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16.06.2018 Zivilrecht

OGH: § 364 Abs 2 ABGB – Beeinträchtigung der ortsüblichen Nutzung der Liegenschaft durch Veranstaltung von Kinderfesten

Die Beurteilung, ob die ortsübliche Nutzung der Liegenschaft der Kläger durch die Kinderfeste beeinträchtigt wird, wird insbesondere davon abhängen, wie oft und jeweils in welcher Dauer übermäßiger Lärm von der Liegenschaft des Beklagten ausgeht: Bedarf es doch keiner näheren Erläuterung, dass die Nutzung eines Gartens zu Erholungszwecken stark beeinträchtigt sein kann, wenn auf einer Nachbarliegenschaft in der warmen Jahreszeit beispielsweise wöchentlich (am Wochenende) Kinderfeste mit zahlreichen Teilnehmern (in erster Linie im Freien) stattfinden; umgekehrt ist eine wesentliche Beeinträchtigung der ortsüblichen Nutzung jedoch kaum denkbar, wenn Lärm von Kinderfesten entweder nur relativ selten (wenn auch dann allenfalls über mehrere Stunden) oder aber zwar häufiger, aber jeweils nur für kurze Zeit, entsteht


Schlagworte: Nachbarrecht, Immissionen, Kinderfeste, ortsüblich
Gesetze:

 

§ 364 ABGB

 

GZ 3 Ob 52/18w [1], 25.04.2018

 

OGH: Die Grenze zulässiger Einwirkung ist durch die Ortsüblichkeit der Störung einerseits und die ortsübliche Benützung des Grundstücks, die durch den Eingriff nicht wesentlich beeinträchtigt werden darf, andererseits gegeben. Da diese beiden Kriterien kumulativ vorliegen müssen, sind selbst übermäßige Immissionen zu dulden, wenn sie die ortsübliche Nutzung des Grundstücks nicht wesentlich beeinträchtigen, aber auch dann, wenn sie das ortsübliche Maß nicht übersteigen, obwohl die ortsübliche Nutzung des Grundstücks durch sie wesentlich beeinträchtigt wird.

 

Bei der Beurteilung, ob eine wesentliche Beeinträchtigung der ortsüblichen Benutzung der Liegenschaft der Kläger vorliegt, ist nicht auf die besondere Empfindlichkeit der betroffenen Person, sondern auf das Empfinden eines Durchschnittsmenschen in der Lage des Beeinträchtigten abzustellen. Der nach dem Nachbarrecht gebotene sozialrelevante Interessenausgleich fordert, die Frage nach der Wesentlichkeit der Beeinträchtigung vom Standpunkt eines verständigen Durchschnittsmenschen aus zu beantworten, der auf die allgemeinen Interessen und die gesellschaftlich bedeutsamen Gesichtspunkte wenigstens auch Bedacht nimmt. Es kommt also nicht auf die individuelle Person des mehr oder minder sensiblen Nachbarn, sondern auf das Empfinden des Durchschnittsmenschen an, der sich in der Lage des Gestörten befindet.

 

Gefährdet die Einwirkung die Gesundheit davon betroffener Menschen ganz allgemein, kann sie nicht als ortsüblich beurteilt werden. Ist allerdings die Gesundheitsgefährdung bzw gesundheitliche Beeinträchtigung nur auf eine besondere Sensibilität des Nachbarn zurückzuführen, kann dies für sich allein noch nicht zum Anlass genommen werden, die Einwirkung gänzlich zu untersagen. Vielmehr kommt es darauf an, dass die Immission überhaupt – und nicht nur für übersensible Menschen – gesundheitsgefährdend bzw -beeinträchtigend ist. Dafür trifft aber den betroffenen Nachbar die Beweislast. Ein solches Vorbringen haben die Kläger gar nicht erstattet.

 

Die Vorinstanzen sind zutreffend davon ausgegangen, dass „normaler“ Kinderlärm – zumal in einem Wohngebiet – jedenfalls zu „üblichen“ Tageszeiten zu dulden ist, mag er auch von den Klägern (insbesondere dem Zweitkläger) subjektiv als sehr störend empfunden werden. Den Vorinstanzen ist grundsätzlich auch dahin zuzustimmen, dass durch die regelmäßige kommerzielle Veranstaltung von Kinderfesten (also insbesondere die regelmäßige, in ihrer Häufigkeit über das Ausmaß in einer durchschnittlichen Familie hinausgehende gleichzeitige Anwesenheit einer größeren Anzahl von ausgelassen spielenden Kindern) eine deutlich größere, nicht mehr hinzunehmende Lärmbelastung für die Anrainer entstehen kann als durch das „normale“ Spielen von Kindern.

