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06.10.2015 Verfahrensrecht

OGH: Stalking – EV nach § 382g EO (hier: 15 SMS monatlich über eineinhalb Jahre sowie telefonischer Kontakt mit Mutter des Antragstellers)

Um ein Ausweichen des „Stalkers“ auf andere, bisher noch nicht konkret eingesetzte Methoden, das Opfer zu „terrorisieren“, zu verhindern, kann im Einzelfall ein Verbot bisher noch nicht verwendeter, aber naheliegender Mittel zur Kontaktaufnahme durchaus zulässig sein; je massiver und vielgestaltiger der Antragsgegner bisher schon gegen den Antragsteller vorgegangen ist und je deutlicher die Gefahr weiterer Eingriffe unter Bedachtnahme auf die Intensität und Nachhaltigkeit von Verfolgungshandlungen zutage tritt, desto mehr sind breiter gefasste Verbote indiziert


Schlagworte: Exekutionsrecht, einstweilige Verfügung, Schutz vor Eingriffen in die Privatsphäre, Stalking, rechtfertigendes Interesse, SMS, Anruf an Mutter des Antragstellers, Dritte, Kontaktverbot, Dauer
Gesetze:

 

§ 382g EO

 

GZ 7 Ob 130/15s [1], 02.09.2015

 

OGH: § 382g EO regelt den Anspruch auf Unterlassung von Eingriffen in die Privatsphäre, ohne zu definieren, was unter „Privatsphäre“ zu verstehen ist. Der zivilrechtliche Schutz vor Eingriffen in die Privatsphäre war bereits vor dem Inkrafttreten dieser Gesetzesbestimmung am 1. 7. 2006 durch § 16 ABGB und § 1328a ABGB gewährleistet. § 382g EO schafft keine neue Anspruchsgrundlage, sondern setzt diese vielmehr voraus. Zweck der „Anti-Stalking-Regelung“ des § 382g EO ist die Verbesserung des Schutzes für Opfer, denen rasche Abhilfe gegen Belästigungen durch Stalker geboten werden soll. Voraussetzung für die Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach § 382g EO ist nur die Bescheinigung des Anspruchs auf Unterlassung weiterer „Stalking“-Handlungen. Mit der Anspruchsbescheinigung sind gleichzeitig auch die Anforderungen des § 381 Z 2 EO erfüllt.

 

Zur Beurteilung, was zur Privatsphäre nach § 382g EO gehört, kann auf die bisherigen Grundsätze zurückgegriffen werden. Aus § 16 ABGB wird - ebenso wie aus anderen durch die Rechtsordnung geschützten Grundwerten wie Art 8 EMRK - das jedermann angeborene Persönlichkeitsrecht auf Achtung seines Privatbereichs und seiner Geheimnissphäre abgeleitet. Unerwünschte Kontaktaufnahmen als Kernfall des Stalkings können einen unzulässigen Eingriff in die Privatsphäre darstellen, sofern sie erheblich sind. Die Rsp betont allerdings, dass eine Überspannung des Schutzes der Persönlichkeitsrechte zu einer unerträglichen Einschränkung der Interessen anderer und jener der Allgemeinheit führen würde; es bedarf daher einer Wertung, bei welcher dem Interesse am gefährdeten Gut stets auch die Interessen der Handelnden und die der Allgemeinheit gegenübergestellt werden müssen. Wenn die Kontaktaufnahmen in Art und Umfang eine Intensität erreichen, die den Rahmen des sozial Verträglichen sprengen, kann das Recht auf Privatsphäre verletzt sein. In die Abwägung sind insbesondere der Grund der Kontaktaufnahme und die Art der Kontakte einzubeziehen. Jedenfalls muss im Verhalten eine gewisse Beharrlichkeit zum Ausdruck kommen, wie sie dem Stalking begriffsimmanent ist.

 

Die bisher vom OGH iZm SMS beurteilten Sachverhalte, die eine Erlassung einer einstweiligen Verfügung gem § 382g EO rechtfertigten, sind mit dem hier vorliegenden nicht vergleichbar. Während der E 8 Ob 155/06m ua mehrere tägliche Kontaktaufnahmen durch Telefonanrufe und SMS sowie zumindest eine Nachricht per E-Mail pro Tag über eine Dauer von zwei Monaten zu Grunde lagen, hat in der E 1 Ob 61/08i der Antragsgegner die Antragstellerin nach ihrem Beziehungsende durch eine körperliche Attacke und anschließend durch Anrufe und SMS behelligt sowie bei zwei zufälligen Aufeinandertreffen in einem Abstand von zwei Monaten angeschrien, beschimpft und (einmal) mit dem Umbringen bedroht. Der hier zu beurteilende Sachverhalt liegt anders:

 

Der Antragsteller machte der Antragsgegnerin zwei Mal klar, dass er keine Kontaktaufnahme mehr wünschte. Dennoch kontaktierte sie ihn über rund eineinhalb Jahre konsequent in Monatsabständen mit 15 SMS. Darin kommt eine besondere Beharrlichkeit auf Seiten der Antragsgegnerin zum Ausdruck, und dies noch dazu rund zwei Jahre nach Auflösung der Beziehung. Die Intensität des Eingriffs ist nicht unerheblich, ist doch damit der Antragsteller gezwungen, sich noch immer gegen seinen Willen zumindest einmal im Monat von ihr belästigen zu lassen, und zwar massiv durch 15 SMS. Ein die Kontaktaufnahmen rechtfertigender Grund besteht nicht. Die Antragsgegnerin verwies selbst darauf, dass sie nichts Wichtiges mitzuteilen hatte. Bei Gesamtbetrachtung dieser Umstände wird durch die konsequent wiederholte Kontaktaufnahme nach Beendigung der Beziehung vor rund zwei Jahren mit SMS über einen Zeitraum von rund eineinhalb Jahren, für die absolut kein Grund besteht, die Grenze des sozial Verträglichen gesprengt und damit das Recht des Antragstellers auf Privatsphäre verletzt.

