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13.01.2015 Zivilrecht

OGH: Zur Haftung nach dem PHG

Überzogene Sicherheitserwartungen stehen im Widerstreit mit dem Interesse der Allgemeinheit an der Verfügbarkeit von Produkten am Markt sowie der technischen, va aber auch wirtschaftlichen Machbarkeit; jeder Mehrgewinn an Sicherheit verursacht Kosten; würde bei allen Produkten die höchstmögliche Sicherheit verlangt, die technisch realisierbar ist, würde im Ergebnis nicht nur die Produktvielfalt beschränkt (weil nichts mehr auf den Markt gebracht werden könnte, was auch nur geringfügig weniger risikobehaftet ist), sondern damit auch die Leistbarkeit derartiger Produkte


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Produkthaftung, Fehler, überzogene Sicherheitserwartungen
Gesetze:

§ 5 PHG

GZ 3 Ob 168/14y [1], 22.10.2014

 

OGH: Ein Produkt ist nach § 5 Abs 1 PHG fehlerhaft, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die man unter Berücksichtigung aller Umstände zu erwarten berechtigt ist, insbesondere (Z 2) angesichts des Gebrauchs, mit dem billigerweise gerechnet werden muss. Das Vorliegen eines Fehlers ist am Kriterium der Sicherheitserwartung durchschnittlicher Verbraucher dieses Produkts zu messen.

 

Das PHG unterscheidet zwischen Konstruktions-, Produktions- und Instruktionsfehlern. Ein Konstruktionsfehler liegt vor, wenn die Enttäuschung der Sicherheitserwartung im technischen Konzept des Produkts begründet ist. Entspricht zwar das technische Konzept, aber nicht das einzelne Stück den Erwartungen, weil der Produktionsprozess mangelhaft war, liegt ein Produktionsfehler vor. Ein Produktfehler kann weiters in einer unzureichenden Darbietung des Produkts, etwa dem Fehlen wichtiger Gebrauchshinweise, begründet sein (Instruktionsfehler).

 

Zur Gewährleistung der erforderlichen Produktsicherheit wird dem Hersteller bereits im Rahmen der Konzeption und Planung des Produkts die Verpflichtung auferlegt, diejenigen Maßnahmen zu treffen, die zur Vermeidung einer Gefahr objektiv erforderlich und nach objektiven Maßstäben zumutbar sind. Die normgerechte oder anderen technischen Standards entsprechende übliche Herstellungsart indiziert die Fehlerfreiheit des Produkts; der Standard von Wissenschaft und Technik konkretisiert die berechtigten Sicherheitserwartungen des durchschnittlichen Produktbenützers. Erforderlich sind daher die Sicherheitsmaßnahmen, die nach dem im Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Produkts vorhandenen neuesten Stand der Wissenschaft und Technik konstruktiv möglich sind und als geeignet und genügend erscheinen, um Schäden zu verhindern.

 

Für die Beurteilung der Fehlerhaftigkeit eines Produkts ist nicht strikt auf den bestimmungsgemäßen Gebrauch, sondern auf alle Gebrauchsmöglichkeiten abzustellen, die bei objektiver Betrachtung aus der Perspektive des Herstellers als denkmöglich in Betracht zu ziehen sind, was selbst außergewöhnliche Nutzungen, die als noch sozialüblicher Abusus anzusehen sind, einschließt. Nur für objektiv unvorhersehbare oder geradezu absurde Nutzungen hat der Hersteller nicht einzustehen.

 

Nach den Feststellungen entsprach die Maschine nicht nur zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens, sondern auch zum Unfallszeitpunkt dem Stand der Technik, wodurch die Fehlerfreiheit indiziert ist.

 

Die Vorinstanzen sind zusätzlich auf die technischen Möglichkeiten eingegangen, die einen Unfall wie den vorliegenden verhindern hätten können.

