OGH > Zivilrecht
20.11.2017 Zivilrecht

OGH: Lebensversicherung – zur Frage, ob eine vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung von der der Versicherer erst durch den – außerhalb der Dreijahresfrist des § 163 VersVG liegenden – Eintritt des Versicherungsfalls Kenntnis erlangte, zur Leistungsfreiheit führt

Bei Vorliegen einer schuldhaften Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten besteht – mangels Arglist – Leistungspflicht des Versicherers, wenn der Versicherungsfall nach Ablauf der in § 163 VersVG genannten Ausschlussfrist eintritt, dies selbst dann, wenn der Versicherer erst mit dem außerhalb der Frist liegenden Eintritt des Versicherungsfalls Kenntnis von der Anzeigepflichtverletzung erlangt; eine arglistige Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht ist gegeben, wenn der Versicherungsnehmer nicht nur die verschwiegene oder unrichtig angezeigte Tatsache kannte, sondern um die Erheblichkeit dieser Tatsache für den Versicherer wusste


Schlagworte: Versicherungsrecht, Lebensversicherung, vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung, Rücktritt des Versicherers, Dreijahresfrist, Arglist
Gesetze:

 

§ 163 VersVG, § 16 VersVG, § 17 VersVG, § 870 ABGB

 

GZ 7 Ob 119/17a [1], 18.10.2017

 

OGH: Bei Vorliegen einer schuldhaften Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten besteht – mangels Arglist – Leistungspflicht des Versicherers, wenn der Versicherungsfall nach Ablauf der in § 163 VersVG genannten Ausschlussfrist eintritt, dies selbst dann, wenn der Versicherer erst mit dem außerhalb der Frist liegenden Eintritt des Versicherungsfalls Kenntnis von der Anzeigepflichtverletzung erlangt.

 

§ 163 VersVG greift nicht ein, wenn der Versicherungsnehmer die Auskunftspflicht arglistig verletzt hat.

 

Für die arglistige Täuschung reicht bedingter Vorsatz. Eine arglistige Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht ist gegeben, wenn der Versicherungsnehmer nicht nur die verschwiegene oder unrichtig angezeigte Tatsache kannte, sondern um die Erheblichkeit dieser Tatsache für den Versicherer wusste. Arglist liegt demnach vor, wenn der Getäuschte absichtlich oder doch bewusst durch unrichtige Vorstellungen zur Einwilligung in einen Vertragsabschluss gebracht wurde. Ob die Voraussetzungen für die Annahme von Arglist vorliegen, ist eine Tatfrage. Nach ständiger oberstgerichtlicher Rsp obliegt auch bei der Anfechtung eines Versicherungsvertrags wegen arglistiger Täuschung dem Versicherer die volle Beweislast dafür, dass der Versicherungsnehmer ihn in unlauterer Weise durch seine unrichtigen Angaben zur Annahme des Versicherungsvertrags bestimmen wollte. Es besteht kein allgemeiner Erfahrungssatz, dass ein Versicherungsnehmer, der Antragsfragen bewusst unrichtig beantwortet, regelmäßig auch mit Arglist in Bezug auf die Willensbildung des Versicherers gehandelt hat.

 

Die Feststellung einer unrichtigen Angabe ersetzt damit nicht die Feststellung des Täuschungs- und Beeinflussungsvorsatzes. Im vorliegenden Fall fehlen ausdrückliche und klare Feststellungen, aus welchen Gründen die geforderte nähere Erläuterung der Augenoperation unterblieb, die Frage nach einer Krebserkrankung verneint und verschwiegen wurde, dass das rechte Auge entfernt wurde. Das Erstgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren iSd dargelegten Judiktatur – unmissverständliche – Feststellungen zu treffen haben, die die Beurteilung des (Nicht-)Vorliegens von Arglist erlauben.