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13.10.2015 Zivilrecht

OGH: Zum Verhältnis zwischen § 364 Abs 2 Satz 2 ABGB und § 413 ABGB

Wenn sich eine willkürliche Änderung der natürlichen Abflussverhältnisse iSe unmittelbaren Zuleitung auf das Grundstück eines Nachbarn nur geringfügig auswirkt und diese Folge kein Vernünftiger als nennenswerten Nachteil ansähe, ist ein Unterlassungs- oder Beseitigungsanspruch nicht berechtigt


Schlagworte: Nachbarrecht, Wasserrecht, Uferbefestigung, Errichtung einer Wurfsteinmauer, Immissionen, unmittelbare Zuleitung
Gesetze:

 

§ 364 ABGB, § 413 ABGB

 

GZ 1 Ob 124/15i [1], 27.08.2015

 

OGH: § 413 ABGB berechtigt jeden Grundbesitzer, „sein Ufer gegen das Ausreißen des Flusses zu befestigen. Allein niemand darf solche Werke oder Pflanzungen anlegen, die den ordentlichen Lauf des Flusses verändern, oder die der Schiffahrt, den Mühlen, der Fischerey oder andern fremden Rechten nachtheilig werden könnten. Ueberhaupt können ähnliche Anlagen nur mit Erlaubniß der politischen Behörde gemacht werden“.

 

Das auf § 413 ABGB gegründete und im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (JGS Nr 1811/946) verankerte, schon von alters her bestehende „Uferrecht“ soll die Bestimmung des fließenden Wassers zum allgemeinen Gebrauch sichern. Es erweitert das sich wohl (grundsätzlich) schon aus § 354 ABGB ergebende Recht eines Liegenschaftseigentümers in der besonderen Stellung eines Ufereigentümers dahin, Schutzbauten, so auch Dämme, nicht nur (wie im vorliegenden Fall) auf seinem Ufergrundstück, sondern auch an dem Ufer und im Flussbett anbringen zu dürfen. Die Grenzen dieses Rechts zur Uferbefestigung ergeben sich aus der Beeinträchtigung Dritter. Nach Pfersche hat der Ufereigentümer die negative Pflicht, eine Benutzung der Ufergrundstücke zu unterlassen, die den Wasserinteressen nachteilig oder gefährlich sein könne. Auch Peyrer-Heimstätt konstatierte schon 1898, Anlagen seien in Gemäßheit des § 413 ABGB so herzustellen und zu erhalten, dass sie fremden Rechten nicht nachteilig seien. Die ausdrückliche Ausformulierung dieses Gedankens im zeitlich später als das ABGB erlassenen § 11 Reichswasserrechtsgesetz (RWRG) 1869 und den jeweiligen Landeswasserrechtsgesetzen drückte damit ohnehin nur das zu § 413 ABGB vorgefundene Verständnis aus. Dies machte Ehrenzweig deutlich, wenn er ausführte, was § 413 ABGB von den Flüssen bestimme, dehnten die LWRG auf alle fließenden Gewässer aus, und darauf hinwies, dass das Gericht nur einschreite, wenn durch einen eigenmächtigen Wasserbau einem Grundstück Schaden drohe (§ 340 ABGB) oder wenn es sich bereits um die Entschädigung handle. Ebenso setzte Stubenrauch einen (drohenden) Schaden voraus.

 

Dieses - einen Nachteil des anderen voraussetzende - Verständnis des § 413 ABGB, wurde in LuRsp auch weitergetragen. Wie § 11 RWRG 1869 verbietet § 39 Abs 1 WRG auch heute noch dem Eigentümer eines Grundstücks nur die willkürlichen Änderungen der natürlichen Abflussverhältnisse, die sich zum Nachteil des Unter- oder Oberliegers auswirken. Das darin und auch in § 41 WRG (Schutz- und Regulierungsbauten betreffend) festgelegte, an sich verwaltungsrechtliche Verbot der Privatwillkür konkretisiert auch nach heutigem Verständnis nachbarrechtliche Rücksichtnahmepflichten.

 

Das Berufungsgericht nahm an, in der Entscheidung 1 Ob 31/79 stütze sich der erste Senat zur Begründung seiner Rechtsauffassung auf ein Fehlzitat, weil der dort genannte Autor in seiner gesamten Kommentierung des § 39 WRG zu einem „von § 413 ABGB“ geforderten Nachteil zu Lasten benachbarter Grundstücke nicht Stellung nehme. Das trifft zwar vom Wortlaut her zu, jedoch bezog sich der - insofern zutreffende - Verweis auf Krzizek auf den von diesem genannten § 39 WRG und verallgemeinerte dessen Ausführungen auch im Hinblick auf § 413 ABGB.