 

Nach den Feststellungen wäre eine Verringerung des Spalts zwischen Antriebsscheibe und Gehäuse auf ein Maß, das das Einziehen des Kabels unmöglich macht, zwar aus technischer Sicht möglich, aufgrund der elastischen Antriebsscheibe allerdings schwer realisierbar. Ein gewisses Spaltmaß muss beibehalten werden, da sonst das Lenken der Maschine nicht gewährleistet ist. Darüber hinaus wäre das Schließen des Einzugspalts mit einem hochstehenden Steg möglich, doch auch dann könnte sich das Kabel um die Antriebsscheibe wickeln. Eine Abschrägung der Padscheibe könnte zwar eine Umwicklung des Kabels verhindern, allerdings könnte dann nicht mehr in Ecken poliert werden, wodurch der zweckmäßige Gebrauch der Maschine verhindert wird. Der Einbau eines Induktionssensors wäre zwar technisch möglich, würde aber mit hoher Wahrscheinlichkeit die Gesamtkosten der Maschine übersteigen. Sonstige Maßnahmen zur Vermeidung eines möglichen Kabeleinzugs bedürfen nach den Feststellungen noch einer gesonderten technischen Entwicklungstätigkeit, die mit hohen Kosten verbunden ist.

 

Ob eine (weitere) Sicherungsmaßnahme nach objektiven Maßstäben zumutbar ist, lässt sich nur unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls im Rahmen einer Gesamtbetrachtung beurteilen. Die Ansicht der Vorinstanzen, jede Maschine berge ein gewisses Restrisiko, dem im vorliegenden Fall durch Konstruktion und Instruktion ausreichend begegnet worden sei, während weitere Sicherheitsmaßnahmen nicht angezeigt gewesen seien, ist jedenfalls vertretbar.

 

Überzogene Sicherheitserwartungen stehen im Widerstreit mit dem Interesse der Allgemeinheit an der Verfügbarkeit von Produkten am Markt sowie der technischen, va aber auch wirtschaftlichen Machbarkeit. Jeder Mehrgewinn an Sicherheit verursacht Kosten. Würde bei allen Produkten die höchstmögliche Sicherheit verlangt, die technisch realisierbar ist, würde im Ergebnis nicht nur die Produktvielfalt beschränkt (weil nichts mehr auf den Markt gebracht werden könnte, was auch nur geringfügig weniger risikobehaftet ist), sondern damit auch die Leistbarkeit derartiger Produkte.

 

Es ist nicht richtig, dass die Vorinstanzen den maßgebenden „Stand der Wissenschaft und Technik“ mit „Branchenüblichkeit“ gleichgesetzt hätten, wie die klagende Partei meint. Das Erstgericht hat auf der Grundlage des von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens den Stand der Technik ermittelt; nach eben diesem Sachverständigengutachten entsprach die Maschine - auch wenn sie gefährlich ist - zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens (und auch des Unfalls) dem Stand der Technik.

 

Wie bereits erwähnt ist das Vorliegen eines Fehlers am Kriterium der Sicherheitserwartung durchschnittlicher Verbraucher eines Produkts zu messen. Entscheidend sind die berechtigten Sicherheitserwartungen eines „idealtypischen“ durchschnittlichen Produktbenützers.

 

Entgegen der Ansicht der Revisionswerberin ist die Ansicht, die Sicherheitserwartung des durchschnittlichen Produktbenützers sei im vorliegenden Fall nicht enttäuscht worden, durchaus vertretbar. Maßgeblich sind die Sicherheitserwartungen professioneller Reinigungskräfte.

 

Die Maschine verfügt über einen - auch heute noch dem Stand der Technik entsprechenden - Totmannschalter, der bei Loslassen die Maschine automatisch binnen 0,5 Sekunden zum Stillstand bringt. Nach den Feststellungen wurde die Verunfallte bei der Einschulung auf die Notwendigkeit hingewiesen, bei Gefahr den Totmannschalter auszulassen, weiters darauf, dass das Kabel nicht um den Hals oder die Schulter gelegt werden soll, da ansonsten Strangulationsgefahr besteht. Außerdem wurde dem Bedienungspersonal bewusst gemacht, dass ein Überfahren des Kabels eine Gefahr darstellt.

 

Auch ein Instruktionsfehler - infolge eines angeblich nicht ausreichenden Hinweises auf die mit der Verwendung der Maschine verbundenen Gefahren - ist zu verneinen. In der Bedienungsanleitung findet sich der Hinweis auf die „Gefahr der Verwicklung des Kabels bei sich drehender Bürste“. Bei der Einschulung im Jahr 2005 wurde die Verunfallte auf dass Strangulationsrisiko hingewiesen, wenn das Kabel (zumindest) um die Schulter gelegt wird.