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04.04.2014 Zivilrecht

OGH: Zum postmortalen Bildnisschutz (§ 78 Abs 2 iVm § 77 Abs 2 UrhG)

Für die §§ 77 und 78 UrhG ist daran festzuhalten, dass das Gesetz nach dem Tod des Betroffenen einen Anspruch der nahen Angehörigen vorsieht, es dabei schon nach dem Wortlaut dieser Bestimmungen auf deren Interessen ankommt, diese Interessen aber im Regelfall schon dann beeinträchtigt sein werden, wenn die Interessenabwägung zu Lebzeiten des Betroffenen zu dessen Gunsten ausgegangen wäre; eine besondere Begründung für eine eigene Interessenbeeinträchtigung der Angehörigen ist daher nicht erforderlich; hätte der Verstorbene ein berechtigtes Interesse an einer Urteilsveröffentlichung gehabt, wird auch ein entsprechendes Interesse des Angehörigen bestehen; auch hier ist es daher nicht erforderlich, dass der Angehörige besonders begründet, weshalb er selbst ein über die Wahrung des Ansehens des Betroffenen hinausgehendes Interesse an der Veröffentlichung hätte; dass die in Betracht kommenden Angehörigen den Anspruch nur gemeinsam geltend machen könnten, lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen


Schlagworte: Urheberrecht, postmortaler Bildnisschutz, Interessenbeeinträchtigung der Angehörigen, Urteilsveröffentlichung
Gesetze:

§ 77 UrhG, § 78 UrhG, § 85 UrhG

GZ 4 Ob 203/13a [1], 17.02.2014

 

OGH: Der Kläger ist nach § 78 Abs 2 iVm § 77 Abs 2 UrhG ein naher Angehöriger des Abgebildeten. Er macht zurecht geltend, dass (auch) seine Interessen durch die beanstandete Veröffentlichung beeinträchtigt wurden.

 

Nach § 78 Abs 1 UrhG dürfen Bildnisse von Personen nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden,

 

„wenn dadurch berechtigte Interessen des Abgebildeten oder falls er gestorben ist, ohne die Veröffentlichung gestattet oder angeordnet zu haben, eines nahen Angehörigen verletzt würden.“

 

Nach diesem Wortlaut kommt es nach dem Tod des Abgebildeten ausschließlich auf die Verletzung der Interessen der nahen Angehörigen an. Es liegt daher an sich nahe, dass der Kläger gesondert darlegen müsste, warum gerade seine Interessen durch die Veröffentlichung beeinträchtigt worden seien.

 

Diese Auffassung wird jedoch durch die Gesetzesmaterialien relativiert. § 78 Abs 1 UrhG entspricht in diesem Punkt dem postmortalen Brief- und Aufzeichnungsschutz nach § 77 Abs 1 UrhG. Beide Bestimmungen waren schon in der ursprünglichen Fassung des UrhG enthalten gewesen. Zu § 77 UrhG hatten die Materialien Folgendes ausgeführt:

 

„Nach dem Tode dieser Personen [dh der Verfasser und Empfänger von Briefen] sollen auch die Interessen geschützt werden, die ihre Verwandten in auf- und absteigender Linie und der überlebende Ehegatte daran haben, dass Briefe oder ähnliche vertrauliche Aufzeichnungen öffentlich nicht mitgeteilt werden. Ein berechtigtes Interesse dieser Personen wird namentlich auch dann anzuerkennen sein, wenn durch die öffentliche Mitteilung das Andenken des verstorbenen Verfassers oder Empfängers verunglimpft würde. […] Anders als das Urheberrecht lässt das Schutzrecht an Briefen und ähnlichen vertraulichen Aufzeichnungen keine scharfe zeitliche Begrenzung zu. Dass es dem Verfasser und bei Briefen auch dem Empfänger für Lebenszeit gewährt werden muss, steht außer Frage. Aber auch den mit ihnen im ersten Grade Verwandten und dem überlebenden Ehegatten muss der Schutz wohl so lange gewährt werden, als diese Personen am Leben sind. Bei entfernteren Verwandten […] kann aber von einer formellen Grenze nicht abgesehen werden. […] Mit dem Wegfall der allernächsten Verwandten und dem Ablauf einiger Zeit nach dem Tode des Verfassers oder Empfängers eines Briefes verblassen die Familieninteressen, vor denen auch die Geschichtsforschung haltmachen muss.“

