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09.11.2015 Verfahrensrecht

OGH: Zum Inhalt und zur Analogiefähigkeit des Aussageverweigerungsrechts nach § 321 Abs 1 Z 1 ZPO

Aus der eindeutigen, seit der Stammfassung trotz zahlreicher Novellen unveränderten Beschränkung des Zeugnisverweigerungsrechts nach § 321 Abs 1 Z 1 ZPO auf drohende strafgerichtliche Verfolgung ist kein Anhaltspunkt für eine vom österreichischen Gesetzgeber nicht gewollte Regelungslücke zu gewinnen


Schlagworte: Aussageverweigerungsrecht, Zeuge, strafgerichtliche Verfolgung
Gesetze:

 

§ 321 ZPO

 

GZ 8 Ob 23/15p [1], 29.09.2015

 

OGH: Gem § 321 Abs 1 Z 1 ZPO, auf den sich der Zeuge hier beruft, darf von einem Zeugen die Aussage über Fragen verweigert werden, deren Beantwortung ihm (oder bestimmten nahen Angehörigen) zur Schande gereichen oder die Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung zuziehen würde.

 

Das Aussageverweigerungsrecht dient einerseits dem Schutz des Zeugen vor persönlichen Interessens- und Gewissenskonflikten, andererseits dem Schutz der materiellen Wahrheitsfindung. Die Möglichkeit des Zeugen, sich in einem ernsten Konfliktfall der Beantwortung einer Frage enthalten zu können, erhöht den Wert des Beweismittels, zumal eine falsche Zeugenaussage dem berechtigten Interesse der Parteien an einer sachlich richtigen Entscheidung mehr schadet als ein bloßes non liquet.

 

HLuRsp verstehen die Aussageverweigerungsgründe des § 321 Abs 1 Z 1 ZPO als abschließend, wenngleich sich in der Lit Stimmen finden, die aus rechtspolitischen Erwägungen für eine vorsichtige teleologische Ausweitung auf Fälle einer drohenden verwaltungsrechtlichen, finanzbehördlichen oder disziplinarrechtlichen Verfolgung eintreten, sofern diese ihrem Gewicht nach einer strafgerichtlichen Verfolgung gleichkommen. Diese stützen sich va auf LuRsp zu § 384 Z 2 dZPO, der das Recht zur Aussageverweigerung auch bei drohender Verfolgung wegen einer „Ordnungswidrigkeit“ anerkennt.

 

Dem Rekursgericht ist jedoch in seiner Argumentation beizupflichten, dass aus der eindeutigen, seit der Stammfassung trotz zahlreicher Novellen unveränderten Beschränkung des Zeugnisverweigerungsrechts nach § 321 Abs 1 Z 1 ZPO auf drohende strafgerichtliche Verfolgung kein Anhaltspunkt für eine vom österreichischen Gesetzgeber nicht gewollte Regelungslücke zu gewinnen ist.

 

Soweit die Rechtsmittelausführungen sich auf den Grundsatz „nemo tenetur se ipsum accusare“ (hier: § 120 Abs 7 OÖ Statutargemeinden-Beamtengesetz) berufen, ist zunächst festzuhalten, dass die zitierten Entscheidungen des VwGH (Ro 2014/09/0037; 90/09/0152) für die Frage, ob das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 321 Abs 1 Z 1 ZPO einer teleologischen Erweiterung bedarf, nicht einschlägig sind. Gegenstand dieser Erkenntnisse waren Grenzfälle der Weisungsbindung im Beamtendienstrecht.

 

Angesichts der Härte, die mit der Nichtanerkennung eines geltend gemachten Weigerungsrechts verbunden ist, wird auch immer darauf Bedacht zu nehmen sein, ob eine Aussage über die umstrittene Frage für das Beweisthema unbedingt erforderlich ist.

 

Die praktische Bedeutung eines fraglichen Aussageverweigerungsrechts wegen drohender disziplinar-rechtlicher Verfolgung wird durch Überschneidungen mit anderen Aussageverweigerungsgründen, insbesondere der Gefahr der Schande, relativiert.

 

Durch die Offenbarung, dass jemand sich etwas zuschulden kommen hat lassen, das als Disziplinarvergehen anzusehen ist und in seinen beruflichen Kreisen sittlich negativ bewertet wird, kann er bloßgestellt und seine Wertschätzung in der Öffentlichkeit herabgesetzt werden, auch wenn das Vergehen rechtlich nicht oder nicht mehr geahndet werden könnte.

 

Soweit sich auch der Revisionsrekurswerber im vorliegenden Fall auf eine Aussageverweigerung wegen drohender Schande beruft, ist es ihm aber nicht gelungen, die sein Recht begründenden Umstände gem § 323 ZPO glaubhaft zu machen.

 

Die Frage, „wer innerhalb der Stadt (…) vom Abschluss des Swaps informiert gewesen sei“, ist auf eine Wissenserklärung des Zeugen gerichtet. Der tatsächliche Informationsstand Dritter hängt aber von mehreren Faktoren ab, nicht nur von den eigenen Berichten des Zeugen, sondern auch von ihrem persönlichen Verständnis und von alternativen Kommunikationswegen, die dem Zeugen nicht notwendig bekannt sein mussten. Eine wirklich sichere Antwort auf diese Frage erscheint objektiv gar nicht möglich. Es ist daher nicht nachvollziehbar, inwiefern gerade die Beantwortung dieser Frage geeignet wäre, ein pflichtwidriges, gesellschaftlich zur Schande gereichendes Verhalten des Zeugen aufzudecken.