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19.10.2015 Zivilrecht

OGH: § 364 Abs 2 ABGB iZm Wohnungseigentum – zur Frage, ob die Nichtzulassung einer Sanierung der noch mangelhaften Trittschalldämmung oder das Verhindern der Beseitigung der Störquelle jenem Fall gleichzusetzen ist, in dem der störende Wohnungseigentümer selbst jene Umstände geschaffen hat

Einem Wohnungseigentümer steht die Immissionsklage nach § 364 Abs 2 ABGB gegen den benachbarten Wohnungseigentümer zu, wenn dieser die Beseitigung der Ursache störender Immmisionen (hier: mangelhafter Trittschallschutz) verhindert


Schlagworte: Nachbarrecht, Wohnungseigentumsrecht, Immissionen, mangelhafter Trittschallschutz
Gesetze:

 

§ 364 ABGB, § 30 WEG 2002, § 16 WEG 2002

 

GZ 5 Ob 173/15z [1], 25.09.2015

 

OGH: Immissionen im Allgemeinen und Geräusch-oder Lärmimmissionen im Besonderen können nach § 364 Abs 2 ABGB dann untersagt werden, wenn sie das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreiten und die ortsübliche Benutzung des Grundstücks wesentlich beeinträchtigen. Die unzulässige Einwirkung wird demnach durch zwei Kriterien bestimmt: Einmal, dass die Störung nicht (mehr) ortsüblich ist, und zum anderen, dass die ortsübliche Benützung des Grundstücks durch den Eingriff wesentlich beeinträchtigt wird. Da diese beiden Kriterien kumulativ vorliegen müssen, sind selbst übermäßige Immissionen zu dulden, wenn sie die ortsübliche Nutzung des Grundstücks nicht wesentlich beeinträchtigen, aber auch dann, wenn sie das ortsübliche Maß nicht übersteigen, obwohl die ortsübliche Nutzung des Grundstücks durch sie wesentlich beeinträchtigt wird.

 

Bei der Beurteilung, ob eine wesentliche Beeinträchtigung der ortsüblichen Benützung der Wohnung vorliegt, ist nicht auf die besondere Empfindlichkeit der betroffenen Person, sondern auch das Empfinden eines Durchschnittsmenschen in der Lage des Gestörten abzustellen. Diese Betrachtungsweise ist nach der Rsp des OGH durch den nach dem Nachbarrecht gebotenen sozial relevanten Interessensausgleich vorgegeben.

 

Dieser Interessensausgleich fordert von beiden Seiten gegenseitige Rücksichtnahme und Toleranz. Beim Zusammenleben mehrerer Personen in einem Haus sind darauf bedingte Unannehmlichkeiten grundsätzlich in Kauf zu nehmen. Es ist ein akzeptabler Ausgleich der gegenläufigen Interessen zu finden.

 

Nach der, mit der E 5 Ob 180/98a eingeleiteten Rsp des OGH steht der nachbarrechtliche Abwehranspruch nach § 364 Abs 2 ABGB dem Wohnungseigentümer nur bei Immissionen zu, die durch eine nicht verkehrsübliche oder nicht der vertraglichen Sonderbeziehung entsprechende Nutzung des Nachbarobjekts hervorgerufen werden. Dies wurde damit begründet, dass zwischen den Mitgliedern der Eigentümergemeinschaft insofern eine den nachbarschaftsrechtlichen Immissionsschutz gestaltende Sonderrechtsbeziehung besteht, als sie einander versprochen haben, die ausschließliche Nutzung der Wohnungseigentumsobjekte auf der Liegenschaft durch den jeweiligen Wohnungseigentümer zu dulden (§ 1 Abs 1 WEG), und zwar nach Maßgabe der einvernehmlichen Widmung, aber auch, weil es um die gemeinsame Verantwortung für gemeinsames Eigentum gehe, nach Maßgabe des Bauzustands jener Teile der Liegenschaft, welche der gemeinsamen Benützung dienen. Die mit dem bestimmungsgemäßen (vertragsgemäßen) Gebrauch einer Wohnung verbundenen üblichen Geräusche rechtfertigen daher eine Unterlassungsklage selbst dann nicht, wenn sie durch mangelhafte Schallisolierung in der Wohnungseigentumsanlage stärker hörbar sind.

