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23.02.2016 Zivilrecht

OGH: Zur Frage der Sorgfaltsverbindlichkeiten des Betreibers einer „Bagjump“- Anlage (in einem Snowpark)

Während die Warnhinweise im Bereich der „Bagjump“-Anlage eher allgemein gehalten waren („[...] kann zu Verletzungen führen“; „lerne die Schi- und Snowboardgrundlagen, bevor Du springst“; „sorge dafür, dass Du nicht auf dem Kopf landest“), stellten die Werbemaßnahmen „Erleben Sie das gute Gefühl eines missglückten Backflips“ eine gewisse Verharmlosung der mit der Benutzung der Anlage verbundenen Gefahren dar; jedenfalls suggerierten sie potenziellen Benutzern eine gewisse Gefahrlosigkeit; dafür hat aber der Veranstalter einzustehen, wird doch der potenzielle Benutzer vor dem Hintergrund, dass ohnehin ein Luftkissen den Sturz auffängt („gutes Gefühl“), zur Überschätzung seiner Möglichkeiten und Fähigkeiten geradezu animiert, wobei auch nicht unbeachtet bleiben kann, dass derartige Anlagen wohl überwiegend von männlichen Jugendlichen benutzt werden, deren Risikobereitschaft als hoch einzuschätzen ist


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Sorgfaltspflicht, Verkehrssicherungspflicht, Snowpark, Bagjump-Anlage, Backflip, Mitverschulden
Gesetze:

 

§§ 1295 ff ABGB, § 1304 ABGB

 

GZ 6 Ob 183/15b [1], 14.01.2016

 

Das Berufungsgericht warf dem Kläger, der im Alter von knapp 18 Jahren bei seinem Sprungversuch mit der Stirn gegen die Schanzenkante geprallt war, vor, er sei zwar ein ambitionierter Hobbysportler und guter Schifahrer gewesen, habe aber vor seinem Versuch, einen besonders anspruchsvollen Sprung zu absolvieren, an den sich selbst Extremsportler oft jahrelang herantasten, lediglich Längsdrehungen und Schrauben, jedoch keine Saltos durchgeführt. Zum Zeitpunkt des Sprungversuchs nach dem Mittagessen sei die Konzentrationsfähigkeit des Klägers aufgrund seiner Müdigkeit eingeschränkt gewesen, weshalb ihm ein falsches Timing unterlaufen sei. Dem stellte das Berufungsgericht hinsichtlich der Beklagten und der Nebenintervenientin gegenüber, diese hätten durch ihre Werbeankündigung „Erleben Sie das gute Gefühl eines missglückten Backflips“ potenziellen Benützern der „Bagjump“-Anlage signalisiert, dass das Springen relativ harmlos sei; diese Ankündigung habe die - aufgrund des Vorhandenseins eines Luftkissens ohnehin bereits gegebene - Risikobereitschaft des einzelnen Benutzers noch gefördert. Darüber hinaus habe es an jeglichen Zugangsbeschränkungen gefehlt, weshalb „praktisch jedermann“ auch anspruchsvollste Sprünge habe üben können. Die Verschuldensteilung nahm das Berufungsgericht - so wie bereits das Erstgericht - im Verhältnis von 2:1 zu Lasten des Klägers vor.

 

OGH: Nach stRsp des OGH ist eine gewisse, bei den einzelnen Sportarten mehr oder weniger große und verschiedenartig bedingte Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit der Sportausübenden im Wesen des Sports begründet und das notwendigerweise damit verbundene Risiko für die körperliche Unversehrtheit der daran teilnehmenden Personen daher gebilligt. Auch für Risikosportarten hat der OGH bereits festgehalten, dass die Teilnahme daran grundsätzlich (auch) auf eigenes Risiko geschieht. Hat der Teilnehmer an einer Risikosportart bereits vor dem Unfall etwa mehrere Abfahrten unternommen, sodass er mit dem Wesen der Sportart einigermaßen vertraut sein musste, so ist von seinem Wissen(müssen) einer allfälligen erhöhten Gefährdung seiner körperlichen Sicherheit auszugehen, weshalb den Veranstalter eine besondere Warn- oder Belehrungspflicht nicht trifft.

 

Der Kläger meint in seiner Revision, das Verschulden treffe ausschließlich die Beklagte und die Nebenintervenientin, hätten diese doch den falschen Anschein der Risikolosigkeit der Benutzung der Anlage geschaffen. Er weicht damit aber insofern von den Feststellungen der Vorinstanzen ab, als im Startbereich (auch) eine Tafel mit dem Hinweis „Bagjumpspringen macht Spaß, aber kann auch zu Verletzungen führen“ angebracht war; Werbeankündigungen mit der Aussage „Erleben Sie das gute Gefühl eines missglückten Backflips“ befanden sich hingegen nicht im unmittelbaren Startbereich. Von der Darstellung einer völlig risikolosen Benutzbarkeit der Anlage kann somit nicht ausgegangen werden.

 

Völlig außer Acht lässt die Revision außerdem den von den Vorinstanzen festgestellten Konzentrations-, Erfahrungs- und Übungsmangel des Klägers vor seinem Sprungversuch. Insbesondere einem ambitionierten Hobbysportler und gutem Schifahrer ist bekannt, dass man sich nach der Mittagspause in einem körperlichen Tief befindet, worauf bereits das Erstgericht hingewiesen hat; dies war im Übrigen offensichtlich auch dem Kläger selbst bewusst gewesen, hatte er doch vor dem Sprung den ihn begleitenden jungen Damen gegenüber geäußert, er wolle nicht springen, weil er müde sei. Dass dem Kläger das Risiko eines Sturzes bei dem von ihm intendierten Sprung bekannt war bzw zumindest bekannt gewesen sein musste, ergibt sich schon allein daraus, dass er bei einem Sprungversuch am Vormittag desselben Tags zu Sturz gekommen war.