 

Auch daraus geht zwar hervor, dass in erster Linie die Interessen des Angehörigen maßgebend sein sollen. Allerdings nehmen die Materialien an, dass diese Interessen jedenfalls schon dann beeinträchtigt werden, wenn das „Andenken“ des Verstorbenen verunglimpft wird. Diese Auffassung wird man dem Gesetzgeber auch für den Bildnisschutz nach § 78 UrhG unterstellen können.

 

Die Rsp zum postmortalen Brief- und Bildnisschutz nach den §§ 77 und 78 UrhG ist wenig ergiebig.

 

(a) In 3 Ob 17/55 hatte sich der Kläger darauf gestützt, dass die Veröffentlichung seines Bildnisses auch die Interessen seiner Familie beeinträchtigt habe. Der OGH hielt dazu fest, dass auf Interessen von Angehörigen erst nach dem Tod des Abgebildeten Bedacht zu nehmen sei. Dies ergebe sich daraus, dass es sich um ein „höchstpersönliches Recht“ des - hier noch lebenden - Abgebildeten handle. Im konkreten Fall war dieses Interesse nicht beeinträchtigt, sodass die Klage abgewiesen wurde. In 4 Ob 387/85 verwies der OGH ohne weiterführende Erwägungen auf die seiner Auffassung nach zutreffende Ansicht des Rekursgerichts, dass eine Stiftung den Tagebuchschutz nach § 77 UrhG nicht geltend machen könne. Er nahm daher offenkundig an, dass eine Einzelrechtsnachfolge in die immateriellen Elemente des Persönlichkeitsrechts ausgeschlossen sei.

 

(b) Der Bildnisschutz des § 78 UrhG ist eine besondere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach § 16 ABGB. Zu dieser Bestimmung hat der OGH mehrfach den Schutz eines postmortalen Persönlichkeitsrechts anerkannt, der von nahen Angehörigen durchgesetzt werden könne. Dabei ließ er zuletzt ausdrücklich offen, ob die Angehörigen dafür aufgrund einer „treuhändischen Nachfolge“ oder aufgrund eigenen Rechts infolge ihres Interesses am Ruf des Verstorbenen legitimiert seien. Zur Begründung des (allgemeinen) postmortalen Persönlichkeitsschutzes wies der OGH zwar auf die §§ 77 und 78 UrhG hin, er wendete diese Bestimmungen aber nicht unmittelbar analog an.

(c) Abzugrenzen vom postmortalen Persönlichkeitsschutz nach § 16 ABGB oder §§ 77 und 78 UrhG sind Ansprüche aufgrund des „geldwerten Bekanntheitsgrads“ einer verstorbenen Person. Die unbefugte Nutzung eines solchen Bekanntheitsgrads begründet einen Bereicherungsanspruch nach § 1041 ABGB; sie kann insbesondere im Verwenden der Abbildung einer bekannten Person liegen. Ein solcher Anspruch hat vermögensrechtlichen Charakter, sodass kein Grund erkennbar ist, weshalb er nicht vererblich sein sollte. In 6 Ob 57/06k wurde diese Frage zwar für Abbildungen einer bekannten Person offen gelassen; in 17 Ob 2/10h nahm der OGH jedoch für die vermögenswerten Bestandteile des Namensrechts geradezu selbstverständlich Vererblichkeit an. Die damit zusammenhängenden Fragen - insbesondere wie sich Ansprüche aufgrund materieller und immaterieller Aspekte des Persönlichkeitsrechtsschutzes nach dem Tod des Betroffenen zueinander verhalten und wie ihre Durchsetzung koordiniert werden kann - sind hier nicht weiter zu erörtern, weil ein „geldwerter Bekanntheitsgrad“ des Verstorbenen weder behauptet wurde noch erkennbar ist.

