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02.09.2015 Zivilrecht

OGH: Zur Frage, ob § 24 Abs 5 BStG auch Unterlassungsansprüche gegen Immissionen durch den Straßenbau ausschließt, die von fremden Grundstücken ausgehen bzw vom Bewilligungsbescheid nicht gedeckt sind

Immissionen, die bei Bauarbeiten im Zuge der Errichtung einer Bundesstraße entstehen, aber durch die behördlichen Genehmigungen nicht gedeckt sind, sind von § 24 Abs 5 BStG nicht erfasst und können unter den Voraussetzungen des § 364 Abs 2 ABGB untersagt werden; bei der Privilegierung des Errichters von Bundesstraßen nach § 24 Abs 5 BStG sollte es primär darum gehen, ob die betreffenden Einwirkungen auf Bauarbeiten zurückgehen, die mit dem Bau oder Ausbau der Bundesstraße samt den notwendigen Begleiteinrichtungen notwendigerweise verbunden sind, ohne dass es entscheidend darauf ankommen sollte, in wessen Eigentum die von den Arbeiten betroffenen Grundflächen stehen; (auch) der ASFINAG kommt § 24 Abs 5 BStG (nur) insoweit zugute, als es sich um Bauarbeiten an den eigentlichen Straßeneinrichtungen samt (allenfalls zu bearbeitenden) Nebenflächen handelt, die notwendigerweise in diesem Bereich vorzunehmen sind; sollte es sich um reine Deponieflächen handeln, die (unstrittigermaßen) im Eigentum Dritter stehen, wäre § 24 Abs 5 BStG jedenfalls nicht anzuwenden


Schlagworte: Nachbarrecht, Straßenbau, Immissionen, fremde Grundstücke, Bewilligungsbescheid
Gesetze:

 

§ 24 BStG, § 364 ABGB, § 364a ABGB

 

GZ 1 Ob 239/14z [1], 19.03.2015

 

OGH: Die Kläger berufen sich für ihr Unterlassungsbegehren auf § 364 Abs 2 ABGB. Auch wenn diese Bestimmung nach ihrem Wortlaut nur den „Nachbarn“ als Unterlassungspflichtigen nennt, entspricht es doch hRsp und Lehre, dass als Störer nicht nur Grundeigentümer in Anspruch genommen werden können, sondern auch andere Personen, die das Grundstück nutzen, jedenfalls wenn die Nutzung „für eigene Zwecke“ erfolgt.

 

Entgegen der Rechtsauffassung der Vorinstanzen und der Beklagten ist diese nach Auffassung des erkennenden Senats als eine solche - grundsätzlich passiv legitimierte - Störerin anzusehen, sofern sie die von den Klägern monierten Immissionen dadurch verursacht, dass sie in eigenem wirtschaftlichen Interesse auf bestimmten Liegenschaften lärmerzeugende Arbeiten vornimmt bzw vornehmen lässt. Zu Unrecht berufen sich die Vorinstanzen insbesondere auf die zu 1 Ob 2337/96z und 1 Ob 71/97s ergangenen Entscheidungen. Im ersten Verfahren verwies der OGH darauf, dass der Bund wiederholt die ihm obliegende Errichtung, Erhaltung und Finanzierung von Bundesstraßenabschnitten sondergesetzlich geregelt und diese Aufgaben zu diesem Zweck gegründeten Gesellschaften übertragen habe; er habe sich dabei der privatrechtlichen Rechtsform der Aktiengesellschaft bedient und sei als Mehrheitsaktionär daran beteiligt gewesen. Angesichts der für die damals beklagte Gesellschaft geltenden Rechtsvorschriften habe diese gleichsam als ein aufgrund eines Gesetzes berufener Bauführer Straßenbauten für den Bund zu organisieren, auszuführen und für den Bund die Maut für diese Benützung der Straßen einzuheben gehabt; auch die Grundeinlösungen seien im Namen des Bundes erfolgt, dem auch ein direktes Weisungsrecht gegenüber dem Vorstand eingeräumt gewesen sei. Damit habe die Gesellschaft die Grundstücke, auf denen die schadensträchtigen Arbeiten verrichtet wurden und von denen die schädlichen Immissionen ausgingen, nicht für eigene Zwecke benützt. Ähnlich wurde in der zweiten Entscheidung argumentiert, in der die Gesellschaft „gleichsam als Bauunternehmer“ angesehen wurde, der aufgrund eines „bundesgesetzlich angeordneten Auftrags (Werkvertrags)“ Bauarbeiten auf dem Nachbargrund durchzuführen habe. Damit sei der Gesellschaft aber keine Benützungsbefugnis eingeräumt worden, die sie nach §§ 364 ff ABGB haftbar machen könnte.

