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24.12.2014 Zivilrecht

OGH: § 364 Abs 2 ABGB – zur Frage der Zurechnung von Benützungshandlungen der Allgemeinheit an den Eigentümer von im Gemeingebrauch stehenden Liegenschaften

Die beklagte Stadt hat sich aus welchen - öffentlichen - Interessen auch immer entschlossen, Teile einer in ihrem Eigentum stehenden Liegenschaft für eine bestimmte Nutzung für die Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen, ohne dass dabei ein besonderes Verkehrsbedürfnis einer Gruppe oder sonst eine uneinschränkbare Verpflichtung festgestellt werden konnte; durch diese eigene Entscheidung der beklagten Stadt kann diese aber keine Einschränkung ihrer Recht als Grundeigentümer nachweisen, die sie darin hindern würde, diese Nutzung so zu regeln, dass die von ihrem Grundstück ausgehenden Immissionen auf das Grundstück der Kläger unterbunden werden können


Schlagworte: Nachbarrecht, Immissionen, Gemeingebrauch, Zurechnung von Benützungshandlungen der Allgemeinheit
Gesetze:

§ 364 ABGB

GZ 8 Ob 20/14w [1], 30.10.2014

 

Die Beklagte macht geltend, es liege kein Zusammenhang zwischen ihrer Sachherrschaft und den Störern vor. Zwischen der Beklagten und den jeweiligen Besuchern der Aussichtsplattform bestehe kein Rechtsverhältnis. Es würden kaum zumutbare Verhinderungsmöglichkeiten bestehen. Die Aussichtsplattform sei öffentlich zugänglich.

 

OGH: Jeder Eigentümer eines Grundstücks kann nach § 364 Abs 2 ABGB dem Nachbarn die von dessen Grund ausgehenden Einwirkungen durch Abwässer, Rauch, Lärm etc untersagen, soweit sie das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreiten und die ortsübliche Benutzung des Grundstücks wesentlich beeinträchtigen. Eine unmittelbare Zuleitung ist ohne besonderen Rechtstitel jedenfalls unzulässig.

 

Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei der vorliegenden Klage um eine solche nach § 364 Abs 2 ABGB als Anwendungsfall der actio negatoria handelt.

 

Den Eigentümer der Nachbarliegenschaft trifft als Reflex seiner Unterlassungspflicht auch eine Hinderungspflicht im Hinblick auf Störungen Dritter. Verursacht ein anderer die Störung, so wird die Haftung des Nachbarn dann als gerechtfertigt erachtet, wenn er die Einwirkung duldet, obwohl er sie zu hindern berechtigt und dazu auch imstande gewesen wäre. Die Haftung des Grundeigentümers wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass ein solcher Dritter aus eigenem Antrieb und selbstverantwortlich handelt. Insoweit bedarf die Verpflichtung des Grundeigentümers auch keines über das aus dem Eigentumsrecht abzuleitende Bestimmungs- und Ausschließungsrecht (vgl § 354 ABGB) hinausgehenden Rechtsverhältnisses.

 

Das wesentliche Kriterium für die Passivlegitimation bildet bei von der Nachbarliegenschaft ausgehenden Störungen also die Frage, inwieweit die Beklagte als Grundeigentümerin zur Verhinderung der Störungshandlungen auch imstande ist.

 

Damit ist auf ihre Einwände einzugehen, dass ihr eine Unterbindung der Störung wegen des bestehenden Gemeingebrauchs, der mangelnden Rechtsbeziehung der Beklagten zu den Störern und auch faktisch nicht möglich sei.

 

Als Gemeingebrauch wird die jedermann unter gleichen Bedingungen ohne besondere behördliche Bewilligung und ohne Zustimmung des über die betroffene Liegenschaft Verfügungsberechtigten zustehende Freiheit verstanden, bestimmte Sachen entsprechend ihrer Zweckbestimmung bzw im Rahmen der Üblichkeit zu verwenden.

 

Der Gemeingebrauch bewirkt, dass der Eigentümer den Gebrauch der Sache durch andere nicht hindern kann, sofern sich diese im Rahmen des Gemeingebrauchs halten.

 

Der Eigentümer hat über die Sache nur noch die rechtliche Verfügungsbefugnis, aber nicht die tatsächliche Sachherrschaft.

 

Der Gemeingebrauch besteht nicht nur am „öffentlichen Gut“ - im Eigentum einer Gebietskörperschaft stehende, dem Gemeingebrauch dienende „Landstraßen, Ströme, Flüsse, Seehäfen, und Meeresufer“ (§ 287, 288 ABGB) -, sondern kann auch am Privateigentum begründet werden. Die beklagte Stadt hat gar nicht eingewendet, dass es sich bei ihrer Liegenschaft um ein öffentliches Gut im oben dargestellten Sinne handle.

 

Der wesentliche Einwand der beklagten Stadt liegt vielmehr darin, dass an der im Privateigentum stehenden Liegenschaft ein Gemeingebrauch vorhanden sei.

