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06.09.2016 Zivilrecht

OGH: § 422 ABGB – zur Frage der Gewichtung der Interessen des Eigentümers einer Hecke im Verhältnis zum Selbsthilferecht eines Grundnachbarn, auf dessen Liegenschaft Äste der Hecke ragen

Der nach § 422 Abs 1 ABGB berechtigte Grundeigentümer ist nicht verpflichtet, für einen regelmäßigen Rückschnitt des Überhangs zu sorgen; er kann den Zeitpunkt, in dem er sein Selbsthilferecht nach der genannten Bestimmung ausüben möchte, grundsätzlich selbst wählen, und sein Recht erlischt nicht schon dadurch, dass er es für längere Zeit nicht ausübt; wird durch Entfernen des Überhangs keine Gefahrenlage (zB durch Eingriff in die Statik eines Baumes) geschaffen, ist ein einmaliger Rückschnitt bis zur Grundgrenze auch dann zulässig, wenn ein fachgerechtes (lauberhaltendes) Rückschneiden nur in kleinen Schritten über mehrere Jahre möglich wäre; anders wäre allenfalls – aufgrund einer Interessenabwägung – zu entscheiden, wenn der Eigentümer des Baumes einen Rückschnitt auf eigene Kosten angeboten und der beeinträchtigte Nachbar dies verweigert hätte oder wenn der Rückschnitt bis zur Grenze aus anderen Gründen geradezu als Rechtsmissbrauch anzusehen wäre


Schlagworte: Nachbarrecht, Überhangsrecht, Selbsthilferecht, Interessenabwägung, Hecke
Gesetze:

 

§ 422 ABGB

 

GZ 4 Ob 41/16g [1], 15.06.2016

 

In seiner Rechtsrüge macht der Kläger geltend, der Heckenschnitt 2012 sei nicht durch ihn, sondern ohne seine Kenntnis durch seine Familienangehörigen vorgenommen worden. Auch wenn man ihm deren Handeln zurechnen wolle, könne der Beklagte daraus keine Rechtfertigung ableiten, die Hecke des Klägers noch weiter zu beschädigen. Im Übrigen komme es nicht auf subjektive Interessen, sondern nur auf den objektiven Schutz der Pflanzen an.

 

OGH: Zutreffend ist, dass unsachgemäßes Zurückschneiden eines Teils der Hecke durch dritte Personen den Beklagten nicht dazu legitimiert, betreffend einen anderen Teil der Hecke ebenso vorzugehen. Insoweit greift die Begründung des Berufungsgerichts zu kurz. Im Ergebnis ist aber die Klageabweisung zu Recht erfolgt.

 

Nach § 422 Abs 1 ABGB kann jeder Eigentümer die in seinen Grund eindringenden Wurzeln eines fremden Baumes oder einer anderen fremden Pflanze aus seinem Boden entfernen und die über seinen Luftraum hängenden Äste abschneiden oder sonst benützen. Dabei hat er aber fachgerecht vorzugehen und die Pflanzen möglichst zu schonen.

 

Ein Verstoß gegen die gebotene Sorgfalt kann Schadenersatzansprüche des Pflanzeneigentümers begründen. Die Selbsthilfe ist jedoch nicht ausgeschlossen, wenn sich trotz schonender und fachgerechter Vorgehensweise die Verletzung oder sogar das Absterben der Pflanze nicht vermeiden lässt (arg: „möglichst“). Entscheidend ist, ob die fremde Pflanze durch ein unsachgemäßes Abschneiden der Äste und Wurzeln unverhältnismäßig beeinträchtigt wurde. Dies ist im Rahmen einer Abwägung zwischen den Interessen des Eigentümers an der Unversehrtheit der Pflanze und jenen des Selbsthilfeberechtigten an der Entfernung des Überhangs zu beurteilen.

 

Der nach § 422 Abs 1 ABGB berechtigte Grundeigentümer ist nicht verpflichtet, für einen regelmäßigen Rückschnitt des Überhangs zu sorgen. Er kann den Zeitpunkt, in dem er sein Selbsthilferecht nach der genannten Bestimmung ausüben möchte, grundsätzlich selbst wählen, und sein Recht erlischt nicht schon dadurch, dass er es für längere Zeit nicht ausübt. Wird durch Entfernen des Überhangs keine Gefahrenlage (zB durch Eingriff in die Statik eines Baumes) geschaffen, ist ein einmaliger Rückschnitt bis zur Grundgrenze auch dann zulässig, wenn ein fachgerechtes (lauberhaltendes) Rückschneiden nur in kleinen Schritten über mehrere Jahre möglich wäre. Anders wäre allenfalls – aufgrund einer Interessenabwägung – zu entscheiden, wenn der Eigentümer des Baumes einen Rückschnitt auf eigene Kosten angeboten und der beeinträchtigte Nachbar dies verweigert hätte oder wenn der Rückschnitt bis zur Grenze aus anderen Gründen geradezu als Rechtsmissbrauch anzusehen wäre.

 

Nach diesen Grundsätzen erweist sich die Klageabweisung im Ergebnis als zutreffend: Zwar wäre es im Anlassfall aus gärtnerischer Sicht geboten gewesen, die Hecke in kleinen Schritten laufend über mehrere Jahre zurückzuschneiden. Dass der Beklagte durch den stattdessen vorgenommenen radikalen Rückschnitt eine Gefahrenlage geschaffen hätte, wurde aber weder behauptet, noch lassen sich den Feststellungen Hinweise darauf entnehmen. Auch andere schwerwiegende Gründe, die im Rahmen einer Interessenabwägung zum Verlust des Rückschnittrechts führen könnten, sind nicht erkennbar. Damit erweist sich das Unterlassungsbegehren ebenso als unberechtigt wie die Begehren auf Zahlung von Schadenersatz und auf Feststellung.