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30.12.2014 Zivilrecht

OGH: Haftpflichtversicherung und Rettungspflicht nach § 62 VersVG

Führen in der Haftpflichtversicherung mehrere - grundsätzlich unter den Versicherungsschutz fallende - Verstöße zu einem einheitlichen Schaden und damit zum Eintritt eines Versicherungsfalls, dann kann nicht einer dieser Verstöße als Verletzung der Rettungspflicht nach § 62 VersVG qualifiziert werden; Leistungsfreiheit der Beklagten wegen Verletzung der Rettungspflicht scheidet demnach aus


Schlagworte: Versicherungsrecht, Haftpflichtversicherung, Rettungspflicht
Gesetze:

§§ 149 ff VersVG, § 62 VersVG

GZ 7 Ob 108/14d [1], 29.10.2014

 

OGH: Gem § 62 VersVG ist der Versicherungsnehmer verpflichtet, bei Eintritt des Versicherungsfalls nach Möglichkeit für die Abwendung und Minderung des Schadens zu sorgen und hat dabei, soweit ihm dies möglich ist, Weisungen des Versicherers einzuholen und zu befolgen. Hat der Versicherungsnehmer diese Obliegenheit verletzt, so ist der Versicherer von seiner Leistungsverpflichtung befreit, es sei denn, dass die Obliegenheitsverletzung weder auf Vorsatz noch auf grober Fahrlässigkeit beruht. Bei grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung durch den Versicherungsnehmer hat der Versicherer nur insoweit eine Leistung zu erbringen, als der Umfang des Schadens auch bei gehöriger Erfüllung der Obliegenheit nicht geringer gewesen wäre. Die Rettungsverpflichtung nach § 62 VersVG beginnt objektiv mit dem Versicherungsfall. Sie gilt zeitlich unbeschränkt, solange der Schaden abgewendet oder gemindert oder der Umfang der Entschädigung gemindert werden kann. Sie verlangt inhaltlich vom Versicherungsnehmer, die ihm in der jeweiligen Situation möglichen und zumutbaren Rettungsmaßnahmen unverzüglich und mit der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt zu ergreifen, wie wenn er nicht versichert wäre. Er hat in der jeweiligen Situation unverzüglich, auch wenn der Erfolg zweifelhaft ist, einzuschreiten. Die konkret in Betracht kommende Maßnahme muss generell geeignet sein, den Schaden abzuwenden oder zu mindern. Zu zweck- oder sinnlosen Rettungsmaßnahmen ist der Versicherungsnehmer nicht verpflichtet.

 

Entsteht ein einheitlicher Schaden durch mehrere - vom Versicherungsschutz an sich umfasste - Verstöße, dann verbietet sich die Annahme, einer dieser Verstöße stelle eine Verletzung der Rettungspflicht nach § 62 VersVG dar. Es darf nicht übersehen werden, dass in der Haftpflichtversicherung gem § 152 VersVG die Leistungsfreiheit des Versicherers nur bei vorsätzlicher Herbeiführung des Versicherungsfalls eintritt. Nach § 149 VersVG hat der Haftpflichtversicherer dem Versicherungsnehmer die Leistung zu ersetzen, die dieser aufgrund seiner Verantwortlichkeit für eine während der Versicherungszeit eintretende Tatsache an einen Dritten zu bewirken hat. Demgegenüber ist die sog Rettungspflicht für sämtliche Versicherungszweige der Schadensversicherung in § 62 VersVG geregelt, der bezüglich eines Verstoßes gegen diese Verpflichtung geringere Voraussetzungen für den Wegfall der Leistungspflicht des Versicherers vorsieht. Beurteilte man einen an sich in der Haftpflichtversicherung versicherten Verstoß nach § 62 VersVG, widerspräche dies dem Grundsatz, dass in der Haftpflichtversicherung nur die vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalls den Versicherungsschutz auszuschließen vermag.