OGH > Zivilrecht
03.10.2016 Zivilrecht

OGH: Zum Trauerschmerzengeld bei Ablehnung medizinisch indizierter, lebenserhaltender Maßnahmen

Auch bei der Verweigerung einer Bluttransfusion durch einen Zeugen Jehovas ist das rechtmäßige bzw sorgfältige Alternativverhalten in eigenen Angelegenheiten zu prüfen


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Mitverschulden, Trauerschmerzengeld, Begräbniskosten, Verweigerung einer Bluttransfusion, Zeuge Jehovas, Schadensminderungspflicht, rechtmäßiges Alternativverhalten
Gesetze:

 

§§ 1295 ff ABGB, § 1304 ABGB

 

GZ 2 Ob 148/15a [1], 31.08.2016

 

OGH: Eine Verletzung der Schadensminderungspflicht liegt vor, wenn der Geschädigte Handlungen unterlassen hat, die geeignet gewesen wären, den Schaden abzuwehren oder zu verringern, obwohl sie - objektiv betrachtet - von einem verständigen Durchschnittsmenschen gesetzt worden wären, um eine nachteilige Veränderung des eigenen Vermögens hintanzuhalten. Die Unterlassung der Schadensminderung kann dem Geschädigten nur vorgeworfen werden, wenn die von ihm unterlassene und zumutbare Handlung geeignet gewesen wäre, den Schaden zu verringern. Die Behauptungs- und Beweislast dafür trifft den Schädiger.

 

Die Verweigerung einer Blutkonserve kann nicht nur zu einer Vergrößerung des Schadens, sondern auch zu einer Verminderung führen: Aus schadensrechtlicher Sicht ist nämlich der Tod für den Ersatzpflichtigen weniger belastend als eine schwere Verletzung, mag eine solche Feststellung auch zunächst pietätlos erscheinen. Im konkreten Fall wären die Heilungskosten, der Erwerbs- und/oder Haushaltsführungsschaden sowie das Schmerzengeld der Geschädigten nach einer Oberschenkelamputation wesentlich höher gewesen als die Bestattungskosten und das Trauerschmerzengeld.

 

Da die Schadensminderungspflicht (bzw -obliegenheit) in § 1304 ABGB wurzelt, handelt es sich um eine Form des Mitverschuldens. Dieses setzt kein rechtswidriges Verhalten voraus. Es genügt Sorglosigkeit gegenüber den eigenen Gütern, worunter auch die Gesundheit fällt. In Fällen, in denen die Sorgfaltswidrigkeit gegenüber eigenen Gütern nicht - wie etwa bei Verletzung eines Schutzgesetzes - rechtswidrig ist, wird Rechtswidrigkeit fingiert. Dies wirft auch auf der Seite des Geschädigten die Frage nach dem „rechtmäßigen“ (bzw „sorgfältigen“) Alternativverhalten in eigenen Angelegenheiten auf, bei der es letztlich um die Ursächlichkeit der Sorgfaltsverletzung geht. In der Rsp finden sich zahlreiche Beispiele für die Berücksichtigung des rechtmäßigen Alternativverhaltens des Geschädigten bei der Ermittlung des Ersatzanspruchs, zB Verletzung der Gurtenanlegepflicht, Nichttragen eines Sturzhelms oder Nichttragen einer Motorradschutzbekleidung. Dabei wird nur jener Schaden gemindert, für den die Sorgfaltswidrigkeit (mit)ursächlich war, der also im Falle des rechtmäßigen Alternativverhaltens des Geschädigten vermieden oder verringert worden wäre.