen oder um Werturteile oder um einen Wertungsexzess gehandelt hat, übersteigt zwar regelmäßig an Bedeutung das konkrete Verfahren nicht. Das Berufungsgericht hat jedoch übersehen, dass der als Anspruchsgrundlage für das Auskunftsbegehren der Kläger dienende § 18 Abs 4 ECG lediglich von einer Glaubhaftmachung hinsichtlich des überwiegenden rechtlichen Interesses an der Feststellung der Identität eines Nutzers, hinsichtlich eines bestimmten rechtswidrigen Sachverhalts und hinsichtlich des Umstands spricht, dass die Kenntnis dieser Informationen eine wesentliche Voraussetzung für die Rechtsverfolgung bildet. Die nach § 1330 ABGB im Einzelfall notwendige Grenzziehung zwischen Tatsachenbehauptung, Werturteil und Wertungsexzess ist damit nicht im Auskunftsverfahren gegen den Betreiber der Website näher zu prüfen, sondern erst im Verfahren gegen den konkreten Poster. Voraussetzung ist lediglich, dass aufgrund einer groben Prüfung der vom Kläger geltend gemachten Verletzungen eine Verurteilung nach § 1330 ABGB nicht gänzlich auszuschließen ist.

 

Da die Erhebung von Vorwürfen, die sich mit „herausgepresste[m] Geld“ befassen und in denen die Kläger als „Gaunerzwillinge“ bezeichnet werden sowie die Frage erörtert wird, ob man in anderen Ländern wegen solcher Vorgänge „wegen Erpressung im Knast landen“ würde, grundsätzlich tatbestandsmäßig iSd § 1330 ABGB sein kann, war der außerordentlichen Revision der Kläger Folge zu geben und das Ersturteil wiederherzustellen.