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08.12.2014 Zivilrecht

OGH: Sachwalterbestellung bei verbindlicher Patientenverfügung?

Konkrete Hinweise, wonach der Patient bei Errichtung seiner Erklärung nicht frei von Willensmängeln war, entkräften die Patientenverfügung, womit im Hinblick auf den klaren Wortlaut des § 268 Abs 2 Satz 2 ABGB die Patientenverfügung die Bestellung eines Sachwalters (auch) für medizinische Belange selbst dann nicht hindern würde, sollte diese (noch) als beachtlich angesehen werden; eine bindende Entscheidung über die Beachtlichkeit der Patientenverfügung kommt im Sachwalterbestellungsverfahren nicht in Betracht


Schlagworte: Sachwalterschaft, Bestellung, verbindliche Patientenverfügung, Willensmängel
Gesetze:

§§ 268 ff ABGB, PatV

GZ 6 Ob 147/14g [1], 17.09.2014

 

OGH: Nach zweitinstanzlicher Rsp und Literatur ist für die Beurteilung der Frage, ob der Betroffene an einer psychischen Krankheit oder geistigen Behinderung leidet, „praktisch“ bzw in der „überwiegenden Zahl“ der Fälle ein Sachverständiger für Psychiatrie und/oder Neurologie beizuziehen. Maßgeblich ist aber va, dass es sich beim beigezogenen Sachverständigen um eine Person handelt, die aufgrund ihrer Ausbildung, ihres Berufs und ihrer Erfahrung geeignet ist, ein medizinisches Gutachten über den Gesundheitszustand des Betroffenen abzugeben, soweit es für die Beurteilung einer psychischen Krankheit oder geistigen Behinderung von Bedeutung ist.

 

Da die Qualifikation des hier beigezogenen Sachverständigen (für allgemeine Psychologie, klinische und Neuropsychologie und Sachwalterschaft) unter dem Gesichtspunkt seines Fachgebiets im Rekurs nicht in Frage gestellt wurde und auch das Rekursgericht die Fachkunde dieses Sachverständigen ausdrücklich nicht anzweifelte, ist es der Betroffenen verwehrt, nunmehr im Revisionsrekursverfahren diesen (angeblichen) Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens aufzugreifen.

 

Die Betroffene hat am 2. 10. 2013 eine verbindliche Patientenverfügung errichtet. Die erhöhten und formalisierten Errichtungsbestimmungen rechtfertigen es, dass eine verbindliche Patientenverfügung Arzt, Pflegepersonal und Angehörige als deren Adressaten im Rahmen des Behandlungsvertrags als vorweg vorgenommene Festlegung unmittelbar bindet. Dementsprechend schließt § 268 Abs 2 Satz 2 ABGB idF SWRÄG 2006 eine Sachwalterbestellung aus, soweit durch eine verbindliche Patientenverfügung für die Besorgung der Angelegenheiten der behinderten Person im erforderlichen Ausmaß vorgesorgt ist (Subsidiaritätsprinzip im Sachwalterrecht). Eine verbindliche Patientenverfügung bindet den Arzt daher in gleicher Weise wie eine aktuelle Behandlungsentscheidung des Patienten. Da insoweit die Willensbildung verbindlich erfolgt ist, bedarf es auch keines Sachwalters.

 

In ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs übersieht die Betroffene, der (dennoch) ein Sachwalter gem § 268 Abs 3 Z 3 ABGB für alle Angelegenheiten bestellt wurde, in diesem Belang allerdings die Feststellung der Vorinstanzen, dass es ihr bei Errichtung der Patientenverfügung an der erforderlichen Einsichts- und Urteilsfähigkeit mangelte. Diese Feststellung gründet - entgegen der im außerordentlichen Revisionsrekurs vertretenen Meinung - auf den Ausführungen des Sachverständigen. Konkrete Hinweise, wonach der Patient bei Errichtung seiner Erklärung nicht frei von Willensmängeln war, entkräften aber die Patientenverfügung, womit im Hinblick auf den klaren Wortlaut des § 268 Abs 2 Satz 2 ABGB die Patientenverfügung der Betroffenen vom 2. 10. 2013 die Bestellung eines Sachwalters (auch) für medizinische Belange selbst dann nicht hindern würde, sollte diese (noch) als beachtlich angesehen werden, wie der außerordentliche Revisionsrekurs nunmehr meint (ErläutRV 1299 BlgNR 22. GP 8 [„Andernfalls muss ein Sachwalter bestellt werden.“]).

 

Entgegen dessen Auffassung kommt aber auch eine bindende Entscheidung über die Beachtlichkeit dieser Patientenverfügung im Sachwalterbestellungsverfahren nicht in Betracht. Nach nunmehr stRsp hat der Außerstreitrichter nämlich entgegen der von Gitschthaler und noch von 9 Ob 82/97t vertretenen Auffassung nicht festzustellen, in welchem in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt die (Verfahrens-)Unfähigkeit eingetreten ist. Dies gilt auch für die hier zu beurteilende Frage der Einsichts- und Urteilsfähigkeit der Betroffenen bei Errichtung der Patientenverfügung.

 

Wenn die Betroffene im außerordentlichen Revisionsrekurs auf praktische Probleme iZm der Patientenverfügung hinweist, sei doch etwa in einem Unterbringungsverfahren im Hinblick auf diese Verfügung die Gabe eines Depot-Antipsychotikums für unzulässig erklärt worden, obwohl das Gericht Zweifel an der Wirksamkeit der Verfügung gehabt haben soll, so hindert dies ebenfalls nicht die Bestellung eines Sachwalters für medizinische Angelegenheiten; vielmehr ist das Gegenteil der Fall. Es ist nämlich auf jene Rsp zu verweisen, wonach auch die Prüfung der Frage, ob schon vor der Eröffnung der Pflegschaft vom Betroffenen nachteilige Rechtsgeschäfte geschlossen wurden, zum Aufgabenkreis des Sachwalterschaftsgerichts gehören, wenn ausreichende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass solche Geschäfte vorgenommen wurden, noch immer nachteilige Folgen nach sich ziehen und wenn der Verdacht besteht, dass der Mangel der Geschäftsfähigkeit schon zum Zeitpunkt der Vornahme derartiger Geschäfte bestanden hat.