OGH > Zivilrecht
30.03.2015 Zivilrecht

OGH: Weiterentwicklung der Rsp zur Höhe von Schmerzengeldansprüchen bei schweren Verletzungen mit Dauerfolgen

Die Zukunfts- und Todesangst, die als „seelisch bedingter Folgeschaden der Verletzungshandlung“ ersatzfähig ist, liegt hier in einem zeitlich besonders ausgedehnten Ausmaß vor und stellt damit eine in die Schmerzengeldbemessung einfließende, ganz wesentliche Verletzungsfolge dar


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Schmerzengeld, schwere Verletzung mit Dauerfolge, Zukunfts- und Todesangst
Gesetze:

 

§ 1325 ABGB

 

GZ 2 Ob 175/14w [1], 22.01.2015

 

OGH: Das Schmerzengeld ist die Genugtuung für alles Ungemach, das der Geschädigte infolge seiner Verletzungen und ihrer Folgen zu erdulden hat. Es soll den Gesamtkomplex der Schmerzempfindungen unter Bedachtnahme auf die Dauer und die Intensität der Schmerzen nach ihrem Gesamtbild, auf die Schwere der Verletzungen und auf das Maß der physischen und psychischen Beeinträchtigung des Gesundheitszustands abgelten und die durch Schmerzen entstandenen Unlustgefühle ausgleichen. Das Schmerzengeld ist nach freier Überzeugung (§ 273 ZPO) unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls für alles Ungemach, das der Verletzte bereits erduldet hat und voraussichtlich noch zu erdulden haben wird, grundsätzlich global festzusetzen. Tendenziell erscheint es geboten, das Schmerzengeld nicht zu knapp zu bemessen. In die Globalbemessung des Schmerzengelds sind neben den bereits erlittenen Schmerzen auch künftige, nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge zu erwartende körperliche und seelische Schmerzen einzubeziehen. Unter diesem Gesichtspunkt kann etwa auch das Bewusstsein eines die gewohnte Lebensgestaltung nachhaltig beeinflussenden Dauerschadens und die damit verbundene seelische Belastung sowie das Gefühl der Todesangst bei der Bemessung des Schmerzengelds in Betracht zu ziehen sein.

 

Das Berufungsgericht hat zutreffend aufgezeigt, dass nach bisheriger Rsp die Zuerkennung von Schmerzengeld etwa in der Höhe der hier vom Erstgericht vorgenommenen Zumessung häufig im Fall von Lähmungen oder hirnorganischen Psychosyndromen erfolgte. So wurde in der Entscheidung 2 Ob 104/06t für einen zwanzigjährigen Mann mit schwerem Schädelhirntrauma samt (nahezu) apallischem Syndrom (Wachkoma) mit Lähmung aller Extremitäten und ohne sprachliche Äußerungsmöglichkeit ein Schmerzengeld von 180.000 EUR für angemessen erachtet. Mit der Entscheidung 2 Ob 180/04s wurde der zum Unfallszeitpunkt 41 Jahre alten Klägerin für ein schwerstes Schädelhirntrauma mit Gehirnquetschung, Hirnödem, Mittelgesichtsfraktur, Nasenbeinfraktur, Abknicktrauma der Halswirbelsäule, Tetraspastik mit Verkürzung der Muskulatur, schwerste Gehbehinderungen und 100 % Minderung der Erwerbsfähigkeit ohne Besserungsaussicht ein Schmerzengeldbetrag von 160.000 EUR zuerkannt.

 

Im vorliegenden Fall leidet die Klägerin zwar weder an vergleichbaren Gehirnschäden bzw Lähmungen, jedoch fällt hier besonders die Dauerfolge der sklerosierenden Cholangitis mit der Problematik des ungewissen Wartens auf eine Spenderleber und die damit im Zusammenhang stehende ständige Todesangst ins Gewicht.

 

Der gegenständliche Fall ist aber auch dadurch ganz wesentlich geprägt, dass die Klägerin durch den Unfall aus einem besonders sportlich aktiven Leben gerissen wurde und nunmehr neben der massiven Beeinträchtigung ihres Allgemeinzustands - der ihr seit diesem lebenseinschneidenden Ereignis jegliche sportliche (aber auch sexuell-partnerschaftliche) Aktivitäten verunmöglicht und dessen wahrscheinliche Verschlechterung allenfalls sogar dazu führen wird, dass ihr in Zukunft auch das Gehen unmöglich sein wird - in einer zeitlich unbegrenzten ständigen Unsicherheit wegen des Zustands ihrer Leber und deren voraussichtlich erforderlicher Transplantation lebt. Diese Umstände, insbesondere die zeitlich unbegrenzte Todesangst, rechtfertigen eine erhebliche Erhöhung des vom Berufungsgericht ausgemessenen Schmerzengelds. Diese Zukunfts- und Todesangst, die als „seelisch bedingter Folgeschaden der Verletzungshandlung“ ersatzfähig ist, liegt hier in einem zeitlich besonders ausgedehnten Ausmaß vor und stellt damit ebenfalls eine in die Schmerzengeldbemessung einfließende, ganz wesentliche Verletzungsfolge dar.

 

Die Zuerkennung höherer Beträge im Vergleich zu früheren Schmerzengeldzusprüchen ist einerseits aufgrund der inflationsbedingten Geldentwertung und andererseits aufgrund der oben zitierten Rsp, wonach das Schmerzengeld tendenziell nicht zu knapp zu bemessen ist, gerechtfertigt.

 

Der Senat hat kürzlich in der Entscheidung 2 Ob 83/14s iZm einer Klägerin, die von einem Traktoranhänger überrollt wurde und einen ausgedehnten Weichteilverlust vom Unterbauch bis zu den Oberschenkeln und zahlreiche Knochenbrüche im Beckenbereich erlitten hatte, samt zahlreicher Operationen und Rehabilitationen, einem künstlichen Darmausgang und Rückoperation, Gefühllosigkeit im Unterleib und dauerhaften starken Schmerzen trotz starker Medikamente (mit dadurch verursachter Opiatabhängigkeit), reaktiver Depression und posttraumatischer Belastungsstörung, ein Teilschmerzengeld von 170.000 EUR für vertretbar erachtet.

 

Im Lichte dieser jüngeren Rsp hält der Senat im konkreten Fall den begehrten Schmerzengeldbetrag von 130.000 EUR im Rahmen der Globalbemessung für angemessen.