 

Diese Rechtsauffassung wurde in der Lit v mit dem Argument kritisiert, dass auch die damals zu beurteilende Sondergesellschaft Entgelte in Höhe der Infrastrukturkosten und darüber hinaus angemessene Verwaltungskosten vom Bund zurückerhalten habe, weshalb ein Eigennutzen zu bejahen gewesen wäre. Zutreffend weisen die Revisionswerber für das vorliegende Verfahren darauf hin, dass die hier beklagte ASFINAG als Fruchtgenussberechtigte (§§ 2 ff ASFINAG-Ermächtigungsgesetz 1997) eine noch weitergehende Rechtsposition habe und somit auch den Straßenbau zu eigenen wirtschaftlichen Zwecken durchführe. Die Beklagte hat nach § 5 leg cit zwar ertragsunabhängig ein Entgelt für die Einräumung des Fruchtgenussrechts an den Bund zu leisten, darf aber über sämtliche (Mehr-)Einnahmen selbst verfügen (§ 6 leg cit) und wird damit durchaus auch im eigenen (Erwerbs-)Interesse tätig. Ob neben die allfällige „Handlungsstörerhaftung“ der ASFINAG eine „Zustandsstörerhaftung“ des Bundes tritt, der durch das von jener zu zahlende Entgelt laufende Einnahmen bezieht, ist im vorliegenden Verfahren nicht zu prüfen, richtet sich die Klage doch ausschließlich gegen die AG. Diese ist keineswegs bloß als weisungsabhängiger und beauftragter „Erfüllungsgehilfe des Bundes“ (so die Formulierung der Beklagten im Verfahren erster Instanz) zu qualifizieren, zieht sie doch nicht nur eigene wirtschaftliche Vorteile aus dem Bau (und der späteren Benützung) der Straße, sondern ist aufgrund eigener Antragstellung auch Träger der behördlichen Bewilligung zur Errichtung der - von ihr selbst zu planenden, zu bauenden und zu erhaltenden (§ 9 ASFINAG-ErmächtigungsG) - Straße.

 

Gem § 24 Abs 5 BStG können die Eigentümer von der Bundesstraße benachbarten Grundstücken die beim Bau oder Ausbau einer Bundesstraße von Grundstücken des Bundes (Bundesstraßenverwaltung) ausgehenden Einwirkungen nicht untersagen. Diese Bestimmung verdrängt somit in ihrem - noch näher zu untersuchenden - Anwendungsbereich als lex specialis die nachbarrechtlichen Regelungen der §§ 364 ff ABGB, und damit auch den von den Klägern zur Begründung ihres Unterlassungsbegehrens herangezogenen § 364 Abs 2 ABGB. Die genannte Norm privilegiert nicht nur den Bund, sondern auch jene Gesellschaft, die bundesgesetzlich mit der Errichtung bestimmter Bundesstraßen betraut ist, was sich schon aus der Teleologie der Vorschrift ergibt, die der Erleichterung der Errichtung von (dem öffentlichen Interesse dienenden) Straßen des höherrangigen Verkehrswegenetzes dient.

 

Nach dem Wortlaut des § 24 Abs 5 BStG, geht es um die beim „Bau oder Ausbau“ einer Bundesstraße auf „benachbarte Grundstücke“ einwirkenden Immissionen. Soweit die Revisionswerber in diesem Zusammenhang die Auffassung vertreten, der Tatbestand der Norm wäre deshalb nicht erfüllt, weil die von ihnen monierten Lärmbelästigungen nicht mit dem Bau der eigentlichen Straße zusammenhingen, sondern auf die von der Straße entfernte Geländemodellierung zurückzuführen seien, kann ihnen nicht uneingeschränkt gefolgt werden. Die hier zu beurteilende Vorschrift zielt darauf ab, den Bau oder Ausbau höherrangiger Straßen zu erleichtern und „ungerechtfertigten nachbarrechtlichen Ansprüchen während des Baus von Bundesstraßen entgegenzutreten“ (so die ErläutRV). Es besteht grundsätzlich keine Veranlassung dafür, danach zu differenzieren, ob die Immissionen mit dem „eigentlichen Bau“ der Straße oder aber mit sonstigen Baumaßnahmen zusammenhängen, die deshalb erforderlich sind, damit sich die Straße entsprechend der behördlichen Bewilligung in das bisher zu anderen Zwecken verwendete Gelände einfügt. Auch derartige Maßnahmen gehören zum „Bau oder Ausbau“ der Straße. Ob hier eine solche Situation vorliegt, kann allerdings mangels Tatsachenfeststellungen der Vorinstanzen nicht beurteilt werden.

