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29.06.2015 Zivilrecht

OGH: Überfahren einer am Boden liegenden (alkoholisierten) Person nach Dorffest und § 76 Abs 5 StVO

Ungeklärte Umstände dahingehend, warum der Kläger stürzte und warum er in der Folge auf der Fahrbahn liegen blieb, gehen zu seinen und nicht zu Lasten der beklagten Parteien und können das Mitverschulden des Klägers nicht ausschließen; da die übertretene Norm auch einen Schadensfall wie den vorliegenden verhindern soll, ist auch der Mitverschuldenszusammenhang zu bejahen


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Straßenverkehrsrecht, Fußgänger, Überfahren einer am Boden liegenden (alkoholisierten) Person nach Dorffest, Mitverschulden
Gesetze:

 

§§ 1295 ff ABGB, § 76 StVO, § 1304 ABGB, § 1311 ABGB

 

GZ 2 Ob 177/14i [1], 23.04.2015

 

OGH: Gem § 76 Abs 5 StVO haben Fußgänger die Fahrbahn in angemessener Eile zu überqueren und außerhalb von Schutzwegen den kürzesten Weg zu wählen. Sie dürfen dabei den Fahrzeugverkehr nicht behindern.

 

Dieser Anforderung hat der Kläger nicht entsprochen, weil er, nach Betreten der Fahrbahn zu Sturz gekommen, in dieser Position zumindest drei bis fünf Sekunden - wenn auch aus ungeklärter Ursache - verblieb.

 

Der Kläger hat daher objektiv gegen die Bestimmung des § 76 Abs 5 StVO verstoßen.

 

Anders als bei der Beurteilung nach § 9 EKHG trifft iZm dem Verschulden die Behauptungslast und Beweislast für Tatumstände, aus denen ein die Haftung für die Unfallfolgen begründendes Verschulden des Gegners abgeleitet wird, grundsätzlich denjenigen, der sich auf solch ein Verschulden beruft. Jede in dieser Richtung verbleibende Unklarheit geht in tatsächlicher Hinsicht zu Lasten dessen, der ein Verschulden des Gegners behauptet.

 

Wird ein Schadenersatzanspruch aber auf die Verletzung eines Schutzgesetzes gestützt, dann hat der Geschädigte (nur) den Schadenseintritt und die Verletzung des Schutzgesetzes als solche zu beweisen. Für letztere reicht der Nachweis, dass die Schutznorm objektiv übertreten wurde. Es ist daher der vom Schutzgesetz erfasste Tatbestand zu beweisen. Diese Grundsätze sind auch anzuwenden, wenn dem Geschädigten die Verletzung eines Schutzgesetzes als Mitverschulden vorgeworfen wird.

 

Diese objektive Schutzgesetzverletzung haben die beklagten Parteien hier nachgewiesen. Ungeklärte Umstände dahingehend, warum der Kläger stürzte und warum er in der Folge auf der Fahrbahn liegen blieb, gehen daher - entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts - zu seinen und nicht zu Lasten der beklagten Parteien und können das Mitverschulden des Klägers nicht ausschließen. Da die übertretene Norm auch einen Schadensfall wie den vorliegenden verhindern soll, ist auch der Mitverschuldenszusammenhang zu bejahen.

 

Es ist daher eine Abwägung zwischen dem Fahrverhalten der Erstbeklagten, die nach links einbiegend losfuhr, ohne ausreichende Sicht auf die Fahrbahn links vor ihr zu haben bzw sich diese Sicht (etwa durch entsprechende Kopfdrehung und/oder höhere Sitzposition) zu verschaffen, und dem ein Mitverschulden (§ 1304 ABGB) bildenden Sorgfaltsverstoß des Klägers gegen § 76 Abs 5 StVO vorzunehmen.

 

Bedenkt man, dass der Verstoß des Klägers gegen § 76 Abs 5 StVO bereits zu einem Zeitpunkt erfolgte, als die Erstbeklagte noch gar nicht losgefahren war, ist der erkennende Senat in Würdigung und Abwägung sämtlicher Umstände der Auffassung, dass er im Verhältnis zum Sorgfaltsverstoß der Erstbeklagten von geringerem Gewicht und daher mit einem Drittel zu bewerten ist.