 

Der Gemeingebrauch entsteht aufgrund ausdrücklicher Widmung durch Gesetz, Verordnung, Erklärung der zuständigen Verwaltungsbehörde oder die „Ersitzung“ durch entsprechend langdauernde Benützung. Er wird auch als eine Art öffentlich-rechtliche Dienstbarkeit bezeichnet. Die Beklagte hat sich allerdings auf kein Gesetz, keine Verordnung und keinen Verwaltungsakt, sondern nur auf die langdauernde Nutzung berufen.

 

Zum Gemeingebrauch an privaten Liegenschaften wurde bereits zutreffend herausgearbeitet, dass zwischen öffentlich-rechtlichem Gemeingebrauch und den privatrechtlichen Dienstbarkeiten zu unterscheiden ist. Die „echten“ Dienstbarkeiten beruhen ja auch auf einem privatrechtlichen Titel, sodass keine Dienstbarkeit vorliegt, wenn der Eigentümer bestimmte Eingriffe ex lege oder kraft öffentlich-rechtlicher Bestimmung im Rahmen des Gemeingebrauchs dulden muss.

 

Diese Unterscheidung zwischen öffentlich-rechtlichem Gemeingebrauch und privatrechtlicher Dienstbarkeit erhellt etwa auch aus dem zur Verfügung gestellten Rechtsschutz. Bei der Durchsetzung des auf öffentlich-rechtlichen Regelungen beruhenden „Gemeingebrauchs“ wird meist ein privatrechtlicher Unterlassungsanspruch gegen die Beschränkung des Gemeingebrauchs verneint. Inwieweit ein subjektives öffentliches Recht auf ungestörte Ausübung oder sogar auf Aufrechterhaltung eines bestehenden Gemeingebrauchs besteht, ist danach aufgrund der konkret anwendbaren Verwaltungsvorschriften zu entscheiden, beides wird aber meist verneint. Jedenfalls wird vertreten, dass die Durchsetzung nicht vor den Gerichten, sondern nur vor den Verwaltungsbehörden erfolgen kann.

 

Auch bei der Frage der erforderliche Dauer der Benützung wird dies im öffentlich-rechtlichen Bereich teilweise von den anwendbaren Verwaltungsvorschriften (etwa von den verschiedenen Landesstraßengesetzen) vorgegeben, während im privatrechtlichen Bereich die Bestimmungen des ABGB zur Anwendung gelangen.

 

Die Bedeutung der Zuordnung des hier zu prüfenden, nicht auf öffentlich-rechtliche Vorschriften zur Wahrung allgemeiner Interessen beruhenden „Gemeingebrauchs“ zeigt sich auch insoweit, als jedenfalls dort, wo nicht öffentlich-rechtliche Regelungen zugrunde liegen, von der Judikatur für einen durch langdauernde Benützung (Ersitzung) entstandenen „Gemeingebrauch“ zusätzlich ein dringendes Verkehrsbedürfnis der Gesamtheit der Benützenden gefordert wird. Für die Ersitzung einer solchen „Dienstbarkeit“ bedarf es also der Besitzausübung zur Verfolgung bestimmter Interessen von Personengruppen.

 

Hier hat die beklagte Stadt ein ihr gehörendes Bauwerk für den Gebrauch durch die Allgemeinheit als Aussichtsplattform geöffnet. Öffentlich-rechtliche Vorschriften, die den Umfang der Öffnung regeln und die beklagte Stadt allenfalls über eine lang andauernde Benützung binden würden, wurden nicht geltend gemacht. Ebensowenig ist ersichtlich, welche Gruppe von Benützenden zur Verfolgung eines konkreten Verkehrsbedürfnisses hier eine Dienstbarkeit nach privatem Recht erworben haben soll, die die Beklagte binden könnte. Jedenfalls aber sind keine Rechtspositionen ersichtlich, die einer Regelung, Einschränkung oder Gestaltung der Nutzungsmöglichkeiten, zur Verhinderung unzulässiger Emissionen entgegenstehen würden.

 

Es verbleibt im Ergebnis dabei, dass die beklagte Stadt sich aus welchen - öffentlichen - Interessen auch immer entschlossen hat, Teile einer in ihrem Eigentum stehenden Liegenschaft für eine bestimmte Nutzung für die Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen, ohne dass dabei ein besonderes Verkehrsbedürfnis einer Gruppe oder sonst eine uneinschränkbare Verpflichtung festgestellt werden konnte. Durch diese eigene Entscheidung der beklagten Stadt kann diese aber keine Einschränkung ihrer Recht als Grundeigentümer nachweisen, die sie darin hindern würde, diese Nutzung so zu regeln, dass die von ihrem Grundstück ausgehenden Immissionen auf das Grundstück der Kläger unterbunden werden können.

 

Dass der OGH in seiner Entscheidung 5 Ob 133/09h die Ansicht vertreten hat, dass allein das Aufstellen von Verbotstafeln, mit denen das Hinabwerfen von Gegenständen für unzulässig erklärt wird, keine effektive Verhinderungsmöglichkeit bietet, ändert schon deshalb nichts an der Verpflichtung der Beklagten, geeignete Schritte zu unternehmen, weil die Beklagte ja nicht auf diese Möglichkeit beschränkt ist, sondern die Nutzung insoweit umfassend regeln kann.