 

Die Beklagte behauptet, es handle sich um Grundstücke, die zur Realisierung des Straßenprojekts in der Bauphase verwendet werden „müssen“, auch wenn nicht dargelegt wird, warum die Zerkleinerungsarbeiten nicht schon auf der eigentlichen Tunnelbaustelle vorgenommen werden können. Nach dem Vorbringen der Kläger handelt es sich um eine reine Ablagerung von Ausbruchmaterial, die auch anderswo stattfinden könne und mit der Gestaltung der Straße und ihres Umfelds nichts zu tun habe. Sollte Letzteres zutreffen, wäre den Klägern zu folgen, dass es nicht um „beim Bau oder Ausbau einer Bundesstraße ... ausgehende Einwirkungen“ geht. Dann unterlägen die durch die Materialdeponierung bzw die vorhergehende Materialbearbeitung hervorgerufenen Emissionen einer Beurteilung nach allgemeinem Nachbarrecht, ein Unterlassungsanspruch aber auch in diesem Fall nur soweit es sich nicht um eine behördlich genehmigte Anlage iSd § 364a ABGB handelt, die im Rahmen der erteilten Bewilligung betrieben wird. Aber auch zur Beurteilung der Frage, ob die konkreten Steinbrecherarbeiten iSd Prozessbehauptungen der Beklagten vom „Änderungsbescheid“ gedeckt sind, fehlt es an Tatsachenfeststellungen. Diese werden im fortgesetzten Verfahren - insbesondere durch Feststellung des einschlägigen Bescheidinhalts - nachzuholen sein.

 

Welches Ziel der Gesetzgeber verfolgte, als er in § 24 Abs 5 BStG die Privilegierung des Errichters einer Bundesstraße auf Einwirkungen beschränkte, die „von Grundstücken des Bundes (Bundesstraßenverwaltung)“ ausgehen, ist nicht mit Sicherheit nachzuvollziehen, zumal die Gesetzesmaterialien dazu schweigen. Wie dargelegt, sollte es bei teleologischer Betrachtung aber primär darum gehen, ob die betreffenden Einwirkungen auf Bauarbeiten zurückgehen, die mit dem Bau oder Ausbau der Bundesstraße samt den notwendigen Begleiteinrichtungen notwendigerweise verbunden sind, ohne dass es entscheidend darauf ankommen sollte, in wessen Eigentum die von den Arbeiten betroffenen Grundflächen stehen. Im Zweifel wird aber - auch unter dem Gesichtspunkt, dass es sich hier um eine Ausnahmebestimmung handelt - vom Wortlaut der Norm auszugehen sein. Solle es sich - wie die Kläger behaupten - um reine Deponieflächen handeln, die (unstrittigermaßen) im Eigentum Dritter stehen, wäre § 24 Abs 5 BStG jedenfalls nicht anzuwenden.

 

