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07.05.2018 Verfahrensrecht

OGH: Kontaktrechtsverfahren – zur Frage des Anwendungsbereichs von Maßnahmen nach § 107 Abs 3 AußStrG (hier: Auftrag an nicht mit Obsorge betrauten Mutter, es zu unterlassen das Pflegschaftsverfahren der Minderjährigen betreffende Belange selbst öffentlich bekanntzumachen bzw eine derartige Bekanntmachung in Printmedien oder sozialen Netzwerken zu veranlassen sowie Mitschüler oder Eltern der Mitschüler der Minderjährigen anzurufen bzw dritte Personen zu kontaktieren, um dadurch eine indirekte Kontaktaufnahme mit der Minderjährigen bzw eine Beeinflussung zu erreichen)

Die Maßnahmen sind selbst im weitesten Sinn weder mit einer Beratung oder Streitschlichtung noch der Verhinderung einer Verbringung des Kindes ins Ausland vergleichbar; es mag zwar sein, dass sie grundsätzlich der Sicherung des Kindeswohls dienlich wären und – mittelbar – Auswirkungen auf die Bereitschaft der Minderjährigen zu Besuchskontakten mit der Mutter haben könnten; dies reicht allerdings nicht aus, zumal nahezu jede gerichtliche Maßnahme im Verfahren über die Obsorge oder persönlichen Kontakte kindeswohlrelevante Aspekte haben wird; derartige Maßnahmen – die allerdings ohne Zweifel Gegenstand eines Unterlassungsbegehrens bzw Provisorialsantrags sein könnten – gehen selbst bei großzügigster Auslegung weit über den vom Gesetzgeber vorgegebenen Rahmen des § 107 Abs 3 AußStrG hinaus; im Übrigen lässt sich den Feststellungen hier nicht entnehmen, dass die vom Rekursgericht erteilten Aufträge überhaupt ein erforderliches und geeignetes Mittel zur Erreichung des beabsichtigten Zweckes (Förderung des Kindeswohls durch Ermöglichung der der Mutter zustehenden begleiteten Kontakte) bildeten; die Frage, ob die angeordneten Maßnahmen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz widersprechen, weil sie zu weit in das Privatleben der Mutter eingreifen, bedarf keiner Erörterung, weil diese Aufträge den in § 107 Abs 3 AußStrG geregelten nicht vergleichbar und daher nicht zulässig sind


Schlagworte: Außerstreitverfahren, Familienrecht, Kontaktrechtsverfahren, Pflegschaftsgericht, zur Sicherung des Kindeswohls erforderlichen Maßnahmen
Gesetze:

 

§ 107 AußStrG, § 187 ABGB, § 138 ABGB

 

GZ 5 Ob 53/18g [1], 10.04.2018

 

Das Rekursgericht trug der Mutter auf, es zu unterlassen das Pflegschaftsverfahren der Minderjährigen betreffende Belange selbst öffentlich bekanntzumachen bzw eine derartige Bekanntmachung in Printmedien oder sozialen Netzwerken zu veranlassen sowie Mitschüler oder Eltern der Mitschüler der Minderjährigen anzurufen bzw dritte Personen zu kontaktieren, um dadurch eine indirekte Kontaktaufnahme mit der Minderjährigen bzw eine Beeinflussung zu erreichen. Es könne zwar als Grenzfall betrachtet werden, ob die begehrte weitreichende Verpflichtung der Mutter in § 107 Abs 3 AußStrG Deckung finde, zumal das Erstgericht sämtliche Anträge der Mutter rechtskräftig abgewiesen habe und kein Verfahren mehr offen sei. Allerdings dienten die Maßnahmen der Umsetzung des der Mutter bereits eingeräumten begleiteten Kontaktrechts, zumal das Verhalten der Mutter die Minderjährige derart negativ beeinflusst habe, dass sie die Mutter derzeit nicht sehen könne.

 

OGH: Nach § 107 Abs 3 AußStrG idF KindNamRÄG 2013 BGBl I 2013/15 hat das Gericht die zur Sicherung des Kindeswohls erforderlichen Maßnahmen anzuordnen, soweit dadurch nicht die Interessen einer Partei, deren Schutz das Verfahren dient, gefährdet oder Belange der übrigen Parteien unzumutbar beeinträchtigt werden. Als derartige Maßnahmen kommen insbesondere in Betracht.

