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16.08.2014 Zivilrecht

OGH: Sachverständigenhaftung iZm Verhängung der Untersuchungshaft / Anwendung gelinderer Mittel (§ 173 Abs 5 StPO)

Jedenfalls solange die Untersuchungshaft andauert, steht dem im Zivilverfahren erhobenen Schadenersatzbegehren die Bindungswirkung dieser Entscheidung entgegen; dieser Grundsatz ist auch auf einen Fall des § 173 Abs 5 StPO anzuwenden, solange die gelinderen Mittel aufrecht angeordnet sind


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Sachverständige, Haftung, Verhängung der Untersuchungshaft, Anwendung gelinderer Mittel, Bindungswirkung
Gesetze:

§§ 1295 ff ABGB, § 173 StPO

GZ 6 Ob 83/14w [1], 26.06.2014

 

OGH: Nach stRsp des OGH haftet zwar der vom Gericht bestellte Sachverständige den Prozessparteien gegenüber persönlich nach §§ 1295, 1299 ABGB für die Folgen eines in einem Zivilprozess erstatteten unrichtigen Gutachtens, was auch für den im Strafverfahren bestellten Sachverständigen zugunsten des Angeklagten bzw Beschuldigten zu gelten hat. Allerdings kann in Strafsachen der Verurteilte, solange das verurteilende Strafurteil aufrecht ist, vom Sachverständigen, auf dessen Gutachten sich das Urteil stützt, nicht Schadenersatz wegen unrichtiger Begutachtung begehren, hat das Zivilgericht doch, solange das strafgerichtliche Erkenntnis nicht beseitigt ist, bindend davon auszugehen, dass der Verurteilte die im Strafurteil festgestellte Tat tatsächlich begangen hat.

 

Damit schließt es die Ausgestaltung des strafrechtlichen Rechtsschutzsystems aus, während des anhängigen Verfahrens eine Überprüfung der Ergebnisse des Strafverfahrens im Zivilverfahren herbeizuführen. Schon die Möglichkeit, derartige Klagen als Druckmittel zu missbrauchen, zwingt hier zu einer zurückhaltenden Beurteilung. Dabei geht es nicht nur um den Schutz der Person des Sachverständigen, sondern auch der Funktionsfähigkeit der Justiz insgesamt.

 

Diese Grundsätze gelten auch für den Fall der Verhängung der Untersuchungshaft; jedenfalls solange die Untersuchungshaft andauert, steht dem im Zivilverfahren erhobenen Schadenersatzbegehren die Bindungswirkung dieser Entscheidung entgegen.

 

Nach § 173 Abs 1 StPO sind Verhängung und Fortsetzung der Untersuchungshaft nur auf Antrag der Staatsanwaltschaft und nur dann zulässig, wenn der Beschuldigte einer bestimmten Straftat dringend verdächtig, vom Gericht zur Sache und zu den Voraussetzungen der Untersuchungshaft vernommen worden ist und einer der im Abs 2 angeführten Haftgründe vorliegt. Sie darf nicht angeordnet oder fortgesetzt werden, wenn sie zur Bedeutung der Sache oder zu der zu erwartenden Strafe außer Verhältnis steht oder ihr Zweck durch Anwendung gelinderer Mittel (Abs 5) erreicht werden kann. Der Erstkläger wurde zwar zwischenzeitig aus der ursprünglich verhängten Untersuchungshaft entlassen, dies aber nur gegen Anwendung gelinderer Mittel (zuletzt Erlag einer Kaution, Gelöbnis und Verpflichtung zur Anzeige einer dauernden Wohnsitzverlegung sowie zur monatlichen Meldung beim Haftrichter).

 

Die von den Vorinstanzen vertretene Auffassung, die der Entscheidung 8 Ob 69/08t zugrunde gelegten Grundsätze seien auch auf einen Fall des § 173 Abs 5 StPO anzuwenden, solange die gelinderen Mittel aufrecht angeordnet sind, ist durchaus vertretbar; auch hier besteht ja Bindungswirkung einer strafgerichtlichen Entscheidung. Bejahte man hingegen die Möglichkeit, den Sachverständigen vor Beendigung dieser Maßnahmen mit einer auf die behauptete Unrichtigkeit des Gutachtens gestützten Schadenersatzklage zu belangen, käme es im Ergebnis auch in diesem Kontext zu einer Überprüfung des im Strafverfahren ergangenen Beschlusses auf Anordnung gelinderer Mittel anstelle der Verhängung bzw Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft. Ob der Sachverständige in dieser Funktion noch weiter am Strafverfahren beteiligt ist oder nicht, spielt dabei keine Rolle; es geht - wie schon erwähnt - nicht nur um eine allfällige Druckausübung auf den Sachverständigen, sondern auch um die formelle Frage der Bindungswirkung.

 

Damit ist aber für die Kläger aus der - von ihnen behaupteten - Fehler- und Mangelhaftigkeit des vom Beklagten erstatteten Sachverständigengutachtens in diesem ua auf § 1330 ABGB gestützten Verfahren nichts zu gewinnen.