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30.03.2015 Verfahrensrecht

OGH: Wiederaufnahme aufgrund neuer Tatsachen – subjektive Klagefrist gem § 534 Abs 2 Z 4 ZPO iZm DNA-Analyse als neue Methode der Abstammungsfeststellung

War die neue Erkenntnismethode (hier: DNA-Analyse) im Vorverfahren noch nicht verfügbar und beruft sich der Kläger nunmehr auf ein neu eingeholtes privates Gutachten, wird damit grundsätzlich ein tauglicher Wiederaufnahmsgrund geltend gemacht; allein die Kenntnis, dass ein Beweismittel vorhanden ist, das allenfalls zugunsten des eigenen Standpunktes sprechen könnte, verpflichtet noch nicht zur Erhebung einer Wiederaufnahmsklage bei sonstiger Verfristung; allein durch die Verfügbarkeit eines neuen Beweismittels ändert sich der Kenntnisstand des Wiederaufnahmswerbers nicht in der nach § 534 Abs 2 Z 4 ZPO für den Fristbeginn vorausgesetzten Weise; entscheidend für den Beginn der Klagefrist ist jener Tag, an dem der Kläger Kenntnis von neuen Tatsachen und Beweismitteln mit einem Wahrscheinlichkeitsgrad, der objektiv gesehen die Wiederaufnahme rechtfertigt, erlangt


Schlagworte: Wiederaufnahme, neue Tatsachen, DNA-Analyse, Abstammungsfeststellung, neue Tatsachen, subjektive Klagefrist
Gesetze:

 

§ 530 ZPO, § 534 ZPO

 

GZ 8 Ob 74/14m [1], 23.01.2015

 

OGH: Eine Wiederaufnahme wegen neu aufgefundener Beweismittel kommt in Frage, wenn im Vorprozess eine bestimmte Tatsache zwar behauptet wurde, aber nicht bewiesen werden konnte und die neu aufgefundenen Beweismittel eben den Beweis dieser Tatsache erbringen sollen.

 

Die neuen Tatsachen iSd § 530 Abs 1 Z 7 ZPO müssen im vorangegangenen Verfahren bereits entstanden oder vorhanden gewesen sein. Bei den neuen Beweismitteln kommt es nicht darauf an, wann diese entstanden sind; sie müssen sich nur auf Tatsachen beziehen, die schon vor Verfahrensabschluss erster Instanz vorhanden waren.

 

Baut ein später eingeholtes Gutachten auf einer neuen wissenschaftlichen Erkenntnismethode auf, die zur Zeit des Vorprozesses noch nicht bekannt war, handelt es sich um ein neues Beweismittel iSd § 530 Abs 1 Z 7 ZPO. Dass es sich bei der DNA-Analyse um eine Erkenntnismethode handelt, die im Zeitraum des Vorverfahrens noch nicht verfügbar war, ist offenkundig. Der Kläger, der die im Vorprozess vergeblich eingewendete biologische Unmöglichkeit seiner Vaterschaft unter Berufung auf ein neu eingeholtes privates DNA-Gutachten behauptet, macht damit grundsätzlich einen tauglichen Wiederaufnahmsgrund geltend. Es ist auch nicht zweifelhaft, dass eine Benützung dieses Beweismittels im Vorprozess geeignet gewesen wäre, eine für den Kläger günstigere Entscheidung herbeizuführen.

 

Die vierwöchige Notfrist für die Erhebung einer Wiederaufnahmsklage (§ 534 Abs 1 und Abs 2 Z 4 ZPO) ist im Fall des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO von dem Tag zu berechnen, an dem die Partei imstande war, die ihr bekannt gewordenen Tatsachen und Beweismittel bei Gericht vorzubringen.

 

Der Wiederaufnahmskläger muss die Beweismittel zunächst so weit kennen, dass er ihre Eignung für ein allfälliges Verfahren auch prüfen kann, andererseits beginnt die Frist nicht erst mit Erlangen der Gewissheit, dass sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer günstigeren Entscheidung führen werden.

 

Allein die Kenntnis, dass ein Beweismittel vorhanden ist, das allenfalls zugunsten des eigenen Standpunktes sprechen könnte, verpflichtet aber noch nicht zur Erhebung einer Wiederaufnahmsklage bei sonstiger Verfristung.

