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04.01.2016 Zivilrecht

OGH: § 231 ABGB – bedarfsorientierte Mindestsicherung (nach dem Wiener Mindestsicherungsgesetz) bei Unterhaltsbemessung zu berücksichtigen?

Wenngleich die Erhöhung im Hinblick auf die Bedürfnisse der weiteren im Haushalt lebenden Person erfolgt, besteht mangels entsprechender gesetzlicher Anordnung kein Anspruch dieser (minderjährigen) Person; vielmehr wird mit der Erhöhung lediglich das Einkommen des unterhaltspflichtigen Leistungsbeziehers insgesamt erhöht


Schlagworte: Familienrecht, Kindesunterhalt, Bemessung, bedarfsorientierte Mindestsicherung
Gesetze:

 

§ 231 ABGB, § 7 WMG

 

GZ 8 Ob 88/15x [1], 25.11.2015

 

OGH: Zu dem als Unterhaltsbemessungsgrundlage dienenden Einkommen zählen alle tatsächlich erzielten Einnahmen des Unterhaltspflichtigen in Geld oder geldwerten Leistungen, über die er verfügen kann.

 

Es entspricht stRsp des OGH, dass auch Sozialleistungen, die nicht dem Ausgleich eines bestimmten Mehraufwands für einen Sonderbedarf dienen oder nach gesetzlichen Bestimmungen auf den Unterhalt nicht anrechenbar sind (zB Sozialhilfe, Ausgleichszulage, Notstandshilfe), als Einkommen in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einbezogen werden. Dabei ist nicht nur der Richtsatz heranzuziehen, sondern es sind auch zusätzliche Beihilfen, beispielsweise für Unterkunft und Heizung, deren Bedarf von den Richtsätzen nicht erfasst wird, zu berücksichtigen.

 

Demgemäß ist im Revisionsrekursverfahren auch nicht mehr strittig, dass der vom Vater bezogene Grundbetrag der bedarfsorientierten Mindestsicherung von 794,41 EUR ebenso wie die ihm gewährte Mietbeihilfe von 87,17 EUR in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen ist.

 

Strittig ist vielmehr ausschließlich, ob die vom Vater für den (seit Oktober 2014) mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebenden Sohn bezogene erhöhte bedarfsorientierte Mindestsicherung nach dem Wiener Mindestsicherungsgesetz (WMG) zur Gänze in die Bemessungsgrundlage für die Unterhaltspflicht gegenüber seinen drei weiteren, bei der Mutter lebenden Kindern einzubeziehen ist, oder ob - wie der Revisionsrekurswerber meint - für die Berechnung seiner Unterhaltspflicht gegenüber seinen drei anderen Kindern der für den zu seiner Bedarfsgemeinschaft gehörenden Sohn T***** zuerkannte Erhöhungsbetrag herauszurechnen ist.

 

Diese Frage wurde in der Rsp bislang nicht behandelt. Auch iZm der Sozialhilfe, die im Wesentlichen durch die bedarfsorientierte Mindestsicherung ersetzt wurde, hat sich die Rsp mit dieser Problemstellung noch nicht fundiert auseinandergesetzt. In der Entscheidung 10 Ob 96/05y wurde dazu lediglich darauf verwiesen, dass zwischen den Parteien Übereinstimmung bestehe, nur den auf die Unterhaltspflichtige entfallenden Anteil, nicht aber auch den auf ihren minderjährigen Sohn entfallende Anteil an Sozialhilfeleistungen bei der Unterhaltsbemessungsgrundlage für andere Kinder zu berücksichtigen. Die Entscheidung 3 Ob 250/97d bezieht sich auf das deutsche Bundessozialhilfegesetz und leitet aus diesem ab, dass die laufenden Leistungen für bedürftige Personen nach Regelsätzen nicht als Einkommen des Vaters als Haushaltsvorstand, sondern als jeweils eigenes Einkommen der bedürftigen Person anzusehen sind. Auch diese Entscheidung erlaubt daher - wie im Folgenden noch zu zeigen sein wird - für die hier zu beurteilende Leistung keine verwertbaren Rückschlüsse.

