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29.03.2016 Zivilrecht

OGH: Zur Straßenbahn als Anlage iSd § 364a ABGB

Werden vom Bewilligungsbescheid gedeckte Schallwerte überschritten, ist der Unterlassungsanspruch jedenfalls zu bejahen; soweit der Bescheid derartige Werte nicht enthält, ist zu prüfen, inwieweit es für den Betreiber möglich und zumutbar ist, den Lärmpegel zu senken


Schlagworte: Nachbarrecht, Immissionsabwehranspruch, Unterlassungsklage, behördlich genehmigte Anlage, Eisenbahn, Straßenbahn, Lärm, Erschütterungen
Gesetze:

 

§ 364a ABGB, § 14a EisbG, § 19 EisbG, § 5 SchIV

 

GZ 1 Ob 47/15s [1], 28.01.2016

 

OGH: Bei „gemeinwichtigen“ Anlagen, also bei gegenüber dem „Normalfall“ des § 364a ABGB (gewerbliche Betriebsanlage) erheblich gesteigertem öffentlichen Interesse am Betrieb einer (Verkehrs-)Einrichtung, sind Unterlassungsansprüche nach § 364 Abs 2 ABGB auch dann ausgeschlossen, wenn den Nachbarn im Bewilligungsverfahren keine Parteistellung eingeräumt wird, auf ihre schutzwürdigen Interessen aber immerhin generell Rücksicht zu nehmen ist. Auch im eisenbahnrechtlichen Genehmigungsverfahren ist eine Bedachtnahme auf Anrainerinteressen vorgesehen. Nach § 14a Abs 3 EisbG darf die Konzession nur verliehen werden, wenn öffentliche Interessen nicht entgegenstehen oder das öffentliche Interesse an der Erbauung und dem Betrieb der geplanten Eisenbahn die entgegenstehenden Interessen überwiegt (Gemeinnützigkeit der Eisenbahn). Dieser Grundsatz muss auch in Verfahren zur Erweiterung der Konzession bzw bei der Bewilligung von Umbau- oder Ausbaumaßnahmen beachtet werden. Darüber hinaus ergibt sich die Verpflichtung zur Bedachtnahme auf Anrainerinteressen auch aus § 19 EisbG, dessen Abs 4 Grundlage für die Schienenverkehrslärm-Immissionsschutzverordnung (SchIV) war.

 

Auch eine behördliche Betriebsanlagengenehmigung berechtigt den Anlagenbetreiber nicht zu Immissionen jeglicher Art und Intensität. Die Duldungspflicht der Nachbarn ist schon nach der ratio des § 364a ABGB mit der Reichweite der erteilten Genehmigung begrenzt. Werden von der Behörde bestimmte Grenzwerte festgesetzt, sind diese jedenfalls einzuhalten. Ansonsten sind von den Nachbarn (nur) solche Immissionen hinzunehmen, die für den Betrieb der genehmigten Anlage typisch sind und auch nicht durch zumutbare Vorkehrungen hintangehalten oder verringert werden können.

 

Werden vom Bewilligungsbescheid gedeckte Schallwerte überschritten, ist der Unterlassungsanspruch jedenfalls zu bejahen. Soweit der Bescheid derartige Werte nicht enthält, aber eine Lärmbelästigung besteht, die das bisher ortsübliche Ausmaß in einer die Wohnungsnutzung wesentlich beeinträchtigenden Weise übersteigt, ist zu prüfen, inwieweit es möglich und für den Betreiber zumutbar ist, den Lärmpegel (zB durch Einrichtung einer Langsamfahrstrecke) zu senken. Durch zumutbare Maßnahmen vermeidbare Immissionen sind von einer generellen Anlagengenehmigung idR nicht gedeckt.