 

Nach § 534 Abs 2 Z 4 ZPO, der nur auf die Kenntnis der neuen Tatsachen bzw Beweismittel, aber nicht auf ein Kennenmüssen abstellt, ist der Wiederaufnahmskläger nicht verpflichtet, nach Schluss der mündlichen Verhandlung im Vorprozess schon aufgrund vager, eine Wiederaufnahmsklage für sich nicht rechtfertigender Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Wiederaufnahmsgrundes weitere Nachforschungen anzustellen. Ein fahrlässiges Nichtwissen ist nur soweit beachtlich, als es die Geltendmachung des Beweismittels vor Schluss der Verhandlung im Vorprozess verhinderte.

 

Nach seinem Vorbringen hegte der Kläger vor Bekanntwerden des Ergebnisses des DNA-Gutachtens keinen konkreten Verdacht gegen die Richtigkeit des unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen Urteils im Vorverfahren. Sein geschlechtlicher Verkehr mit der Mutter während der gesetzlichen Vermutungsfrist war unstrittig und das Verfahrensergebnis basierte - neben Zeugenaussagen - auf einem den wissenschaftlichen Möglichkeiten der Zeit entsprechenden Gutachten eines Sachverständigen.

 

Mangels konkreter und ernsthafter Zweifel des Klägers traf ihn aber auch keine Obliegenheit zu laufenden Nachforschungen über allfällige neue wissenschaftliche Erkenntnismethoden oder zur Erteilung privater Gutachtensaufträge, um seine angenommene Vaterschaft doch noch widerlegen zu können.

 

Entscheidend für den Beginn der Klagefrist war nach § 534 Abs 2 Z 4 ZPO vielmehr jener Tag, an dem der Kläger Kenntnis von neuen Tatsachen und Beweismitteln mit einem Wahrscheinlichkeitsgrad, der objektiv gesehen die Wiederaufnahme rechtfertigte, erlangt hat.

 

Bei der bloßen Verfügbarkeit einer neuen wissenschaftlichen Erkenntnismethode wie der DNA-Analyse handelt es sich um ein Beweismittel, das für sich allein keine Beurteilung der Eignung für eine Wiederaufnahmsklage zulässt. Da der Kläger damit gerechnet hatte, ohnehin der Vater der Beklagten zu sein und ihn wie - dargelegt - keine Nachforschungspflicht traf, konnte die bloße Verfügbarkeit einer neuen Untersuchungsmethode die subjektive Klagefrist nicht auslösen. Allein durch die Verfügbarkeit eines neuen Beweismittels ändert sich der Kenntnisstand des Wiederaufnahmswerbers nicht in der nach § 534 Abs 2 Z 4 ZPO für den Fristbeginn vorausgesetzten Weise. Er kann daraus noch nicht darauf schließen, dass das Beweismittel tatsächlich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem anderen, günstigeren Verfahrensergebnis führen würde.

 

Solange der Kläger an seiner Vaterschaft zur Beklagten nicht ernstlich zweifelte, war er nicht verpflichtet, nur aufgrund von Medienberichten über neuartige Testverfahren eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu betreiben, um einer Verfristung der Klage zu entgehen.

 

Erst mit Vorliegen des Privatgutachtens war der Kläger in der Lage, einen form- und inhaltsgerechten Beweisantrag zu stellen, ohne die bereits im Vorprozess erfolglos aufgestellte Behauptung des Ausschlusses seiner Vaterschaft entgegen § 178 Abs 1 ZPO ohne ausreichende Anhaltspunkte und deshalb „ins Blaue“ zu wiederholen.

 

Ein über die bloße abstrakte Möglichkeit hinausgehender höherer Grad der Wahrscheinlichkeit der Eignung eines DNA-Gutachtens, bei Benützung im früheren Verfahren eine für den Kläger günstigere Entscheidung herbeizuführen, also den Ausschluss seiner Vaterschaft erweisen zu können, war erst zu diesem Zeitpunkt gegeben.

 

Nach seinem für die Entscheidung maßgeblichen Vorbringen ist dem Kläger das für ihn überraschende Ergebnis des Privatgutachtens am 20. 3. 2014 bekannt geworden. Da die Klage bereits am 7. 4. 2014 eingebracht wurde, ist die vierwöchige Klagefrist gewahrt.