 

Mit einer zumindest vergleichbaren Konstellation hat sich der OGH allerdings in der Entscheidung 7 Ob 152/03h auseinandergesetzt: Nach dieser Entscheidung ist die von einem unterhaltspflichtigen Pensionisten bezogene Ausgleichszulage als Einkommen des Unterhaltspflichtigen in die Unterhaltsbemessungsrundlage einzubeziehen. Es ist nicht danach zu differenzieren, ob sich die Ausgleichszulage im Hinblick auf einen im gleichen Haushalt mit dem Unterhaltspflichtigen lebenden Ehegatten oder mit ihm lebender Kinder erhöht hat, besteht doch hinsichtlich einer solchen Erhöhung, wenn sie auch im Hinblick auf sich gem § 293 ASVG in höheren Richtsätzen niederschlagende höhere Bedürfnisse gewährt wird, kein Anspruch des Ehegatten und der Kinder, sondern wird damit lediglich das Einkommen des unterhaltspflichtigen Pensionsbeziehers insgesamt erhöht.

 

Die bedarfsorientierte Mindestsicherung wurde mit der ihr zugrunde liegenden Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern gem Art 15a B-VG, BGBl I Nr 96/2010, zur Herstellung eines bundesweit einheitlichen Mindeststandards und harmonisierter landesgesetzlicher Regelungen in der Sozialhilfe sowie zur Armutsbekämpfung eingeführt. Sie soll va durch Geldleistungen eine Deckung der Grundbedürfnisse (insbesondere Lebensunterhalt und Wohnbedarf sowie Schutz bei Krankheit, Schwangerschaft und Entbindung) ermöglichen.

 

Diesen Vorgaben entsprechend bestimmt § 1 des hier maßgebenden WMG, dass durch Zuerkennung von pauschalierten Geldleistungen insbesondere der Lebensunterhalt und der Wohnbedarf gesichert werden sollen. Den Anspruch auf Mindestsicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs haben - bei Erfüllung der im Gesetz normierten Voraussetzungen - gem § 7 Abs 1 WMG volljährige Personen. Der Anspruch auf Mindestsicherung kann für mehrere im gemeinsamen Haushalt lebenden Personen („Bedarfsgemeinschaft“) nur gemeinsam geltend gemacht werden und steht volljährigen Personen der Bedarfsgemeinschaft solidarisch zu. Die Abdeckung des Bedarfs von zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden minderjährigen Personen erfolgt durch Zuerkennung des maßgeblichen Mindeststandards an die anspruchsberechtigten Personen der Bedarfsgemeinschaft, der sie angehören (§ 7 Abs 1 WMG).

 

Die vorstehenden Ausführungen machen deutlich, dass die öffentlich-rechtlichen Leistungen der Ausgleichszulage für Pensionsbezieher und der Anspruch auf bedarfsorientierte Mindestsicherung im Hinblick auf die Frage der Berücksichtigung von (wegen weiterer im Haushalt lebender Personen) erhöhten Richtsätzen bei der Unterhaltsbemessung für andere, nicht im gemeinsamen Haushalt mit dem Unterhaltsschuldner lebende Kinder vergleichbar sind. Bei beiden auch von ihrer Zweckwidmung her vergleichbaren Leistungen steht der Anspruch auf die (erhöhte) Leistung dem Unterhaltsschuldner zu. Wenngleich die Erhöhung im Hinblick auf die Bedürfnisse der weiteren im Haushalt lebenden Person erfolgt, besteht mangels entsprechender gesetzlicher Anordnung kein Anspruch dieser (minderjährigen) Person; vielmehr wird mit der Erhöhung lediglich das Einkommen des unterhaltspflichtigen Leistungsbeziehers insgesamt erhöht.

 

Damit erweist sich aber die Rechtsauffassung des Rekursgerichts als zutreffend.

 

Dass unter dieser Voraussetzung im hier maßgebenden Zeitraum seit der letzten Unterhaltsfestsetzung keine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten ist, die eine Reduzierung der Unterhaltsbeiträge rechtfertigen könnte, wird im Revisionsrekurs gar nicht bestritten.