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06.06.2016 Zivilrecht

OGH: Ist die Verzichtserklärung des Vaters hinsichtlich der Anrechnung von Sorgepflichten für Adoptivkinder im Unterhaltsvorschussverfahren zu berücksichtigen?

Ein Verzicht des Unterhaltsschuldners auf eine Anrechnung der Sorgepflichten für Adoptivkinder ist für die Höhe des Anspruchs des Minderjährigen auf Unterhaltsvorschüsse nicht zu berücksichtigen


Schlagworte: Familienrecht, Unterhaltsvorschuss, Verzichtserklärung, Adoptivkinder, Bemessung
Gesetze:

 

§ 7 UVG, § 1 UVG

 

GZ 10 Ob 7/16a [1], 13.04.2016

 

OGH: Der Bund hat auf den „gesetzlichen“ Unterhalt minderjähriger Kinder nach diesem Bundesgesetz Vorschüsse zu gewähren (§ 1 UVG) und zwar grundsätzlich in der beantragten Höhe bis zu dem im Exekutionstitel festgesetzten Unterhaltsbeitrag (§ 5 Abs 1 UVG).

 

Das Gericht hat die Vorschüsse ganz oder teilweise zu versagen, soweit sich (in den Fällen der §§ 3 und 4 Z 1 UVG) „aus der Aktenlage ergibt, dass die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht nicht (mehr) besteht oder, der gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht entsprechend, zu hoch festgesetzt ist“ (§ 7 Abs 1 Z 1 UVG). Tritt ein Fall des § 7 Abs 1 UVG ein, ohne dass es zur gänzlichen Versagung der Vorschüsse käme, so hat das Gericht gem § 19 Abs 1 UVG auf Antrag oder von Amts wegen die Vorschüsse entsprechend herabzusetzen.

 

Der aufgrund eines Exekutionstitels gewährte Vorschuss soll der jeweiligen materiellen Unterhaltspflicht entsprechen und zwar unabhängig davon, ob eine Unrichtigkeit schon zum Zeitpunkt der Schaffung des Titels bestand oder sich aus einer zwischenzeitigen Änderung der Verhältnisse ergib. Der Unterhaltsvorschuss darf außerdem den in § 6 Abs 1 UVG angeführten Betrag nicht überschreiten.

 

§ 7 Abs 1 UVG soll va einer missbräuchlichen Inanspruchnahme von Unterhaltsvorschüssen vorbeugen und es dem Gericht im Fall einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse ermöglichen, die Vorschüsse in der der gesetzlichen Unterhaltspflicht entsprechenden Höhe zu bemessen. Wird ein höherer Unterhalt als der gesetzliche Unterhalt vereinbart, ist nach dem Wortlaut des § 1 UVG nur der gesetzliche Unterhalt maßgebend.

 

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem Akteninhalt, dass die Unterhaltsbeträge, zu deren Leistung sich der Vater im Vergleich vom 4. 12. 2014 bereit erklärte bzw zu denen er laut dem Beschluss des Erstgerichts vom 8. 7. 2015 verpflichtet wurde, der Höhe nach über dem gesetzlichen Unterhaltsanspruch liegen. Konkurrieren im Unterhaltsbemessungsverfahren - wie im vorliegenden Fall - Unterhaltsansprüche von Kindern mit den Unterhaltsansprüchen anderer Kinder oder eines Ehegatten, wären diese im Titelverfahren nämlich derart zu berücksichtigen gewesen, dass zunächst zur Wahrung der Gleichmäßigkeit von einer für alle Unterhaltspflichten zur Verfügung stehenden gemeinsamen Unterhaltsbemessungsgrundlage auszugehen ist.

 

Die weiteren Unterhaltspflichten für die beiden Adoptivkinder wären durch Abzüge von Prozentpunkten vom maßgebenden Unterhaltssatz zu berücksichtigen gewesen. Diese Berücksichtigung hatte aber im Hinblick auf die vom Vater im Rahmen des Adoptionsverfahrens zu Gunsten des Antragstellers abgegebene Verzichtserklärung zu unterbleiben.

 

Nach § 194 Abs 2 ABGB idF BGBl I 2013/15 ist die Bewilligung der Adoption auch dann zu versagen, wenn ein überwiegendes Anliegen eines leiblichen Kindes des Annehmenden entgegensteht, insbesondere dessen Unterhalt oder Erziehung gefährdet wäre. Liegt der Unterhaltsanspruch leiblicher Kinder - wie im Fall des Antragstellers - unter dem Regelbedarf, wäre die Adoption nicht zu bewilligen gewesen. Um dem zu begegnen, gab der Vater zu Gunsten des Antragstellers die Verzichtserklärung ab, die im Ergebnis der Zusage bzw des Anerkenntnisses eines höheren als des gesetzlichen Unterhalts gleichkommt.

 

Eine Auswirkung der Verzichtserklärung auf das Unterhaltsvorschussverfahren in dem Sinn, dass - wie das Rekursgericht vermeint - der aus der Verzichtserklärung resultierende höhere vereinbarte Unterhalt dem gesetzlichen Unterhalt gleich zu halten wäre bzw auch die über dem gesetzlichen Unterhalt liegenden Beträge bevorschussungsfähig werden, ist zu verneinen. § 194 Abs 2 ABGB idF BGBl I 2013/15 schützt seiner systematischen Stellung und seinem Inhalt nach lediglich die Interessen der leiblichen Kinder des Annehmenden bei Bewilligung einer Adoption. Die Voraussetzungen einer Herabsetzung der beantragten Unterhaltsvorschüsse nach § 19 Abs 1 iVm § 7 Abs 1 UVG sind daher sowohl nach dem Wortlaut als auch dem Zweck dieser Bestimmungen (Schutz vor missbräuchlicher Inanspruchnahme des Bundes) erfüllt.