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04.04.2014 Zivilrecht

OGH: Überholen trotz Sperrlinie – zur Frage, ob der Schutzzweck des § 9 Abs 1 StVO sich auch auf Verkehrsteilnehmer bezieht, die im Bereich der Unterbrechung einer Sperrlinie, allerdings unter Verstoß gegen §§ 11, 12 StVO, nach links abbiegen

§ 9 Abs 1 StVO hat auch den Zweck, erlaubterweise nach links abbiegende Verkehrsteilnehmer zu schützen


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Straßenverkehrsrecht, Überholvorgang trotz Sperrlinie, erlaubterweise nach links abbiegen, ohne Kontrollblick, Mitverschulden
Gesetze:

§§ 1295 ff ABGB, § 1304 ABGB, § 9 StVO, § 11 StVO, § 12 StVO

GZ 2 Ob 17/14k [1], 13.02.2014

 

OGH: In der oberstgerichtlichen Rsp wurde zum Schutzzweck des § 9 Abs 1 StVO Folgendes ausgesprochen:

 

Das Verbot, Sperrlinien zu überfahren, dient zum Schutz des Gegenverkehrs, nicht des nachfolgenden Verkehrs. Das Verbot des Überfahrens einer Sperrlinie gem § 9 Abs 1 StVO dient grundsätzlich der Sicherheit aller auf der Fahrbahn jenseits der Sperrlinie befindlichen Verkehrsteilnehmer. Demnach dient die Norm auch dem Zweck, einer Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer bzw Beschädigung von Sachen iSd § 7 Abs 1 StVO durch andere Fahrzeuge vorzubeugen. § 9 Abs 1 StVO dient meist (aber nicht immer) dem Schutz des Gegenverkehrs, aber auch andere (etwa aus dem Querverkehr kommende) Verkehrsteilnehmer können vom Schutzzweck erfasst sein. Unter Überfahren von Sperrlinien darf grundsätzlich nicht überholt werden.

 

Die Bejahung des Schutzzwecks des § 9 Abs 1 StVO durch das Berufungsgericht im vorliegenden Fall ist von dieser Rsp gedeckt. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts sind oberstgerichtliche Entscheidungen vorhanden, die bei durchaus vergleichbaren Sachverhalten wie hier den Schutzzweck des § 9 Abs 1 StVO bejaht haben (2 Ob 145/73 [Verschulden eines Lenkers bejaht, der beim Überholen eine Sperrlinie überfuhr und mit dem links einbiegenden überholten Kraftfahrzeug kollidierte, dessen Lenker beim Einbiegen gegen § 9 Abs 1 und § 13 Abs 1 StVO verstieß]).

 

Der Kläger zeigt in der Revision keine sonstige erhebliche Rechtsfrage auf. Wenn er sinngemäß vorbringt, er habe die (auf der Höhe des Betriebsgeländes befindliche) „Warnlinie“ (also die festgestellte 40 m lange Leitlinie, vgl § 5 Abs 2 Bodenmarkierungsverordnung) überfahren, geht er nicht vom festgestellten Sachverhalt aus, wonach er die (in Fahrtrichtung gesehen, vor der Leitlinie vorhandene) Sperrlinie überfahren hat. Entgegen seiner Rechtsansicht stellt sich im vorliegenden Fall auch kein Vorrangproblem (iSd § 19 StVO), vielmehr geht es hier um Verstöße gegen § 9 Abs 1 StVO durch den Kläger und gegen die §§ 11, 12 StVO durch den Erstbeklagten. Soweit der Kläger vorbringt, der Zusammenstoß hätte sich auch ereignet, wenn er die Kolonne auf dem rechten Fahrstreifen (also ohne Überfahren der Sperrlinie) überholt hätte bzw an der Kolonne vorbeigefahren wäre, fehlt es an erstinstanzlichem Vorbringen ebenso wie an entsprechenden Feststellungen.