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29.02.2016 Zivilrecht

OGH: Risikoausschluss iSd Art 26.3.2.

Der Risikoausschluss des Art 26.3.2. ARB 2003 ist nach Inkrafttreten des AußStrG 2005 einschränkend dahin auszulegen, dass dieser nicht das Verfahren über das Erbrecht nach den §§ 161 ff AußStrG 2005 erfasst


Schlagworte: Versicherungsrecht, Rechtsschutzversicherung, Risikoausschluss, Verlassenschaftsverfahren, Erbrecht
Gesetze:

 

Art 26 ARB 2003, §§ 161 ff AußStrG 2005

 

GZ 7 Ob 172/15t [1], 27.01.2016

 

Art 26 ARB 2003 lautet auszugsweise wie folgt:

 

„Artikel 26

 

Rechtsschutz in Erbrechtssachen

 

 

2. Was ist versichert?

 

Der Versicherungsschutz umfasst

 

2.1. die Wahrnehmung rechtlicher Interessen vor Gerichten

 

2.1.1. aus dem Erbrecht;

 

2.1.2. aus Pflichtteils- oder Vermächtnisansprüchen;

 

2.1.3. aus Verträgen auf den Todesfall;

 

 

3. Was ist nicht versichert?

 

Im Rechtsschutz in Erbrechtssachen besteht ... kein Versicherungsschutz für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen,

 

 

3.2. im Verlassenschaftsverfahren;

 

…“

 

OGH: Als Ausnahmetatbestände, die die vom Versicherer übernommene Gefahr einschränken oder ausschließen, dürfen Risikoausschlüsse nicht weiter ausgelegt werden, als es ihr Sinn unter Beachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise sowie des Regelungszusammenhangs erfordert. Den Beweis für das Vorliegen eines Risikoausschlusses als Ausnahmetatbestand hat der Versicherer zu führen. Die Auslegung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen hat sich am verständigen durchschnittlichen Versicherungsnehmer zu orientieren; risikoeinschränkende Klauseln besitzen in dem Maß keine Vertragskraft, als deren Verständnis von einem Versicherungsnehmer ohne juristische Vorbildung nicht erwartet werden kann.

 

Bereits die Vorinstanzen haben zutreffend bei Beurteilung der Reichweite des gegenständlichen Risikoausschlusses den Zeitpunkt der Errichtung der dem Rechtsschutzversicherungsvertrag zugrunde liegenden Bedingungen im Jahr 2003 berücksichtigt. Nach der damals geltenden Rechtslage waren die Erbansprecher bei zu einander im Widerspruch gestandenen (damals sog) Erbserklärungen (nunmehr Erbantrittserklärungen) auf den streitigen Rechtsweg zu verweisen. Das Abhandlungsgericht hatte (lediglich) die Parteirollen für das Streitverfahren zu verteilen und eine Frist für die Einbringung der Erbrechtsklage zu setzen, widrigenfalls mit der Verlassenschaftsabhandlung ohne Berücksichtigung der auf den Rechtsweg verwiesenen Erbansprüche vorgegangen werden konnte. Im Zweiparteiensystem des Zivilprozesses war dann - bisweilen in mehreren Streitverfahren nacheinander - das (jeweils) bessere Erbrecht in Form einer negativen Feststellungsklage zu klären. Das streitige Verfahren über das Erbrecht und das außerstreitige Verlassenschaftsverfahren waren daher klar getrennt. Demnach war auch die Auslegung des Risikoausschlusses für das Verlassenschaftsverfahren nach Art 26.3.2. ARB 2003 im Hinblick auf den nach Art 26.2.1.1. ARB 2003 grundsätzlich gegebenen Versicherungsschutz für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen vor Gerichten aus dem Erbrecht unproblematisch. Hintergrund für den Risikoausschluss war, dass eine anwaltliche Vertretung im außerstreitigen Verlassenschaftsverfahren regelmäßig nicht erforderlich war. Im Gegensatz zum Zivilprozess herrschte der Untersuchungsgrundsatz vor (§ 2 Z 5 AußStrG aF) und bestand generell Vertretungsfreiheit (§ 5 AußStrG aF). Zudem gab es keinen Vertretungskostenersatz.