 

1. der verpflichtende Besuch einer Familien-, Eltern- oder Erziehungsberatung;

 

2. die Teilnahme an einem Erstgespräch über Mediation oder über ein Schlichtungsverfahren;

 

3. die Teilnahme an einer Beratung oder Schulung zum Umgang mit Gewalt und Aggression;

 

4. das Verbot der Ausreise mit dem Kind und

 

5. die Abnahme der Reisedokumente des Kindes.

 

Mit § 107 Abs 3 AußStrG wurde der Katalog der dem Pflegschaftsgericht zur Sicherung des Kindeswohls zur Verfügung stehenden Maßnahmen nicht nur klargestellt, sondern deutlich erweitert. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen bei inhaltlich unverändertem § 176 Abs 1 ABGB aF, nunmehr § 181 Abs 1 ABGB nF, mit einer – verfahrensrechtlichen – Norm, nämlich § 107 Abs 3 AußStrG, (auch) materiell-rechtlich wirkende Eingriffe in die Persönlichkeits- und Obsorgerechte der Eltern ermöglicht werden.

 

Die in § 107 Abs 3 AußStrG geregelten Maßnahmen setzen (nur) die Erforderlichkeit zur Sicherung des Kindeswohls, aber keine Kindeswohlgefährdung iSd § 181 Abs 1 ABGB voraus. Das Gericht hat derartige Maßnahmen bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen von Amts wegen – entweder im Obsorge- oder Kontaktregelungsverfahren oder im Verlauf der zwangsweisen Durchsetzung bestehender Obsorge- oder Kontaktregelungen anzuordnen, ein Antrag ist dafür nicht notwendig. Bei Maßnahmen nach § 107 Abs 3 AußStrG hat das Gericht stets den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu wahren. Die im Einzelfall angeordnete Maßnahme muss zur Sicherung des Kindeswohls erforderlich und geeignet sein. Der damit verbundene Eingriff in das Privatleben der betroffenen Person darf nicht außer Verhältnis zu der damit intendierten Förderung der Interessen des Kindes stehen.

 

Maßnahmen nach § 107 Abs 3 AußStrG müssen iZm einem Obsorge- oder Kontaktrechtsverfahren stehen: In der E 4 Ob 225/16s stellte der OGH klar, dass § 107 Abs 3 AußStrG zwar keine Einschränkung dahin enthalte, dass die dort vorgesehenen Maßnahmen nur nach einem bestimmten Obsorge- oder Kontaktregelungsantrag zulässig sind, wohl aber mit einem Obsorge- oder Kontaktsrechtsverfahren insoweit im Zusammenhang stehen müssen, als dann, wenn die verfahrensrechtliche Durchsetzung eines Kontaktsrechts – wie im dort zu beurteilenden Fall – gar nicht in Betracht komme, keine Grundlage für eine Maßnahme nach § 107 Abs 3 AußStrG bestehe.

 

Die Anordnung anderer als in § 107 Abs 3 Z 1 bis 5 AußStrG angeordneter Maßnahmen ist angesichts ihrer demonstrativen Aufzählung zulässig, allerdings ist die nach dem Gesetzeswortlaut äußerst weitgehende Möglichkeit des Einsatzes derartiger Maßnahmen im Einzelfall zu begrenzen. Andere geeignete Maßnahmen iSd § 107 Abs 3 AußStrG müssen nach ihrer Art und im Umfang, aber auch in ihrer Qualität den gesetzlich angeordneten Maßnahmen gleichwertig sein. Die gesetzlich angeführten Maßnahmen betreffen solche, die (iwS) der Beratung (Z 1 und 3), der Streitschlichtung (Z 2) oder der Verhinderung einer unzulässigen Verbringung eines Kindes ins Ausland (Z 4 und 5) dienen sollen. Nur in diesem Rahmen können sich nach gefestigter Rsp vom Gericht angeordnete Maßnahmen bewegen.

