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12.12.2016 Zivilrecht

OGH: § 364 Abs 2 ABGB – zur Frage, inwieweit Rauchen (hier: einer Zigarre) bei geöffnetem Fenster oder auf der Loggia (dem Balkon) als Immission zu beurteilen ist, die eine über das ortsübliche Maß hinausgehende Beeinträchtigung der Nutzung einer Nachbarwohnung bewirken kann

Ein ausgewogener Interessenausgleich hat – mangels Einigung der Beteiligten – durch eine Gebrauchsregelung nach Zeitabschnitten zu erfolgen, die sich am „verständigen Durchschnittsmenschen“ orientiert; das schließt die Berücksichtigung von persönlichen Lebensumständen und individuellen Gewohnheiten im Einzelfall nicht aus


Schlagworte: Nachbarrecht, Immissionen, wesentliche Beeinträchtigung der ortsüblichen Nutzung, Mietwohnung, Rauchen, Zigarre, geöffnetes Fenster, Balkon, Gebrauchsregelung nach Zeitabschnitten
Gesetze:

 

§ 364 ABGB

 

GZ 2 Ob 1/16k [1], 16.11.2016

 

OGH: Die Erwirkung eines zeitlich unbeschränkten Rauchverbots gegenüber dem Beklagten kommt tagsüber wegen des auch vom Kläger zu beachtenden nachbarrechtlichen Gebots der gegenseitigen Rücksichtnahme nicht in Betracht.

 

Der Kläger bemängelt in seinem Rechtsmittel aber zu Recht, dass er sich nach der zweitinstanzlichen Entscheidung bei der Nutzung seiner Terrasse, beim Lüften oder dem Offenhalten des Fensters zwecks Frischluftzufuhr tagsüber ganz an das nicht berechenbare Rauchverhalten des Beklagten anpassen müsste, wenn er das Eindringen des beeinträchtigenden Zigarrengeruchs in seine Wohnräume verhindern will. Das kann durch eine Zeitabschnittsregelung verhindert werden, wie sie der Kläger in seinem Rechtsmittel als Eventualantrag begehrt.

 

Der Kläger orientiert sich dabei an den üblichen „Ruhe- und Essenszeiten“, also den Zeiten von 8:00 bis 10:00 Uhr, 12:00 bis 15:00 Uhr und 18:00 bis 20:00 Uhr. Das entspricht nach der Lebenserfahrung den Gewohnheiten des maßgeblichen „Durchschnittsmenschen“. Gründe, die im konkreten Fall ein Abweichen von dieser Durchschnittsbetrachtung rechtfertigen könnten, sind nicht erkennbar. Die restlichen Zeitabschnitte (insgesamt neun Stunden) stünden dem Beklagten für die Befriedigung seines Rauch- und Lüftungsbedürfnisses zur Verfügung, wobei aber auf die festgestellten „Nachwirkungen“ pro gerauchter Zigarre Bedacht zu nehmen ist. Dem Kläger ist beizupflichten, dass damit ein ausgewogener Interessenausgleich erzielt werden kann, während der in der Revisionsbeantwortung des Beklagten vertretenen Ansicht, für eine Ausweitung der „üblichen Ruhestunden“ auf den Morgen und den Abend gebe es keine Grundlage, nicht gefolgt werden kann.

 

Diese Beurteilung gilt aber wieder nur für jene Jahreszeit, in der von einem durchschnittlichen Wohnungsmieter die Nutzung der Terrasse zur Einnahme der Mahlzeiten und die Mittagsruhe bei geöffnetem Fenster oder geöffneter Terrassentür üblicherweise zu erwarten ist. Auch hier werden dies bei objektiver Sichtweise nur die Monate von Mai bis einschließlich Oktober sein. In der restlichen Zeit von November bis Ende April muss dem Kläger aber noch Gelegenheit zu geben sein, seine Wohnung unbeeinträchtigt vom Zigarrenrauch des Beklagten zu lüften bzw Frischluft zuzuführen. Dafür wird für den durchschnittlichen Bewohner am Morgen, zu Mittag und am Abend je eine Stunde ausreichend sein.

 

Als Ergebnis ist daher für die Zeit von 6:00 bis 22:00 Uhr festzuhalten, dass der Kläger mit seinem Unterlassungsbegehren wie folgt durchdringt:

 

- vom 1. Mai bis 31. Oktober jeden Jahres für die Zeiten 8:00 bis 10:00 Uhr, 12:00 bis 15:00 Uhr und 18:00 bis 20:00 Uhr.

 

- vom 1. November bis 30. April jeden Jahres für die Zeiten 8:00 bis 9:00 Uhr, 13:00 bis 14:00 Uhr und 19:00 bis 20:00 Uhr.

 

Während der übrigen Zeiten liegt keine wesentliche Beeinträchtigung der ortsüblichen Nutzung seiner Mietwohnung vor.