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17.01.2017 Zivilrecht

OGH: Vorsätzliche Schädigung des Tier- oder Pflanzenbestandes gem § 181f StGB – Schadenersatzanspruch (Wiederansiedlungskosten) des Nationalparks iZm außerhalb des Nationalparks geschossenem Luchs?

Es ist davon auszugehen, dass das Töten geschützter Tierarten nicht nur deshalb rechtswidrig ist, weil ein ideelles Interesse der Allgemeinheit an der Erhaltung dieser Tierarten besteht, sondern auch deshalb, weil die – sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene bestehende – Verpflichtung zur Setzung von Maßnahmen zum Schutz dieser Tierarten für die öffentliche Hand einen nicht unwesentlichen finanziellen Aufwand bedeutet; insoweit dient § 181f StGB daher auch dem Schutz finanzieller Interessen derjenigen, die diesen Aufwand zu tragen hatten; der Umstand, dass die Tötung des Luchses außerhalb des Nationalparkgebiets erfolgt ist, ändert daran nichts, ist doch festgestellt, dass der gegenständliche Luchs aus jener Population stammt, die in den Aufgabenbereich der klagenden Partei fällt; darauf, ob dem Schädiger der Charakter der übertretenen Norm als Schutzvorschrift bekannt ist, kommt es nicht an


Schlagworte: Schadenersatzrecht, vorsätzliche Schädigung des Tier- oder Pflanzenbestandes, Wiederansiedlungskosten, Nationalpark, geschossener Luchs
Gesetze:

 

§§ 1295 ff ABGB, § 181f StGB, § 1311 ABGB

 

GZ 6 Ob 229/16v [1], 22.12.2016

 

OGH: Dem „Vermögen“ einer Person kommt kein absoluter Schutz zu. Ein reiner Vermögensschaden ist daher bei fahrlässiger Zufügung außerhalb (vor-)vertraglicher Beziehungen grundsätzlich nicht ersatzfähig. Anderes gilt, wenn sich die Rechtswidrigkeit des schädigenden Verhaltens aus der Rechtsordnung ableiten lässt, insbesondere bei Schutzgesetzverletzungen, bei sittenwidrigem Verhalten des Schädigers (§ 1295 Abs 2 ABGB) sowie bei der Verletzung von vertraglichen oder vorvertraglichen Pflichten. Bei Schutznormübertretungen besteht eine Ersatzpflicht aber nur, wenn als Schutzzweck einer bestimmten Norm die Hintanhaltung eines über die Aufrechterhaltung absolut geschützter Rechtsposition hinausgehenden Interesses einer bestimmten Person an ihren vermögenswerten Interessen zu erkennen ist. Gehaftet wird nur für Schäden, die gerade in Verwirklichung jener Gefahr verursacht wurden, um deren Vermeidungswillen der Gesetzgeber ein bestimmtes Verhalten fordert oder untersagt. Dabei ist ein Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen der Verletzung einer öffentlich-rechtlichen Bestimmung und einem eingetretenen Schaden etwa schon dann anzunehmen, wenn die übertretene Norm die Verhinderung eines Schadens wie des später eingetretenen bloß mitbezweckte.

 

Schutzgesetz iSd § 1311 ABGB ist nicht nur ein Gesetz im formellen Sinn, sondern jede Rechtsvorschrift, die inhaltlich einen Schutzzweck verfolgt. Unter einem Schutzgesetz wird eine Vorschrift verstanden, die abstrakte Gefährdungsverbote normiert, die dazu bestimmt sind, die Mitglieder eines Personenkreises gegen die Verletzung von Rechtsgütern zu schützen. Dementsprechend kommt die Annahme eines Schutzgesetzes nicht in Betracht, wenn allein das öffentliche Interesse gewahrt werden soll und ein Individualschutz nur als Nebenwirkung auftritt; verfolgt eine Vorschrift in der Hauptsache andere Zwecke, ist sie daneben aber auch zum Schutz von Individualinteressen erlassen worden, so genügt dies aber grundsätzlich zur Bejahung des Schutzgesetzcharakters. Der Umstand, dass die ein bestimmtes Gebot oder Verbot aussprechenden konkreten Verhaltensnormen dem öffentlichen Recht angehören und nicht ausschließlich den Schutz der Rechte einzelner oder bestimmter Personenkreise bezwecken, steht ihrer Qualifikation als Schutzgesetze nicht entgegen.

 

Der Verstoß gegen ein Schutzgesetz verpflichtet nur insoweit zum Ersatz, als der Schaden aus der Verletzung eines Rechtsguts entstanden ist, zu dessen Schutz die Schutznorm erlassen worden ist. Dabei genügt, dass die Verhinderung des Schadens bloß mitbezweckt ist. Um herauszufinden, ob die jeweilige Vorschrift, die übertreten wurde, den im konkreten Fall eingetretenen Schaden verhindern wollte, ist das anzuwendende Schutzgesetz teleologisch zu interpretieren. Sowohl der Geschädigte als auch die Art des Schadens und die Form seiner Entstehung müssen vom Schutzzweck erfasst sein.