 

Mit der Neufassung des AußStrG mit Wirksamkeit ab 1. 1. 2005 wurde der „Erbrechtsstreit“ in das Verlassenschaftsverfahren implementiert (§§ 161 bis 164, 185 AußStrG 2005) und heißt nunmehr „Entscheidung über das Erbrecht“. Dieses Zwischenverfahren weicht jedoch in wesentlichen Punkten von den Regeln des allgemeinen Außerstreitverfahrens und jenen des allgemeinen Verlassenschaftsverfahrens ab und ist dem Zivilprozess angenähert. Nach § 161 Abs 1 AußStrG 2005 hat das Abhandlungsgericht nur im Rahmen des Vorbringens der Parteien und ihrer Beweisanbote zu entscheiden, woraus eine wesentliche Einschränkung des sonst im Außerstreitverfahren geltenden Untersuchungsgrundsatzes (§ 16 Abs 1 AußStrG 2005) folgt. Das Beweisverfahren bleibt streng beschränkt auf jenes Tatsachenvorbringen, welches die Parteien für und wider die Gültigkeit und Wirksamkeit der in ihren Erbantrittserklärungen geltend gemachten erbrechtlichen Berufungsgründe vortragen. Gleiches gilt für die Beweisaufnahme, die ausschließlich die von den Parteien erstatteten Beweisanbote zu umfassen hat. Gem § 162 Satz 2 AußStrG 2005 besteht bereits im erstinstanzlichen Verfahren - im Gegensatz zur insofern allgemein vorgesehenen Vertretungsfreiheit im Außerstreitverfahren (§ 4 Abs 1 AußStrG 2005) - generell relative Anwaltspflicht; übersteigt der Wert der Aktiven der Verlassenschaft voraussichtlich 4.000 EUR und ab 1. 7. 2009 5.000 EUR (BGBl I 2009/52), besteht sogar - im Einklang mit § 27 Abs 1 ZPO - absolute Anwaltspflicht. Während im Verlassenschaftsverfahren grundsätzlich kein Vertretungskostenersatz stattfindet, ist ein solcher im Verfahren über das Erbrecht vorgesehen (§ 185 AußStrG 2005).

 

Geht man vom im Zeitpunkt der Verfassung der ARB 2003 geltenden Rechtslage aus, so war der Streit über das Erbrecht durch Art 26.2.1.1. ARB 2003 gedeckt. Durch das AußStrG 2005 wurde dieser Streit in das im Risikoausschluss nach Art 26.3.3 ARB 2003 genannte außerstreitige Verfahren verwiesen, wobei das Verfahren darüber durch Sonderregelungen dem Zivilprozess angenähert blieb. Bejaht man die Frage, ob diese Streitigkeiten auch nach der Gesetzesänderung vom Versicherungsschutz umfasst bleiben, würde sich das vom Rechtsschutzversicherer übernommene Risiko nicht ändern, verneint man sie, würde das Risiko ohne Prämienänderung eingeschränkt. Der Versicherer kann sich daher nicht auf eine Gesetzesänderung berufen, die nachträglich einen Risikoausschluss ausweitet und sich damit der Übernahme eines vereinbarten Risikos entledigen.

 

Es ist zwar richtig, dass die Gesetzesänderung bereits in Kraft war, als der Kläger Versicherungsschutz erwarb, dies ändert aber nichts daran, dass dem Vertrag weiter die ARB 2003 zugrunde lagen. Für die Auslegung der Bedingungen und die Beurteilung des versicherten Risikos kann nur die damals geltende Gesetzeslage herangezogen werden.

 

Demnach ist der Risikoausschluss des Art 26.3.2. ARB 2003 nach Inkrafttreten des AußStrG 2005 einschränkend dahin auszulegen, dass dieser nicht das Verfahren über das Erbrecht nach den §§ 161 ff AußStrG 2005 erfasst.

 

Daraus folgt, dass die Beklagte aufgrund der Versicherungsbedingungen zur Deckung der Kosten des Verfahrens über das Erbrecht verpflichtet ist.