 

Jeder Wohnungseigentümer ist berechtigt, sein Wohnungseigentumsobjekt zu vermieten. Der Vermietung eines als Wohnung gewidmeten Objekts an den Erstbeklagten oder einen anderen (künftigen) Mieter zu Wohnzwecken stellt einen vertragsgemäßen Gebrauch dar. Ob die Nutzung der Dachgeschoßwohnung durch den Erstbeklagten, seine Gattin und deren fünf Kindern im Alter von 8 bis 19 Jahren einen verkehrsunüblichen Lärm erzeugte, der die ortsübliche Nutzung der darunter liegenden Wohnung wesentlich beeinträchtigte (wie beispielsweise nach den Feststellungen des Erstgerichts durch starkes Vibrieren nächtens zwei bis drei Mal wöchentlich) ist nicht relevant: Das Klagebegehren stellt bei der Ortsüblichkeit des Störungsausmaßes und der Benutzung der beeinträchtigten Wohnung nämlich auf die Überschreitung konkreter Dezibelwerte ab.

 

Auch im Fall einer verkehrsüblichen oder bestimmungsgemäßen Nutzung gewährte der OGH einem durch Lärmimmissionen wesentlich beeinträchtigten benachbarten Wohnungseigentümer den nachbarrechtlichen Schutz durch eine Unterlassungsklage nach § 364 Abs 2 ABGB, wenn der störende Wohnungseigentümer selbst einen die Lärmimmissionen verursachenden unzureichenden Trittschallschutz errichtet hat. Bei Abwägung der nachbarrechtlichen Interessen ist der Störer nämlich nicht im gleichen Maß schutzwürdig. Über die Vermeidung solcher Immissionen, die durch eine nicht verkehrsübliche oder bestimmungsgemäße Widmung hervorgerufen werden, hinaus, ist von ihm eine besondere Rücksichtnahme auf die Interessen des beeinträchtigten Wohnungseigentümers zu verlangen, solange er die Störquelle (den mangelnden Trittschallschutz) nicht beseitigt hat.

 

Der Zweitbeklagte begründet seine mangelnde Passivlegitimation mit dem Einwand, dass die Erhaltung oder Verbesserung der Trittschalldämmung der Eigentümergemeinschaft obliege. Jeder Wohnungseigentümer könne die notwendige Erhaltung nach § 30 Abs 1 WEG im außerstreitigen Verfahren gegen die Eigentümergemeinschaft durchsetzen. Die 2013 vereinbarte Herstellung einer Komforttrittschalldämmung sei zudem keine Erhaltungsarbeit, sondern eine reine Verbesserungsmaßnahme, die nur nach vorangegangener, hier nicht erfolgter Beschlussfassung durchgeführt werden dürfe. Die Nichtzulassung der Behebung einer mangelhaften Trittschalldämmung sei als passive Tätigkeit nicht mit der Schaffung einer solchen als aktiver Tätigkeit gleichzusetzen.

 

Zu Inhalt und Bedeutung des aufgrund des Verweises auf § 3 MRG im Wohnungseigentumsrecht am ortsüblichen Standard zu orientierenden Erhaltungsbegriffs (sog dynamischer oder elastischer Erhaltungsbegriff) existiert umfangreiche Jud des OGH. Danach gehören zweckmäßige und wirtschaftlich gebotene Erneuerungsarbeiten zur Erhaltung bestehender Anlagen noch zur Erhaltung, auch wenn es sich um die erstmalige Herstellung eines mangelfreien Zustands handelt, es dabei zu einer vollständigen Erneuerung kommt und/oder dabei Veränderungen vorgenommen werden, die gegenüber dem vorigen Zustand als Verbesserung anzusehen sind. Voraussetzung für die Qualifikation als Erhaltungsarbeit ist eine Reparaturbedürftigkeit, Schadensgeneigtheit oder Funktionseinschränkung,

 