 

Die Lehre zum postmortalen Schutz der immateriellen Aspekte des Persönlichkeitsrechts bezieht sich meist auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach § 16 ABGB; dessen spezielle Ausprägungen in den §§ 77 f UrhG werden kaum tiefer erörtert.

 

(a) Zur Begründung des allgemeinen postmortalen Persönlichkeitsschutzes werden - ausgehend von einer alten Diskussion im deutschen Recht - im Wesentlichen zwei Ansätze vertreten. Zum einen wird ein eigenes Recht des Angehörigen angenommen, das ihm wegen seines Interesses am Ruf des Verstorbenen zuerkannt werden müsse, zum anderen ein weiterbestehendes Recht des Verstorbenen, das treuhändig vom Angehörigen wahrgenommen werde. In der österreichischen Literatur überwiegt dabei (mit unterschiedlichen Nuancen) die zweitgenannte Auffassung; nur F. Bydlinski nimmt ein eigenes Recht des Angehörigen an, dessen Zweck und Inhalt aber „ausschließlich in der Wahrung der personalen Interessen des Verstorbenen und der inhaltsgleichen Interessen des Angehörigen“ bestehe. Darin liegt, wie F. Bydlinski selbst ausführt, eine „Doppelbegründung“, die zwar komplizierte dogmatische Erwägungen vermeidet, inhaltlich aber ebenso wie die Treuhandkonstruktion in erster Linie auf die als fortbestehend angesehenen Interessen des Verstorbenen abstellt.

 

(b) Bei den §§ 77 und 78 UrhG soll es demgegenüber schon aufgrund des Wortlauts dieser Bestimmungen jedenfalls „auch“ um den Persönlichkeitsschutz der nahen Angehörigen gehen, wobei allerdings auch hier - teilweise unter Rückgriff auf die bereits zitierten Materialien - die Wahrung des Rufes des Verstorbenen als entscheidendes Kriterium angesehen wird. Richtig ist, dass Korn/J. Neumayer in diesem Zusammenhang nicht von den Angehörigen, sondern von den „Erben“ des Verstorbenen sprechen. Da sie diese Abweichung vom Gesetzeswortlaut aber nicht weiter begründen, dürften sie sich dabei wohl nur im Ausdruck vergriffen haben.

 

Auf dieser Grundlage ist nach Ansicht des Senats für die §§ 77 und 78 UrhG daran festzuhalten, dass

 

- das Gesetz nach dem Tod des Betroffenen einen Anspruch der nahen Angehörigen vorsieht,

 

- es dabei schon nach dem Wortlaut dieser Bestimmungen auf deren Interessen ankommt,

 

- diese Interessen aber im Regelfall schon dann beeinträchtigt sein werden, wenn die Interessenabwägung zu Lebzeiten des Betroffenen zu dessen Gunsten ausgegangen wäre.

 

Eine besondere Begründung für eine eigene Interessenbeeinträchtigung der Angehörigen ist daher nicht erforderlich. Diese Auslegung ergibt sich nicht nur aus den Gesetzesmaterialien, die einen solchen typischen Interessengleichlauf annehmen, sondern stimmt im Ergebnis auch mit jenen Wertungen überein, die dem postmortalen Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zugrunde liegen: Zweck des Rechts der Angehörigen ist zumindest auch die Wahrung der Interessen des Verstorbenen. Ob das Recht tatsächlich auf die Wahrung dieser Interessen beschränkt ist oder ob es nicht uU auch eigene Interessen der Angehörigen geben kann, die unabhängig von jenen des Verstorbenen einen Anspruch begründen können, muss im vorliegenden Fall nicht entschieden werden. Diese Frage könnte sich insbesondere dann stellen, wenn der Verstorbene der Veröffentlichung zugestimmt hatte oder wenn er sie aus anderen Gründen hinnehmen musste (vgl 3 Ob 17/55, wonach ein Anspruch der Angehörigen in einem solchen Fall trotzdem möglich scheint).