 

So lehnt die stRsp eine auf § 107 Abs 3 AußStrG gegründete Verpflichtung zur Teilnahme an der Behandlung von psychosozial oder psychosomatisch bedingten Verhaltensstörungen und Leidenszuständen mit wissenschaftlich-psychotherapeutischen Methoden im Weg der Interaktion zwischen einem oder mehreren Behandelten und einem oder mehreren Psychotherapeuten ab. Ein Auftrag an den Jugendwohlfahrtsträger, die Aufnahme der Mutter in das Mutter-Kind-Haus im Rahmen des Abklärungswohnens zu veranlassen bzw an die Dauerpflegeeltern, das Kind nach Aufnahme der Mutter im Mutter-Kind-Haus in deren Obhut zu übergeben und für einen Zeitraum von acht Wochen zu überlassen, wurde als den Rahmen des § 107 Abs 3 AußStrG weit sprengende Maßnahme und daher unzulässig erachtet. Eine Verpflichtung der Eltern gemeinsam an fünf Mediationssitzungen teilzunehmen wurde nicht als iSd § 107 Abs 3 AußStrG „andere geeignete Maßnahme“ angesehen. Zu 1 Ob 147/17z erachtete der OGH den auf § 107 Abs 3 AußStrG gestützten Auftrag an die Eltern „weiterhin regelmäßige Betreuung durch … und therapeutisch ambulante Familienbetreuung in Anspruch zu nehmen“ als zu unbestimmt und mangels entsprechender Tatsachengrundlage als unbegründeten Eingriff in das verfassungsgesetzlich normierte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens.

 

Die Rechtsauffassung des Rekursgerichts, im konkreten Fall sei (noch) ein ausreichender Zusammenhang mit einem Obsorge- oder Kontaktrechtsverfahren gegeben, zieht die Revisionsrekurswerberin nicht in Zweifel. Tatsächlich steht der Mutter derzeit ungeachtet der in Rechtskraft erwachsenen Abweisung ihrer Anträge auf unbegleitetes Kontaktrecht und alleinige Obsorge aktuell ein begleitetes Kontaktrecht zu, dessen Durchsetzung sie auch begehrt hat. Der Beschluss des Erstgerichts über die Aussetzung der Besuchskontakte bis zum 30. Juli 2018 stammte erst vom 22. Jänner 2018 und ist aufgrund des von der Mutter dagegen erhobenen Rekurses nicht rechtskräftig. Da § 107 Abs 3 AußStrG die amtswegige Anordnung derartiger Maßnahmen vorsieht, besteht nach der von der Revisionsrekurswerberin ebenfalls nicht in Zweifel gezogenen Rechtsauffassung des Rekursgerichts auch kein Grund, dem Vater insoweit ein Antragsrecht zu verweigern. Insoweit ist die Rechtsauffassung des Rekursgerichts nicht korrekturbedürftig

 

Allerdings sind die im Revisionsrekursverfahren noch gegenständlichen Maßnahmen selbst im weitesten Sinn weder mit einer Beratung oder Streitschlichtung noch der Verhinderung einer Verbringung des Kindes ins Ausland vergleichbar. Es mag zwar sein, dass sie grundsätzlich der Sicherung des Kindeswohls dienlich wären und – mittelbar – Auswirkungen auf die Bereitschaft der Minderjährigen zu Besuchskontakten mit der Mutter haben könnten. Dies reicht allerdings nicht aus, zumal nahezu jede gerichtliche Maßnahme im Verfahren über die Obsorge oder persönlichen Kontakte kindeswohlrelevante Aspekte haben wird. Derartige Maßnahmen – die allerdings ohne Zweifel Gegenstand eines Unterlassungsbegehrens bzw Provisorialsantrags sein könnten – gehen selbst bei großzügigster Auslegung weit über den vom Gesetzgeber vorgegebenen Rahmen des § 107 Abs 3 AußStrG hinaus. Im Übrigen lässt sich den Feststellungen hier nicht entnehmen, dass die vom Rekursgericht erteilten Aufträge überhaupt ein erforderliches und geeignetes Mittel zur Erreichung des beabsichtigten Zweckes (Förderung des Kindeswohls durch Ermöglichung der der Mutter zustehenden begleiteten Kontakte) bildeten. Die Frage, ob die angeordneten Maßnahmen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz widersprechen, weil sie zu weit in das Privatleben der Mutter eingreifen, bedarf keiner Erörterung, weil diese Aufträge den in § 107 Abs 3 AußStrG geregelten nicht vergleichbar und daher nicht zulässig sind.

 

§ 181 Abs 1 ABGB vermag die der Mutter erteilten Aufträge schon deshalb nicht zu rechtfertigen, weil diese Regelung nur für mit der Obsorge betraute Personen gilt, die alleinige Obsorge für die Minderjährige aber bereits seit 2014 dem Vater zusteht.