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11.04.2016 Zivilrecht

OGH: Zur Frage der Konkurrenz von § 19 Abs 6a StVO mit anderen Vorrangregelungen

Es hat bei der Grundregel, dass Radfahrer, die eine Radfahranlage verlassen, sämtlichen im Fließverkehr befindlichen Fahrzeugen den Vorrang einzuräumen haben, zu bleiben; insoweit kann auch der Argumentation des Revisionswerbers, beide Unfallbeteiligten hätten sich auf untergeordneten Verkehrsflächen befunden, nicht gefolgt werden


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Straßenverkehrsrecht, Verlassen des Radweges, Vorrang, untergeordnete Verkehrsflächen
Gesetze:

 

§ 19 StVO, §§ 1295 ff ABGB

 

GZ 2 Ob 135/15i [1], 25.02.2016

 

OGH: Nach § 19 Abs 6a StVO hat ein Radfahrer, der eine Radfahranlage verlässt, anderen Fahrzeugen im Fließverkehr den Vorrang zu geben.

 

Was unter einem „Fahrzeug im Fließverkehr“ iSd § 19 Abs 6a StVO zu verstehen ist, wird in der StVO nicht definiert. Nach der Rsp befindet sich ein Fahrzeug im fließenden Verkehr, wenn es weder hält noch parkt, noch sich nach einem Halten oder Parken in den entsprechenden Fahrbahnteil einordnet, noch aus einer in § 19 Abs 6 StVO aufgezählten Verkehrsfläche kommt. Auch ein Fahrzeug, das vor der kreuzenden Verkehrsfläche gem § 52 lit c Z 24 StVO (Vorrangzeichen „Halt“) anzuhalten ist, befindet sich nicht im fließenden Verkehr (2 Ob 256/04t). Daraus hat der erkennende Senat in der zuletzt genannten Entscheidung den Schluss gezogen, dass dort der Radfahrerin der Vorrang gegenüber dem PKW zukam.

 

Der Sachverhalt unterscheidet sich aber vom hier vorliegenden insoweit, als hier nicht das Vorschriftszeichen nach § 52 lit c Z 24 StVO „Halt“ sondern jenes nach § 52 lit b Z 23 StVO „Vorrang geben“ kundgemacht war, sodass hier der Erstbeklagte im Gegensatz zum Sachverhalt in 2 Ob 256/04t nicht vor der kreuzenden Verkehrsfläche anzuhalten hatte. Daraus folgt, dass er im Gegensatz zu der genannten Entscheidung (und in Übereinstimmung mit den Vorinstanzen) als im Fließverkehr befindlich anzusehen ist. In diesem Fall hat es aber bei der Regel des § 19 Abs 6a StVO zu verbleiben, wonach Radfahrer, die - wie hier - die Radfahranlage verlassen, anderen Fahrzeugen im Fließverkehr den Vorrang zu geben haben.

 

Die Entscheidung 2 Ob 135/11h, auf die sich der Kläger in seiner Revision vornehmlich bezieht, betraf insofern eine Sonderkonstellation, als dort zwar der Radweg an der Kreuzung endete, in Annäherungsrichtung des dortigen KFZ-Lenkers aber das allgemeine Gefahrenzeichen nach § 50 Z 16 StVO mit der Zusatztafel „Radroute kreuzt“ angebracht war, weshalb der erkennende Senat im Hinblick auf diese Sonderkonstellation unter Verweis auf 2 Ob 233/08s die Ansicht vertrat, dass bei dieser besonderen Kreuzungssituation wegen der notwendigen Schnelligkeit, mit der Verkehrsteilnehmer die Vorrangsituation beurteilen können müssen, und iSe möglichst einfachen Handhabbarkeit die eindeutigere Vorrangregel des § 19 Abs 4 StVO vorzugehen habe.

 

Im nunmehr zu beurteilenden Fall bestand aber keine unklare Situation, und zwar - wie die Vorinstanzen ausdrücklich dargelegt haben - auch nicht im Hinblick auf allfällige Zusatzschilder. Es hat daher bei der Grundregel, dass Radfahrer, die eine Radfahranlage verlassen, sämtlichen im Fließverkehr befindlichen Fahrzeugen den Vorrang einzuräumen haben, zu bleiben. Insoweit kann auch der Argumentation des Revisionswerbers, beide Unfallbeteiligten hätten sich auf untergeordneten Verkehrsflächen befunden, nicht gefolgt werden.