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22.01.2018 Wirtschaftsrecht

OGH: Einforderung von Nachschüssen bei aufrechter Gründungsprivilegierung iSd § 10b GmbHG

Die herrschende Rechtsansicht, wonach vor der Einforderung von Nachschüssen zunächst die offenen Stammeinlagen einzufordern sind, trifft nur für solche Stammeinlagen zu, die auch tatsächlich eingefordert werden können; für übernommene Stammeinlagen, die die gründungsprivilegierten Stammeinlagen übersteigen, trifft dies jedoch gem § 10b Abs 4 GmbHG während der Gründungsprivilegierung nicht zu; die gründungsprivilegierte Gesellschaft muss demnach nur die gründungsprivilegierten Stammeinlagen voll einfordern, bevor sie eine Nachschusspflicht durchsetzen kann


Schlagworte: Gesellschaftsrecht, GmbH, Gründungsprivilegierung, Einforderung von Nachschüssen, Stammeinlagen
Gesetze:

 

§ 10b GmbHG, § 72 GmbHG, § 74 GmbHG, § 50 GmbHG, § 63 GmbHG

 

GZ 6 Ob 194/17y [1], 21.11.2017

 

OGH: Nach § 6 Abs 1 GmbHG muss das Stammkapital der GmbH mindestens 35.000 EUR betragen. Gem § 10 Abs 1 GmbHG muss auf jede bar zu leistende Stammeinlage mindestens ein Viertel und müssen auf die bar zu leistenden Einlagen insgesamt mindestens 17.500 EUR eingezahlt sein.

 

§ 10b GmbHG erlaubt die Inanspruchnahme einer Gründungsprivilegierung: In diesem Fall ist im Gesellschaftsvertrag für jeden Gesellschafter auch die Höhe seiner gründungsprivilegierten Stammeinlage festzusetzen, die nicht höher als die jeweils übernommene Stammeinlage sein darf. Die Summe der gründungsprivilegierten Stammeinlagen muss mindestens 10.000 EUR betragen. Auf die gründungsprivilegierten Stammeinlagen müssen abweichend von § 10 Abs 1 GmbHG insgesamt mindestens 5.000 EUR bar eingezahlt werden. Während aufrechter Gründungsprivilegierung sind die Gesellschafter abweichend von § 63 Abs 1 GmbHG, der die Verpflichtung zur vollen Einzahlung der übernommenen Stammeinlage normiert, nur insoweit zu weiteren Einzahlungen auf die von ihnen übernommenen Stammeinlagen verpflichtet, als die bereits geleisteten Einzahlungen hinter den gründungsprivilegierten Stammeinlagen zurückbleiben. Die Gründungsprivilegierung kann durch eine Änderung des Gesellschaftsvertrags beendet werden, wobei vor Anmeldung der Änderung zum Firmenbuch die Mindesteinzahlungserfordernisse nach § 10 Abs 1 GmbHG zu erfüllen sind. Ansonsten endet die Gründungsprivilegierung spätestens zehn Jahre nach der Eintragung der Gesellschaft im Firmenbuch.

 

Dies bedeutet, dass die GmbH zwar einerseits ein Stammkapital von 35.000 EUR hat, gleichzeitig aber gründungsprivilegierte Stammeinlagen von lediglich 10.000 EUR bestehen, wovon nur 5.000 EUR bar eingezahlt sein müssen.

 

Für die vorzeitige Beendigung der Gründungsprivilegierung ist gem § 50 Abs 1 GmbHG grundsätzlich eine Mehrheit von drei Vierteln der abgegebenen Stimmen der Gesellschafter erforderlich. Nach verbreiteter Auffassung ist dafür jedoch sogar ein einstimmiger Beschluss der Gesellschafter erforderlich, weil dadurch deren Pflichten vermehrt werden.

 

Die §§ 72 bis 74 GmbHG treffen Regelungen über sog „Nachschüsse“. Darunter werden gem § 72 Abs 1 GmbHG weitere Einzahlungen der Gesellschafter über den Betrag der Stammeinlagen hinaus verstanden. Die Nachschusspflicht muss bereits im Gesellschaftsvertrag vorgesehen sein; nachträglich könnte sie nur einstimmig eingeführt werden. Nachschüsse werden durch einen Gesellschafterbeschluss fällig gestellt, wobei – mangels abweichender Vereinbarung – der Gesellschafterbeschluss mit einfacher Mehrheit gefasst werden kann.

 

Nachschüsse erhöhen nicht die Stammeinlage und dürfen dementsprechend auch nicht als erhöhtes Stammkapital oder erhöhte Stammeinlage bezeichnet werden. Dabei handelt es sich um kein Eigenkapital im engeren Sinn; allerdings handelt es sich dabei doch um Eigenmittel, die zwischen Stammeinlagen und Gesellschafterdarlehen eingeordnet werden. Ein wesentlicher Unterschied zum Stammkapital besteht darin, dass gem § 74 GmbHG unter bestimmten Voraussetzungen die Rückzahlung von geleisteten Nachschüssen möglich ist.

