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15.11.2016 Verfahrensrecht

OGH: Anfechtung von Lohnsteuerzahlungen nach den §§ 30 und 31 IO?

Eine Anfechtung von Abgabenzahlungen nach den §§ 30 und 31 IO kommt nur dann in Betracht, wenn der spätere Schuldner selbst Steuerschuldner ist, weil nur unter dieser Voraussetzung der Grundsatz der par conditio creditorum zum Tragen kommen kann; bei Lohnsteuerzahlungen des Arbeitgebers ist dies erst nach Erlassung eines Haftungsbescheids nach § 7 iVm § 224 Abs 1 BAO der Fall


Schlagworte: Insolvenzrecht, Anfechtung wegen Begünstigung, Anfechtung wegen Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit, Lohnsteuerzahlungen
Gesetze:

 

§ 30 IO, § 31 IO, § 78 EStG, § 83 EStG, § 78 EStG, § 79 EStG, § 82 EStG, § 224 BAO, § 7 BAO

 

GZ 3 Ob 155/16i [1], 18.10.2016

 

OGH: Nach stRsp dienen die Anfechtungstatbestände der §§ 30 und 31 IO dem Schutz des Grundsatzes der Gleichbehandlung der Gläubiger (par conditio creditorum): Der Anfechtungserfolg soll die Konkursmasse so stellen, als ob der Konkurs schon bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit (der relevanten Überschuldung) eröffnet worden wäre. Dementsprechend soll ein Gläubiger jene Zahlung (oder Sicherstellung), die er von seinem Schuldner nach Eintritt der Insolvenzvoraussetzungen (aber noch vor Einleitung des gesetzlichen Verfahrens, das die gleichmäßige Befriedigung aller Gläubiger sicherstellen soll) erlangt hat, wieder in den der Befriedigung aller Gläubiger dienenden Fonds (die Konkursmasse) der Schuldnerin zurückstellen.

 

Schuldner der Lohnsteuer ist gem §§ 78 und 83 EStG (nur) der Arbeitnehmer. Der Arbeitgeber ist lediglich zum „Einbehalten“ (§ 78 EStG) und zur „Abfuhr“ (§ 79 EStG) der Lohnsteuer verpflichtet und haftet hiefür (§ 82 EStG). Ein auf diesen Haftungstatbestand gegründetes Abgabenschuldverhältnis entsteht erst dann, wenn der Haftungstatbestand (Nichtabfuhr bei Fälligkeit) verwirklicht und die Haftung des Arbeitgebers bescheidmäßig geltend gemacht wird (§ 7 iVm § 224 Abs 1 BAO). Erst unter dieser Voraussetzung erfüllt der Arbeitgeber eine eigene Schuld gegenüber dem Gläubiger Finanzamt und wäre demnach – sollte er im Zeitpunkt der Zahlung zahlungsunfähig oder relevant überschuldet sein – zur quotenmäßigen Befriedigung aller Gläubiger verpflichtet.

 

Daraus leitet der OGH – im Einklang mit der Rsp des VwGH – ab, dass eine Anfechtung von Abgabenzahlungen nach den §§ 30 und 31 IO nur dann in Betracht kommt, wenn der spätere Schuldner selbst Steuerschuldner ist, weil nur unter dieser Voraussetzung der Grundsatz der par conditio creditorum zum Tragen kommen kann; bei Lohnsteuerzahlungen des Arbeitgebers ist dies erst nach Erlassung eines Haftungsbescheids nach § 7 iVm § 224 Abs 1 BAO der Fall.

 

König führt dagegen ins Treffen, es gehe in diesem Zusammenhang nicht darum, ob der Schuldner (Dienstgeber) eine eigene oder eine fremde Schuld, für die er haftet (§ 82 EStG) bezahle; entscheidend sei vielmehr, dass das Finanzamt jedenfalls Gläubiger des Dienstgebers sei, auch wenn dieser vorerst (bis zur Erlassung des Haftungsbescheids) nur „eine fremde Schuld schulde“.

 

Diese Kritik vermag nicht zu überzeugen: Was man selbst schuldet, ist definitionsgemäß gerade keine fremde Schuld, weshalb der Arbeitgeber bei Abführung der Lohnsteuer auch nur eine fremde Schuld iSd § 1358 ABGB zahlt, solange er nicht durch Erlassung eines Haftungsbescheids selbst zum (Mit-)Schuldner wird. Der erkennende Senat sieht sich deshalb nicht dazu veranlasst, von der oa Rsp abzugehen.

 

Auch das vom Kläger ins Treffen geführte Erkenntnis des VwGH vom 22. September 1999, 96/15/0049, spricht in Wahrheit nicht gegen die dargelegte Rsp: Dass nach dieser Entscheidung eines verstärkten Senats die rechtskräftige Bestätigung eines (Zwangs-)Ausgleichs des Primärschuldners (einer GmbH & Co KG) der Geltendmachung der Ausfallshaftung des Vertreters (Organs) des Steuerschuldners für beim Vertretenen uneinbringliche Abgabenschulden (ua Lohnsteuer) gem § 9 Abs 1 iVm § 80 BAO auch für die die Ausgleichsquote übersteigenden Abgabenschulden nicht entgegensteht, bedeutet nicht, dass der Primärschuldner (als Arbeitgeber) auch ohne Erlassung eines Haftungsbescheids nach § 7 iVm § 224 Abs 1 BAO Steuerschuldner hinsichtlich der Lohnsteuer war.

 

Die Vorinstanzen haben deshalb die Berechtigung der Anfechtung der Lohnsteuerzahlungen nach den §§ 30 und 31 IO zu Recht ohne nähere Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen verneint.