Nicht zu folgen ist hingegen den Revisionswerbern, wenn sie unter Hinweis auf die räumliche Entfernung ihrer Liegenschaft die Anwendbarkeit der besprochenen Norm mit dem Argument leugnen, es handle sich dabei um kein „benachbartes“ Grundstück. Abgesehen davon, dass bereits das Berufungsgericht zutreffend darauf hingewiesen hat, dass es widersinnig wäre, nur den Eigentümern unmittelbar angrenzender Grundstücken ihr Abwehrrecht zur Erleichterung des Straßenbaus zu entziehen, es hingegen solchen von weiter entfernten zu belassen, setzen sich die Kläger in Widerspruch zu ihrer eigenen Argumentation, berufen sie sich doch in erster Linie auf Unterlassungsansprüche nach § 364 Abs 2 ABGB, die aber ebenfalls ein Nachbarschaftsverhältnis zwischen dem emittierenden und dem belasteten Grundstück voraussetzen. Zudem ergibt sich aus der einschlägigen Legaldefinition des § 7a Abs 2 BStG unmissverständlich, dass als Nachbarn alle Personen anzusehen sind, die oder deren Eigentum oder sonstige dingliche Rechte durch den Bau (oder den Betrieb) gefährdet werden könnten. Der Auffassung der Revisionswerber, sie seien zwar iSd § 364 Abs 2 ABGB, nicht aber iSd § 24 Abs 5 BStG Nachbarn, kann daher nicht gefolgt werden.

 

Als Zwischenergebnis ist somit festzuhalten, dass (auch) der Beklagten bei ihren Arbeiten iZm dem Straßenbau die Privilegierung durch § 24 Abs 5 BStG (nur) insoweit zugute kommt, als es sich um Bauarbeiten an den eigentlichen Straßeneinrichtungen samt (allenfalls zu bearbeitenden) Nebenflächen handelt, die notwendigerweise in diesem Bereich vorzunehmen sind.

 

Die genannte Vorschrift immunisiert aber keineswegs alle denkbaren Immissionen durch Baumaßnahmen gegen Unterlassungsansprüche von beeinträchtigten Nachbarn, strebt das Gesetz doch - wie bereits dargelegt - lediglich die Vermeidung von „ungerechtfertigten“ nachbarrechtlichen Ansprüchen während des Baus von Bundesstraßen an. „Ungerechtfertigt“ können solche Unterlassungsansprüche aber nur insoweit sein, als deren Zulassung den Bau von Bundesstraßen unmöglich machen oder zumindest ganz erheblich erschweren würde. Da in der Errichtung derartiger Straßen ein erhebliches öffentliches Interesse gesehen wird, soll dieses Vorrang vor den Einzelinteressen der - durch den Bau auch nur kurzfristig beeinträchtigten - Anrainer haben. Welche Einwirkungen die Nachbarn im Einzelnen hinzunehmen haben, ergibt sich letztlich aus den behördlichen Bescheiden, mit denen der Straßenbau bewilligt wird, wobei auch die dem Anrainerschutz dienenden Bestimmungen des UVP-G 2000 zu berücksichtigen sind. Insoweit ist eine Parallele zu § 364a ABGB anzunehmen, der nach hA Unterlassungsansprüche bei Beeinträchtigungen durch behördlich genehmigte Anlagen nur insoweit ausschließt, als es sich um Immissionen handelt, die mit dem bewilligungsgemäßen Betrieb der Anlage (typisch) verbunden sind, wogegen ein Unterlassungsanspruch hinsichtlich solcher Immissionen besteht, die dadurch entstehen, dass sich der Inhaber der Anlage nicht an den Genehmigungsbescheid, insbesondere an darin enthaltene Auflagen, hält. Immissionen, die bei Bauarbeiten im Zuge der Errichtung einer Bundesstraße entstehen, aber durch die behördlichen Genehmigungen nicht gedeckt sind, sind somit von § 24 Abs 5 BStG nicht erfasst und können unter den Voraussetzungen des § 364 Abs 2 ABGB untersagt werden.

 

Im vorliegenden Verfahren berufen sich die Kläger letztlich auch darauf, dass die Beklagte bei ihren Steinbrecharbeiten die Bescheidauflagen verletzt und insbesondere den festgesetzten Mindestabstand für derartige Arbeiten nicht eingehalten habe, auch wenn sie primär vorbringen, der „Stammbescheid“ habe die „Geländemodellierung“ gar nicht erfasst. Die Vorinstanzen haben sich aufgrund ihrer abweichenden Rechtsansicht mit diesem Vorbringen nicht auseinandergesetzt und dazu keine Tatsachenfeststellungen getroffen. Dies wird im fortgesetzten Verfahren gegebenenfalls nachzuholen sein. Sollte sich ergeben, dass die Liegenschaft der Kläger von Lärmbeeinträchtigungen erfasst wird, die durch die Bescheide nicht gedeckt sind, wird dem Unterlassungsbegehren insoweit Folge zu geben sein.