 

Die Schlussfolgerung in der Entscheidung 1 Ob 31/79, dass eine Regulierung dann Entschädigungsansprüche des Unterliegers auslösen kann, wenn durch diese Maßnahme eine Änderung der natürlichen Abflussverhältnisse und als deren Folge ein Nachteil für (damals) den Unterlieger herbeigeführt wird, beruhte somit durchaus auch auf diesem Zitat. Der OGH stellte demnach schon in 1 Ob 31/79 ausdrücklich klar, dass § 39 WRG und ähnlich § 413 ABGB zwar nicht jede Änderung der natürlichen Abflussverhältnisse, wohl aber solche, die sich zum Nachteil des (iSv Krzizek zu ergänzen: Ober- oder) Unterliegers auswirken, verbieten und wiederholte diese Ansicht in 1 Ob 227/10d.

 

Im vorliegenden Fall konnte nicht festgestellt werden, dass der natürliche Wasserlauf bei Niedrigwasserstand auch nur teilweise auf dem Grundstück Nr 2/20 der Beklagten verlaufen wäre. Die Feststellung, dass außer bei starken Regenfällen das Gewässer ein Rinnsal ist und nur geringe Wassermengen führt, verdeutlicht, dass eine Veränderung und daher eine Beeinträchtigung der Grundstücke des Klägers überhaupt nur bei starken Regenfällen denkbar ist. Bei Starkregen kommt es aber in jenem Bereich am Ende der Wurfsteinmauer, ohnehin zu einer Überflutung des Grundstücks Nr 2/20 der Beklagten. Es sucht sich dann das Wasser nach den Feststellungen der Vorinstanzen seinen Abfluss nach dem natürlichen Verlauf, womit auch daraus eine Veränderung des „ordentlichen Laufs des Flusses“ nicht ableitbar ist. Ebenso fand sich kein Anhaltspunkt dafür, dass es infolge der Errichtung dieser 6,36 m Wurfsteinmauer auf Grundstück Nr 2/20 zu einem erhöhten Wasserabfluss auf das Grundstück Nr 12/7 (das rinnsalabwärts an das Grundstück Nr 12/18 anschließt) kommt.

 

Worin denkmöglich ein drohender Nachteil in der Phase des Anschwellens bei stärkeren Regenfällen für sein Grundstück Nr 12/18 auf jenen 6,36 m Länge zu erblicken sein sollte, ist, wie für die Vorinstanzen, auch für den erkennenden Senat nicht nachvollziehbar und wird vom Kläger auch nicht dargelegt. Beim von seiner Form als länglicher Streifen und aufgrund seines Gefälles allein das Wasserbett bzw Wasserbett und Ufer (abhängig vom Wasserstand) bildenden Grundstück (von dem der Kläger schon in der Klage selbst zugesteht, dass es „in seiner Gesamtheit vom Gerinnebett umfasst“ ist) entspricht die im Grundbuch festgehaltene Nutzung (Wasser) den tatsächlichen Verhältnissen, weil es über seine 41 m Länge natürlicherweise dem Wasserabfluss dient. Welche andere Nutzung bei den gegebenen Verhältnissen denkbar wäre, vermag der Kläger gar nicht auszuführen.

 

In der Entscheidung 1 Ob 227/10d genannte und für die Zurückverweisung zur weiteren Prüfung als relevant bezeichnete Umstände, wie eine Verengung des Wasserbetts oder eine Erhöhung der Fließgeschwindigkeit ua, sind für die hier betroffenen 6,36 m Wurfsteinmauer aber (entgegen den Ausführungen des Revisionswerbers) nicht festgestellt.

 

Während sich § 364 Abs 2 Satz 2 ABGB mit unmittelbaren Zuleitungen befasst, spricht § 413 ABGB die Weiterleitung des Wassers eines Flusses („ordentlicher Lauf des Flusses“) an. Eine gewisse Wirkung bei Ausübung des Uferrechts nach § 413 ABGB, als einer dem Eigentum innewohnenden Befugnis, zieht der Gesetzgeber in Betracht, soll doch gerade der Effekt der Befestigung durch Schutzbauten (etwa Stein-, Holz- oder andere Verkleidungen) erreicht werden. Die Befestigung des Ufers wird also zwangsläufig dazu führen, dass das Ufer auf dieser Seite dem Wasserlauf mehr Widerstand entgegensetzt als davor und nicht mehr ausreißt; der Ufereigentümer des anderen Ufers kann schließlich sein Ufer ebenfalls befestigen. Solche Veränderungen des Ufers sollen sich iSd Ausübung von aufeinander Rücksicht nehmenden Nachbarrechten bloß nicht zum nennenswerten Nachteil eines anderen auswirken.

