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08.08.2017 Strafrecht

OGH: Terroristische Vereinigung; Auslandstat – inländische Gerichtsbarkeit iSd § 64 Abs 1 Z 9 StGB auch bei Bestehen eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts (erst) zum Zeitpunkt der Einleitung des Strafverfahrens?

Für die Begründung der inländischen Gerichtsbarkeit nach § 64 Abs 1 Z 9 StGB reicht es angesichts der Zielsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung (2002/475/JI) aus, wenn der Täter seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt nach dem Tatzeitpunkt in Österreich begründet


Schlagworte: Terrorismusbekämpfung, Auslandstat, inländische Gerichtsbarkeit, Begründung des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts nach dem Tatzeitpunkt in Österreich
Gesetze:

 

§ 64 StGB

 

GZ 12 Os 15/17y [1], 18.05.2017

 

OGH: Bei Auslandstaten ist zu unterscheiden, ob sie nach § 64 StGB unabhängig von den Gesetzen des Tatorts nach österreichischem Strafrecht zu ahnden sind oder ob die Anwendbarkeit der österreichischen Strafgesetze davon abhängt, dass die Tat auch nach den Gesetzen des Tatorts mit Strafe bedroht ist, wobei in diesem Fall bei Erledigung des Strafanspruchs im Ausland auch der inländische Strafanspruch erloschen ist (§ 65 StGB).

 

Das dem Angeklagten zur Last gelegte Verbrechen der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB wird vom Deliktskatalog des § 64 Abs 1 Z 9 StGB erfasst. Durch diese (mit BGBl I 2002/134 neu geschaffene) Bestimmung wurde Art 9 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung (2002/475/JI) innerstaatlich (vollständig) umgesetzt. Eines Rückgriffs auf die [subsidiäre] Regelung des § 64 Abs 1 Z 6 StGB bedarf es daher insoweit nicht.

 

Nach § 64 Abs 1 Z 9 StGB unterliegt eine entsprechende Auslandstat (ohne Rücksicht auf die Gesetze des Tatorts) inländischer Gerichtsbarkeit, wenn – soweit hier von Bedeutung – der Täter entweder zum Zeitpunkt der Tat oder zum Zeitpunkt der Einleitung des Strafverfahrens die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt (lit a), er im Inland wohnhaft oder gewöhnlich aufhältig ist (lit b) oder zur Zeit der Tat Ausländer war, sich im Inland aufhält und nicht ausgeliefert werden kann (lit f).

 

Eine Anknüpfung nach § 64 Abs 1 Z 9 lit b StGB setzt ihrem Wortlaut nach voraus, dass „der Täter seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat“.

 

Art 9 Abs 1 lit c des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung (2002/475/JI) determiniert ebenso wie der ihn umsetzende § 64 Abs 1 Z 9 lit b StGB („der Täter seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat“) als Anknüpfungspunkt für das Bestehen inländischer Gerichtsbarkeit, dass der Täter Staatsangehöriger oder Gebietsansässiger des Mitgliedstaats ist. Folgende Überlegungen sprechen dafür, inländische Gerichtsbarkeit auch bei Bestehen eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts zum Zeitpunkt der Einleitung des Strafverfahrens anzunehmen:

 

Angesichts der Zielsetzung des genannten Rahmenbeschlusses, vor dem Hintergrund des internationalen Kampfes gegen Terrorismus die inländische Gerichtsbarkeit bei solcherart motivierten Straftaten auszuweiten, liegt ein Bezug zu österreichischen oder gemeinschaftlichen Interessen auch dann vor, wenn eine einer in § 64 Abs 1 Z 9 StGB genannten strafbaren Handlung verdächtige Person nach dem Zeitpunkt ihrer Begehung ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland begründet, weil damit deren Absicht verbunden ist, einen bleibenden Aufenthalt in Österreich zu nehmen oder beständige und dauerhafte Beziehungen in Österreich zu knüpfen (vgl § 66 JN, § 1 Abs 6 und Abs 8 MeldeG). Denn der bereits damit geschaffene Bezug zu Österreich lässt unter Berücksichtigung des in Rede stehenden Deliktskatalogs Rückwirkungen auf den Rechtsfrieden im Inland befürchten, die eine Strafverfolgung auch wegen im Ausland begangener Straftaten rechtfertigen.

 

In diesem Sinn erfolgte auch die Umsetzung von Art 9 Abs 1 lit c des Rahmenbeschlusses in Bezug auf Staatsangehörige eines Mitgliedstaats. Danach genügt es gem § 64 Abs 1 Z 9 lit a StGB, wenn der Täter zur Zeit der Tat Österreicher war oder wenn er die österreichische Staatsbürgerschaft später erworben hat und zur Zeit der Einleitung des Strafverfahrens noch besitzt. Bereits daraus erhellt, dass das Gesetz einen nachträglich entstandenen Inlandsbezug für die inländische Strafgewalt ausreichen lässt. Da auch der Rahmenbeschluss nicht zwischen Staatsangehörigen und Gebietsansässigen differenziert, käme es einer nicht am Gesetzeszweck orientierten und damit unzulässigen teleologischen Reduktion gleich, § 64 Abs 1 Z 9 lit b StGB auf den Tatzeitpunkt zu beschränken.

 

Letztlich spricht aber auch die Verwendung des Präsens in dieser Bestimmung – im Gegensatz zur Vergangenheit, soweit auf den Zeitpunkt der Tat abgestellt wird (lit c, lit d, lit e, aber auch lit f leg cit; vgl auch Art 9 Abs 1 lit a und b des Rahmenbeschlusses [„begangen wurde“]) für diese Auslegung. Auch der Anwendungsbereich von lit f leg cit geht dadurch nicht verloren, weil von ihr sonstige im Inland aufhältige Personen erfasst werden (Durchreisende, Urlauber etc).

 

Diesem Ergebnis steht auch § 64 Abs 1 Z 4a lit a StGB und die hiezu ergangene Entscheidung 13 Os 147/15i nicht entgegen, weil diese Bestimmung die Fälle der Staatsbürgerschaft und des gewöhnlichen Aufenthalts im Gegensatz zu § 64 Abs 1 Z 9 lit a und b StGB gleich behandelt und damit das Abstellen auf den Tatzeitpunkt bei der Beurteilung eines Bezugs zu österreichischen Interessen auf unterschiedlichen Prämissen beruht.