 

Die Annahme eines „Mitverschuldens“ des Klägers durch das Berufungsgericht ist somit durchaus vertretbar. Nach § 1304 ABGB ist im Schadensfall ein „Verschulden“ des Geschädigten „verhältnismäßig“ zu berücksichtigen. Bei diesem „(Mit-)Verschulden“ handelt es sich mangels Rechtspflicht, eigene Güter (etwa die Gesundheit) zu schützen, um kein Verschulden im technischen Sinn, sondern um eine Obliegenheitsverletzung. Bei der Beurteilung des Fehlverhaltens des Verletzten steht die Frage im Vordergrund, ob er jene Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die ein verständiger Teilnehmer in seiner Lage angewandt hätte, um eine Schädigung zu verhindern oder abzuwenden. Ein solcher Teilnehmer hätte jedoch in der Situation des Kläger den Sprungversuch nicht unternommen.

 

Zur Revision der Beklagten und der Nebenintervenientin: Es entspricht durchaus der Rsp des OGH, dass eine Verkehrssicherungspflicht entfällt, wenn sich jeder selbst schützen kann, weil die Gefahr leicht (= ohne genauere Betrachtung) erkennbar ist. Allerdings trifft den Betreiber und Veranstalter einer Risikosportart, der auch das dafür notwendige Sportgerät zur Verfügung stellt, jedenfalls eine entsprechende Sorgfalts- und Aufklärungspflicht über die Sicherheitsrisiken betreffende Umstände; nur so wird der Teilnehmer nämlich in die Lage versetzt, diese auch ausreichend und umfänglich abzuschätzen, wobei die Schilderung, Aufklärung und Beratung (Belehrung) so konkret, umfassend und instruktiv zu erfolgen hat, dass sich der hievon Angesprochene der (möglichen) Gefahren bewusst wird und diese eigenverantwortlich abzuschätzen in der Lage ist. Wird demgegenüber dem Sportler vom Veranstalter eine gewisse Gefahrlosigkeit der Sportausübung signalisiert und ist dem unerfahrenen Sportler „überhaupt nicht erkennbar“, dass die konkrete Situation relativ schwierig und damit gefährlich ist, so scheidet der Haftungsausschluss des Handelns auf eigene Gefahr aus.

 

Während die Warnhinweise im Bereich der „Bagjump“-Anlage eher allgemein gehalten waren („[...] kann zu Verletzungen führen“; „lerne die Schi- und Snowboardgrundlagen, bevor Du springst“; „sorge dafür, dass Du nicht auf dem Kopf landest“), stellten die bereits erwähnten Werbemaßnahmen „Erleben Sie das gute Gefühl eines missglückten Backflips“ eine gewisse Verharmlosung der mit der Benutzung der Anlage verbundenen Gefahren dar; jedenfalls suggerierten sie potenziellen Benutzern eine gewisse Gefahrlosigkeit. Dafür hat aber - iSd Entscheidung 6 Ob 17/07d - der Veranstalter einzustehen, wird doch der potenzielle Benutzer vor dem Hintergrund, dass ohnehin ein Luftkissen den Sturz auffängt („gutes Gefühl“), zur Überschätzung seiner Möglichkeiten und Fähigkeiten geradezu animiert, wobei auch nicht unbeachtet bleiben kann, dass derartige Anlagen wohl überwiegend von männlichen Jugendlichen benutzt werden, deren Risikobereitschaft als hoch einzuschätzen ist. Insofern teilt der OGH die Auffassung des Berufungsgerichts und des beigezogenen Sachverständigen, dass von Seiten der Beklagten und der Nebenintervenientin - wohl sogar deutlich - darauf hingewiesen hätte werden müssen, dass für unerfahrene (ungeübte) Sportler gefahrträchtige Sprünge wie etwa Saltobewegungen oder Flips nicht erlaubt sind und dass derartige Sprünge ein erhebliches Unfall- und Verletzungsrisiko in sich bergen. Die Ausführungen der Beklagten und der Nebenintervenientin in ihren Revisionen, bei einer freiwilligen Teilnahme an (offensichtlich jeglicher) gefährlicher Veranstaltung sei Selbstsicherung zumutbar, ist vor diesem Hintergrund nicht zu folgen. Soweit die Beklagte und die Nebenintervenientin die Kausalität ihrer Werbemaßnahmen für die Durchführung des Sprungs durch den Kläger bestreiten, weichen sie von den Feststellungen der Vorinstanzen ab; diese haben den Kausalzusammenhang ausdrücklich bejaht.

 

Auch in der Literatur ist anerkannt, dass angesichts des unterschiedlichen Niveaus von sog Snowparks der Aufklärung der Benutzer eine große Bedeutung zukommt; es müsse deshalb über die Verhaltensregeln und die Schwierigkeitsgrade aufgeklärt werden, um eine Überforderung der Benützer hintanzuhalten, wobei ein besonders strenger Maßstab anzulegen sei, wenn Anfänger ohne Einschränkung zugelassen werden.

 

Damit begegnet aber auch die Annahme eines rechtswidrigen und schuldhaften (§ 1298 ABGB) Verhaltens der Beklagten und der Nebenintervenientin durch das Berufungsgericht keinen Bedenken.

 

Auch die Fragen der Verschuldensaufteilung und der Berücksichtigung eines Mitverschuldens betreffen stets den Einzelfall, womit eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht gegeben ist. Dass die Vorinstanzen dem Kläger einen höheren Verschuldensanteil zugewiesen haben, ist vertretbar.