 

Richtigerweise hat daher das Berufungsgericht die vorliegende Konstellation der Spezialbestimmung des § 413 ABGB unterstellt, die in ihrem Anwendungsbereich auch § 364 Abs 2 Satz 2 ABGB insoweit verdrängt, als der Kläger den ihm drohenden Nachteil nachzuweisen hat.

 

Eine nähere Auseinandersetzung mit der Frage, ob bei der Vielgestaltigkeit von Oberflächenwassser in allen denkbaren Konstellationen eine Anwendung des § 364 Abs 2 Satz 2 ABGB neben § 413 ABGB nicht in Betracht kommt, kann für den vorliegenden Fall unterbleiben, weil hier auch ein solcher Anspruch scheiterte. Wenn sich eine willkürliche Änderung der natürlichen Abflussverhältnisse iSe unmittelbaren Zuleitung auf das Grundstück eines Nachbarn nur geringfügig auswirkt und diese Folge kein Vernünftiger als nennenswerten Nachteil ansähe, ist ein Unterlassungs- oder Beseitigungsanspruch nicht berechtigt. Auch Kerschner sieht in seiner Glosse zu 1 Ob 169/06v den vom OGH herangezogenen Parameter einer maßgeblichen Veränderung iSe Änderung mit nicht bloß geringfügigen Auswirkungen als richtig an.

 

Der Revisionswerber vermag vor diesem Hintergrund auch aus dem (bloßen) Umstand, dass ein 6,36 m langer Teil der Wurfsteinmauer von der erteilten Bewilligung nicht umfasst ist, keinen Erfolg für seinen Anspruch auf Unterlassung und Beseitigung abzuleiten. Unbeachtlich ist jedenfalls, dass das verwaltungsrechtliche Verfahren zur Wurfsteinmauer noch nicht abgeschlossen ist, weil der hier in Streit gezogene Abschnitt auch nach dem Vorbringen des Klägers gar nicht Gegenstand dieses Verwaltungsverfahrens ist.

 

Ob die Errichtung der Wurfsteinmauer in ihrem auf dem Grundstück Nr 2/20 errichteten Teil über die Länge von 6,36 m eine Maßnahme an Oberflächengewässern mit Nebeneffekten auf den Wasserabfluss (§ 38 WRG) oder eine gezielte Beeinflussung des Ablaufs von Oberflächengewässern darstellt (§ 41 WRG) und ob § 39 WRG nur für landwirtschaftlich genutzte Grundstücke gilt, kann hier ebenso dahinstehen, wie die Frage, ob dieser Teil gem § 41 Abs 3 WRG von der wasserrechtlichen Bewilligungspflicht ausgenommen ist, weil auch eine fehlende Genehmigung nach dem WRG per se und ohne erkennbaren drohenden Nachteil für den Kläger noch nicht die Pflicht eines anderen zur Unterlassung oder Beseitigung einer Anlage, die er auf seinem eigenen Grund errichtet hat, nach sich zieht.

 

Das in § 413 ABGB festgehaltene Verbot einer Veränderung des ordentlichen Laufs des Flusses und auch die Anordnung, dass solche Anlagen nur mit Erlaubnis der politischen Behörden gemacht werden dürfen, sind nicht Selbstzweck, sondern Ausdruck der nachbarlichen Rücksichtnahmepflichten. Solche Zwecke, va aber auch jene des Gewässerschutzes zugunsten der Allgemeinheit überhaupt, liegen dem öffentlichen Wasserrecht als Ziele zugrunde, was zu einer Entscheidung der Wasserrechtsbehörde nach § 138 WRG führen kann. Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche des Nachbarrechts im Zivilrecht fußen aber auf dem Grundgedanken, dass ein einzelner einen (nennenswerten) drohenden Nachteil für sich und einen Eingriff in seine eigenen Rechte abwehren darf. Ein solcher Nachteil ist im vorliegenden Fall aber nicht ersichtlich.