 

Das Verhältnis zwischen Stammeinlagen und der Einforderung von Nachschüssen wird in der Literatur unterschiedlich beurteilt. Nach Brugger/Schopper ist die Einforderung von Nachschüssen nicht durch vorherige Volleinzahlung der Stammeinlagen bedingt. Nachschüsse könnten daher zwar erst nach Einforderung sämtlicher offener Stammeinlagen, aber bereits vor der vollständigen Einzahlung der Stammeinlagen eingefordert werden. Aus der Natur der Nachschüsse als subsidiäres Finanzierungsinstrument folge, dass – soweit der Gesellschaftsvertrag nichts anderes vorsehe – zunächst der Rest auf die Stammeinlagen einzufordern sei. Dieselbe Ansicht wird im Ergebnis auch von Koppensteiner/Rüffler vertreten.

 

Nach Schönherr ist die Einforderung von Nachschüssen sogar vor der vollständigen Einforderung der Stammeinlagen zulässig.

 

Nach einer Entscheidung des OGH aus dem Jahr 1931 ist mangels anderer Regelung im Gesellschaftsvertrag die Einforderung von Nachschüssen erst nach vollständiger Einzahlung der Stammeinlagen zulässig (3 Ob 171/31). Daran ist aus den dargelegten Erwägungen nicht festzuhalten.

 

Aus der dargestellten Rechtslage ergibt sich, dass die Gesellschafter während aufrechter Gründungsprivilegierung nur zur Einzahlung der gründungsprivilegierten Stammeinlagen verpflichtet sind. Die Differenz zwischen gründungsprivilegierter Stammeinlage und übernommener Stammeinlage ist also während der Gründungsprivilegierung nicht fällig und kann auch nicht fällig gestellt werden, wenngleich auch bei der gründungsprivilegierten GmbH die gesamten übernommenen Stammeinlagen mit dem wirksamen Abschluss des Gesellschaftsvertrags bereits entstanden sind.

 

Ginge man auch bei einer gründungsprivilegierten Gesellschaft davon aus, dass Nachschüsse erst dann eingefordert werden könnten, wenn auch die offenen Stammeinlagen voll eingefordert wurden, würde dies im Ergebnis bedeuten, dass während einer aufrechten Gründungsprivilegierung niemals Nachschüsse eingefordert werden könnten. Dies würde dazu führen, dass die Gesellschaft während der Gründungsprivilegierung weder die Differenz zwischen gründungsprivilegierter und übernommener Stammeinlage (vgl § 10b Abs 4 GmbHG) noch eine im Gesellschaftsvertrag vorgesehene Nachschusspflicht einfordern könnte. Der gründungsprivilegierten GmbH bliebe dann – neben einer Fremdfinanzierung etwa über einen Bankkredit – nur die Möglichkeit einer Kapitalerhöhung, die aber im Stadium der Gründungsprivilegierung gleichfalls Probleme aufwirft. Gegen diese Lösung spricht zudem, dass mit der Einführung der Gründungsprivilegierung gerade Unternehmensgründern die Startphase erleichtert werden sollte.

 

Die dargestellte herrschende Rechtsansicht, wonach vor der Einforderung von Nachschüssen zunächst die offenen Stammeinlagen einzufordern sind, trifft daher nur für solche Stammeinlagen zu, die auch tatsächlich eingefordert werden können. Für übernommene Stammeinlagen, die die gründungsprivilegierten Stammeinlagen übersteigen, trifft dies jedoch gem § 10b Abs 4 GmbHG während der Gründungsprivilegierung nicht zu. Die gründungsprivilegierte Gesellschaft muss demnach nur die gründungsprivilegierten Stammeinlagen voll einfordern, bevor sie eine Nachschusspflicht durchsetzen kann. Im vorliegenden Fall sind die gründungsprivilegierten Stammeinlagen jedoch ohnedies voll eingezahlt.

 

Zum selben Ergebnis gelangte man, wenn man mit den weitergehenden Auffassungen von Schönherr und Reich-Rohrwig die Einforderung von Nachschüssen sogar vor der Einforderung der Stammeinlagen für zulässig erachtet.

 

Soweit die Beklagte auf dem Standpunkt steht, von ihr könnte nur ein Nachschuss in Höhe der von ihr übernommenen gründungsprivilegierten Stammeinlage von 2.800 EUR verlangt werden, nimmt sie offensichtlich auf § 72 Abs 2 GmbHG Bezug, wonach die Nachschusspflicht „auf einen nach dem Verhältnis der Stammeinlagen bestimmten Betrag“ beschränkt sein müsse. Dies bedeutet, dass die Satzung zum Schutz der Gesellschafter eine Limitierung der Nachschusspflicht vorsehen muss, wobei idR ein Vielfaches der Stammeinlage vorgesehen wird. Im vorliegenden Fall ist die Nachschusspflicht mit dem Doppelten der „übernommenen Stammeinlage“ limitiert.

 

Der Wortlaut des § 10b GmbHG, der zwischen „übernommener Stammeinlage“ und „gründungsprivilegierter Stammeinlage“ unterscheidet, zeigt, dass mit „übernommener Stammeinlage“ der volle Betrag und nicht der aufgrund der Gründungsprivilegierung reduzierte gemeint ist. Bei einem Stammkapital von 35.000 EUR und einem Anteil der Beklagten an der Gesellschaft von 28 % beträgt die „übernommene Stammeinlage“ daher 9.800 EUR. Nachdem ein „Nachschuss in Höhe der übernommenen Stammeinlage“ beschlossen wurde, beläuft sich die Verpflichtung der Beklagten auf diesen Betrag.