Geschoßdecken sind allgemeine Teile des Hauses. Der vorhandene Trittschallschutz zwischen Dachgeschoß und darunterliegender Wohnung erfüllt - nach den Feststellungen des Erstgerichts - nicht die Mindestanforderungen der nach Baubescheiden einzuhaltenden ÖNORM. Gemessen am dynamischen oder elastischen Erhaltungsbegriff ist die begehrte Herstellung eines ausreichenden und mängelfreien Trittschallschutzes als Maßnahme der Erhaltung zu qualifizieren, die zufolge § 28 Abs 1 Z 1 WEG als Maßnahme der ordentlichen Verwaltung in die Zuständigkeit der Eigentümergemeinschaft fällt. Deren Versuche, ihrer Erhaltungspflicht nachzukommen, verhinderte der Zweitbeklagte jedoch dadurch, dass er seinen Mieter anwies, Mitarbeiter des beauftragten Unternehmens nicht in die Wohnung zu lassen und auch sonst nicht daran mitwirkte, die Möglichkeiten einer Sanierung des Trittschallschutzes überhaupt zu klären. Ohne Zweifel sind derartige (Vor)Arbeiten zur Sanierung allgemeiner Teile mit Unannehmlichkeiten für die betroffenen Bewohner verbunden. § 16 Abs 3 Satz 2 WEG verpflichtet aber jeden einzelnen Wohnungseigentümer, die Betretung und Benützung seines Wohnungseigentumsobjekts zu gestatten, soweit dies zur Erhaltung der allgemeinen Teile der Liegenschaft und der Behebung ernster Schäden des Hauses erforderlich ist. Für die vermögensrechtlichen Nachteile, die er dadurch erleidet, ist er von der Eigentümergemeinschaft angemessen zu entschädigen. Schon aus diesem Grund kann der Zweitbeklagte keine Ausnahmestellung für sich in Anspruch nehmen, soweit es seine Verpflichtung betrifft, die Sanierung des Trittschallschutzes zu ermöglichen (und nicht zu verhindern).

 

Die Durchsetzung der Duldungspflicht sowie des Anspruchs auf angemessene Entschädigung (§ 16 Abs 3 Satz 2 WEG) sowie des Anspruchs auf Durchführung von Erhaltungsarbeiten (§ 30 Abs 1 WEG) jeweils im außerstreitigen Verfahren (§ 52 Abs 1 Z 2 oder 3 WEG) ändert nichts daran, dass im streitigen Immissionsprozess zwischen Wohnungseigentümern dem Grundgedanken des Interessensausgleichs zwischen Nachbarn Rechnung zu tragen ist. Solange die mangelnde Trittschalldämmung nicht ordnungsgemäß hergestellt ist und die Lärmimmissionsquelle beseitigt wird, ist der Wohnungseigentümer, von dessen Objekt Lärmimmissionen ausgehen, zu einer möglichst rücksichtsvollen Nutzung verpflichtet. Das Verhalten des Beklagten lässt jedoch keine derartige besondere Rücksichtnahme erkennen, lässt er doch nicht einmal Vorarbeiten zu, die die Möglichkeiten und Auswirkungen (allenfalls auf die Raumhöhe) der Sanierung erst klären sollen.

 

Einem Wohnungseigentümer steht daher die Immissionsklage nach § 364 Abs 2 ABGB gegen den benachbarten Wohnungseigentümer zu, wenn dieser die Beseitigung der Ursache störender Immmisionen (hier: mangelhafter Trittschallschutz) verhindert.

 

Der OGH hat bereits ausgesprochen, dass ein Nachbar die sich über einen Zeitraum von mehreren Jahren oder sogar Jahrzehnten steigernden Immissionen, gegen die er sich nicht rechtzeitig gewehrt hat, dulden muss, weil die Ortsüblichkeit nach der gestiegenen Intensität der Immission zu messen ist.

 

Die Klägerin agiert hier weder rechtsmissbräuchlich, noch muss sie den Lärm deshalb hinnehmen, weil sie sich nicht rechtzeitig gewehrt hat. Sie hat bereits im Jahr 2006 anlässlich des Kaufs der Dachgeschoßwohnung durch die (damals) Ehegattin des Zweitbeklagten auf die Trittschallbeeinträchtigung hingewiesen und im Laufe der Jahre (vergeblich) eine Gesprächsbasis mit dem Zweitbeklagten und dessen Mieter gesucht und dabei sogar die Sanierung des Trittschalls auf ihre Kosten angeboten. Im Jahr 2012 wurde die Sanierung von der Eigentümergemeinschaft erstmals in Angriff genommen, schlug jedoch fehl. Weitere Versuche scheiterten am Verhalten des Beklagten und seines Mieters. Von einer jahrelangen widerspruchslosen Hinnahme von Lärmimmissionen kann daher keine Rede sein, zumal die Intensität des Lärms erst ab der Benützung der Wohnung durch den Mieter und dessen Familie (2012) eklatant zunahm.