 

§ 181f StGB wurde mit BGBl I 2011/103 zur Umsetzung der EU-Richtlinie 2008/99/EG über den Schutz der Umwelt durch das Strafrecht eingeführt. Geschütztes Rechtsgut der genannten Bestimmung ist die Umwelt in ihren Erscheinungsformen als geschützte wildlebende Tier- oder Pflanzenart.

 

Der „eurasische Luchs“ (wissenschaftlich Lynx lynx) ist in Anlage IV der RL 92/43/EWG des Rates vom 21. 5. 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen („Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie“), auf die § 181f Abs 2 StGB verweist, aufgezählt.

 

Ein Schutz der Tier- und Pflanzenarten durch den Staat ist allerdings nur unter Einsatz von finanziellen Mitteln möglich. Demgemäß legt Art 6 Abs 2 der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie fest, dass die Mitgliedstaaten die geeigneten Maßnahmen treffen, um in den besonderen Schutzgebieten die Verschlechterung der natürlichen Lebensräume und der Habitate der Arten sowie Störungen von Arten, für die die Gebiete ausgewiesen worden sind, zu vermeiden. Die Klägerin wurde im Gefolge der Art 15a B-VG-Vereinbarung BGBl I 1997/51 ua mit der Aufgabe gegründet, jene Maßnahmen durchzuführen, die dem Schutz des Lebensraums, der Tiere und Pflanzen dienen. Nach § 6 der Verordnung der Oberösterreichischen Landesregierung LGBl 1997/113 ist Aufgabe der Klägerin ua, bedrohte Tierarten zu fördern und zu erhalten. Gemäß § 3 der Verordnung der Oberösterreichischen Landesregierung, mit der das Gebiet „Nationalpark Oberösterreichische Kalkalpen-Gebiet Reich-raminger Hintergebirge/Sengsengebirge“ als „Europaschutzgebiet Nationalpark Oberösterreichische Kalkalpen“ bezeichnet wird (LGBl 2005/58), ist Schutzzweck des Gebiets ua die Erhaltung der Lebensräume des Luchses.

 

Bei dieser Sachlage ist aber davon auszugehen, dass das Töten geschützter Tierarten nicht nur deshalb rechtswidrig ist, weil ein ideelles Interesse der Allgemeinheit an der Erhaltung dieser Tierarten besteht, sondern auch deshalb, weil die – sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene bestehende – Verpflichtung zur Setzung von Maßnahmen zum Schutz dieser Tierarten für die öffentliche Hand einen nicht unwesentlichen finanziellen Aufwand bedeutet. Insoweit dient § 181f StGB daher auch dem Schutz finanzieller Interessen derjenigen, die diesen Aufwand zu tragen hatten. Der Umstand, dass die Tötung des Luchses außerhalb des Nationalparkgebiets erfolgt ist, ändert daran nichts, ist doch festgestellt, dass der gegenständliche Luchs aus jener Population stammt, die in den Aufgabenbereich der klagenden Partei fällt. Darauf, ob dem Schädiger der Charakter der übertretenen Norm als Schutzvorschrift bekannt ist, kommt es nicht an.

 

Dabei kommt das Hauptargument gegen den Ersatz bloßer Vermögensschäden, nämlich die Gefahr einer unabsehbaren Ausuferung der Haftung im vorliegenden Fall nicht zum Tragen, weil nicht ein beliebiger Dritter als Kläger auftritt, sondern gerade jener Rechtsträger, der durch Gesetz zum Schutz eben jener Tierpopulation eingerichtet wurde, in die die Beklagte eingegriffen hat. Dass nach dem widerrechtlichen Abschuss des Luchses ein neues Exemplar dieser geschützten Tierart kostenpflichtig angeschafft werden muss, war auch durchaus vorhersehbar. Wenngleich die Klägerin nicht Eigentümerin des getöteten Luchses war, ist sie rechtlich doch zur Erhaltung von dessen Population verpflichtet, was ihre Stellung der eines Eigentümers annähert.

 

Die Entscheidung 1 Ob 313/01p betraf die Frage, ob Anrainer einer Mülldeponie von Bestimmungen des Salzburger Naturschutzgesetzes geschützt sind. Diese Frage wurde vom OGH verneint. Die Überlegungen dieser Enscheidung lassen sich allerdings nicht auf den vorliegenden Fall übertragen. In der zitierten Entscheidung wurde die Ablehnung des Schadenersatzanspruchs nämlich gerade mit der fehlenden individuellen Zuordnung begründet, die hier aber gegeben ist.

 

Soweit die Beklagte sich in ihrer Berufung gegen die Feststellung wendet, ein Halsbandsender sei erforderlich, damit der Luchs überhaupt aus der Schweiz ausgeführt werden kann, war die Tatsachenrüge nicht gesetzmäßig ausgeführt. Die Beklagte übersieht, dass der Zeuge DI Fuxjäger ausdrücklich angegeben hatte, dass die Klägerin ohne den Halsbandsender, der Standard sei, den Luchs nicht erhalten hätte. Warum das Erstgericht dieser Aussage nicht hätte folgen sollen, ist der Berufung auch nicht ansatzweise zu entnehmen. Damit erweist sich die Sache aber als spruchreif.