 

Die soeben dargestellte Wertung ist auch bei der Auslegung von § 85 UrhG zu beachten. Hätte der Verstorbene ein berechtigtes Interesse an einer Urteilsveröffentlichung gehabt, wird auch ein entsprechendes Interesse des Angehörigen bestehen. Auch hier ist es daher nicht erforderlich, dass der Angehörige besonders begründet, weshalb er selbst ein über die Wahrung des Ansehens des Betroffenen hinausgehendes Interesse an der Veröffentlichung hätte.

 

Dass die in Betracht kommenden Angehörigen den Anspruch nur gemeinsam geltend machen könnten, lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen. Die Rechtsmittelbeantwortung weist hier zutreffend darauf hin, dass auch jeder einzelne Miteigentümer Eingriffe in das Eigentum an einer gemeinsamen Sache abwehren kann. Nichts anderes kann gelten, wenn durch den Eingriff in das Ansehen oder die Privatsphäre eines Verstorbenen mittelbar die Interessen mehrerer Angehöriger beeinträchtigt werden. Ob und gegebenenfalls wer einer Veröffentlichung nach dem Tod des Betroffenen wirksam zustimmen könnte, ist hier nicht zu klären. Ebenso kann zufolge rechtskräftiger Abweisung des Zahlungsbegehrens offen bleiben, ob Angehörige bei Veröffentlichungen nach dem Tod des Abgebildeten auch einen eigenen immateriellen Schadenersatzanspruch haben können.

 

Die Einhaltung der journalistischen Sorgfalt ist in § 78 UrhG nicht als Rechtfertigungsgrund vorgesehen; eine durch Analogie zu schließende Gesetzeslücke liegt nicht vor. Denn das grundrechtlich geschützte Informationsinteresse der Medien ist ohnehin im Rahmen der jedenfalls durchzuführenden Interessenabwägung zu berücksichtigen. Bei der gebotenen Gesamtbetrachtung kann hier durchaus von Bedeutung sein, ob das belangte Medium die journalistische Sorgfalt eingehalten hat. So ist bei einem Bericht über einen Verdacht ua maßgebend, ob die Verdachtslage objektiviert war und ob dem Betroffenen Gelegenheit zur Äußerung gegeben wurde. Die Einführung eines gesonderten Rechtfertigungsgrundes ist daher nicht erforderlich.

 

Auf der Grundlage dieser Erwägungen ist die Entscheidung der Vorinstanzen nicht zu beanstanden. Der Beitrag der Beklagten hätte zu Lebzeiten des Abgebildeten zweifellos dessen berechtigte Interessen beeinträchtigt. Für seine in der Überschrift und im Text nahe gelegten und bildlich sogar explizit dargestellten Verbindungen zum Rotlichtmilieu gibt es keinen Anhaltspunkt; dass Kunden eines Anwalts in solchen Kreisen verkehren, rechtfertigt keinesfalls den Schluss auf diesen selbst. Auch den Äußerungen des Pressesprechers konnte die Journalistin der Beklagten solches nicht entnehmen. Das Interesse, über die mögliche Nutzung eines Reisebüros als - nicht näher konkretisierten - „Deckmantel“ zu berichten, wiegt die massive Beeinträchtigung der Interessen des Betroffenen und damit des Klägers nicht auf, die durch die konkrete Gestaltung des Beitrags bewirkt wurde. Daher kann offen bleiben, ob es überhaupt ein berechtigtes Vertrauen darauf geben kann, dass eine nur unter der Hand gegebene Information durch einen Pressesprecher der Polizei tatsächlich so unbedenklich ist, dass ohne weitere Recherche darüber berichtet werden darf. Es besteht auch ein berechtigtes Interesse an der Veröffentlichung des Urteils, weil dadurch das Ansehen des Abgebildeten wiederhergestellt werden kann, was auch im Interesse der Angehörigen liegt. Da die Beklagte keine solche Veröffentlichung angeboten hat, konnte ihr Angebot eines Unterlassungsvergleichs die Vermutung der Wiederholungsgefahr nicht beseitigen.