 

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die materiellen Anspruchsvoraussetzungen für die Erlassung einer einstweiligen Verfügung gemäß § 382g EO vorliegen.

 

Zu den Sicherungsmitteln:

 

Auf den Umfang des Sicherungsmittels gem § 382g Abs 1 Z 2 EO (Verbot brieflicher, telefonischer oder sonstiger Kontaktaufnahme) ist nicht einzugehen, weil nach stRsp des OGH, wenn im Rekurs nur in bestimmten Punkten eine Rechtsrüge ausgeführt wurde, andere Punkte im Revisionsrekurs - jedenfalls wenn es um mehrere selbständig zu beurteilende Rechtsfragen geht - nicht mehr geltend gemacht werden können. Die Antragsgegnerin hat in ihrem Rekurs nur das nach § 382b Abs 1 Z 6 EO angeordnete Verbot der Kontaktaufnahme über Dritte, nicht aber das nach § 382b Abs 1 Z 2 EO angeordnete Verbot brieflicher, telefonischer oder sonstiger Kontaktaufnahme als überzogen bekämpft. Im Übrigen würden auch hiezu die nachfolgenden Ausführungen gelten.

 

Das von den Vorinstanzen ausgesprochene Kontaktverbot entspricht § 382g Abs 1 Z 2 und 6 EO.

 

Die Antragsgegnerin bekämpft in ihrem Revisionsrekurs das gem § 382g Abs 1 Z 6 EO auferlegte Verbot, über eine dritte Person, etwa über gemeinsame Freunde oder die Familie, Kontakt mit dem Antragsteller aufzunehmen.

 

Für die Berechtigung des Unterlassungsbegehrens reicht schon ein drohender Eingriff aus. Es muss daher nicht jeweils eine konkrete Verletzungshandlung abgewartet werden, um gerichtlichen Schutz im Wege einer Unterlassungsklage oder einer einstweiligen Verfügung nach § 382g EO zu erlangen. Das ist insbesondere dann bedeutsam, wenn der Täter auf eine bestimmte Weise in die Privatsphäre des Opfers eingreift, aber aufgrund seines Verhaltens bei einer Gesamtbetrachtung andere Begehungsweisen konkret zu befürchten sind. Um ein Ausweichen des „Stalkers“ auf andere, bisher noch nicht konkret eingesetzte Methoden, das Opfer zu „terrorisieren“, zu verhindern, kann im Einzelfall ein Verbot bisher noch nicht verwendeter, aber naheliegender Mittel zur Kontaktaufnahme durchaus zulässig sein. Je massiver und vielgestaltiger der Antragsgegner bisher schon gegen den Antragsteller vorgegangen ist und je deutlicher die Gefahr weiterer Eingriffe unter Bedachtnahme auf die Intensität und Nachhaltigkeit von Verfolgungshandlungen zutage tritt, desto mehr sind breiter gefasste Verbote indiziert.

 

Im vorliegenden Fall kontaktierte die Antragsgegnerin auch die Mutter des Antragstellers und behauptete, von ihm belästigt zu werden. Zu berücksichtigen sind die näheren Umstände dieses Anrufs. Die Antragsgegnerin hatte die Mutter des Antragstellers zuvor nur ein einziges Mal gesehen und musste deren Telefonnummer erst aus dem Telefonbuch erheben. Der Anruf, für den es nach den Feststellungen keinen Grund gab, kann nur den Zweck verfolgt haben, sich über die Mutter beim Antragsteller in Erinnerung zu rufen. Es ist nämlich naheliegend, dass die Mutter dem Antragsteller darüber erzählen würde. Damit hat die Antragsgegnerin bereits einmal versucht, über Dritte mit dem Antragsteller in Kontakt zu treten. Aufgrund der beharrlichen Verfolgung mit SMS, ist bereits im Hinblick auf diesen Anruf konkret zu befürchten, dass die Antragsgegnerin bei Ausspruch eines Kontaktverbots nur gem § 382g Abs 1 Z 2 EO wieder und massiver versuchen wird, über Dritte Kontakt zum Antragsteller aufzunehmen. Damit haben die Vorinstanzen zu Recht auch das Sicherungsmittel des § 382g Abs 1 Z 6 EO verfügt.

 

Zur Dauer:

 

Gem § 382g Abs 2 EO können einstweilige Verfügungen nach Abs 1 - ohne Einleitung eines Hauptverfahrens - für eine Höchstdauer von einem Jahr erlassen werden. Die im Einzelfall angemessene Geltungsfrist der einstweiligen Verfügung hängt vom als bescheinigt angenommenen Sachverhalt ab. Die gesetzlich zulässige Höchstdauer ist demnach nicht immer auszuschöpfen.

 

Hier spricht schon der lange Eingriffszeitraum gegen eine von der Antragsgegnerin in ihrem Revisionsrekurs angestrebte Verkürzung der Geltungsfrist. Berücksichtigt man weiters, dass das Kontaktaufnahmeverbot mit dem Antragsteller keinen Eingriff in ihre Lebensführung mit sich bringt, haben die Vorinstanzen zu Recht die Geltungsdauer mit einem Jahr befristet.