 

Bisher fehlen aber ausreichende Feststellungen, auf deren Grundlage beurteilt werden könnte, ob im Rahmen der auf der Liegenschaft des Beklagten veranstalteten Kinderfeste das ortsübliche Maß an Lärm überschritten und/oder dadurch die ortsübliche Nutzung der Liegenschaft der Kläger wesentlich beeinträchtigt wird bzw wurde:

 

Vorauszuschicken ist, dass sich die Kläger ersichtlich nicht gegen die Abhaltung von Feiern im Gebäude des Beklagten wenden, sondern nur gegen jene, die (auch) im Garten stattfinden (und deshalb von ihnen als störend empfunden werden).

 

Den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Erstgerichts lässt sich insoweit nur entnehmen, dass spielende und tobende Kinder Geräuschspitzen von bis zu 80 bis 113 dB produzieren. Entscheidend ist aber nicht, welcher Lärm von spielenden Kindern „durchschnittlich“ ausgeht, sondern welche Geräuschentwicklung konkret durch die Kinderfeste auf der Liegenschaft des Beklagten mit welcher Häufigkeit pro Woche/Monat/Quartal und in welchem zeitlichen Ausmaß pro Tag (Fest) auf die Liegenschaft der Kläger einwirkt(e). Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang insbesondere auf das Vorbringen des Beklagten, wonach nur ein geringer zeitlicher Anteil der einzelnen Feste im Freien stattfinde.

 

Demgemäß wird die Beurteilung, ob die ortsübliche Nutzung der Liegenschaft der Kläger durch die Kinderfeste beeinträchtigt wird (wurde), insbesondere davon abhängen, wie oft und jeweils in welcher Dauer übermäßiger Lärm von der Liegenschaft des Beklagten ausgeht (ausging): Bedarf es doch keiner näheren Erläuterung, dass die Nutzung eines Gartens zu Erholungszwecken stark beeinträchtigt sein kann, wenn auf einer Nachbarliegenschaft in der warmen Jahreszeit beispielsweise wöchentlich (am Wochenende) Kinderfeste mit zahlreichen Teilnehmern (in erster Linie im Freien) stattfinden; umgekehrt ist eine wesentliche Beeinträchtigung der ortsüblichen Nutzung jedoch kaum denkbar, wenn Lärm von Kinderfesten entweder nur relativ selten (wenn auch dann allenfalls über mehrere Stunden) oder aber zwar häufiger, aber jeweils nur für kurze Zeit, entsteht.

 

Wie häufig (bisher) auf der Liegenschaft (im Garten) des Beklagten Kinderfeste veranstaltet wurden, ist den Feststellungen nicht genau zu entnehmen; das Erstgericht spricht von „mehreren“ Kindergeburtstagsfeiern und nennt (beispielhaft) konkret sieben Tage im Zeitraum 15. Juni bis 25. Oktober 2014; darüber hinaus steht nur fest, dass die (bisher) letzte Party Anfang Juli 2015 stattfand.

 

Zum Lärm während der vom Nebenintervenienten veranstalteten Kinderfeste hat das Erstgericht zum einen festgestellt, dass bei der Kinderparty mehrfach, ua am 12. Juli 2014 die Polizei wegen Lärmerregung einschritt, ohne dass daraus mit Sicherheit abzuleiten wäre, dass diese von den Klägern veranlassten Polizeieinsätze auch berechtigt waren, also tatsächlich ungebührlicherweise störender Lärm iSd § 1 Abs 1 Z 2 WLSG erregt wurde. Zum anderen hat das Erstgericht (nur) zur Feier vom 25. Oktober 2014 festgestellt, dass sich der Geräuschpegel nach der Messung des Zweitklägers „stets über 60 dB, in der Zeit von 15.37 Uhr bis 15.41 Uhr [also in einem Zeitraum von bloß vier Minuten!] meist zwischen 80 und 90, manchmal auch über 90 dB“ bewegte. Auch dieser (vom Berufungsgericht als vermeintlich irrelevant nicht überprüften) Feststellung ist jedoch nicht zu entnehmen, für welche Zeitspanne der Geräuschpegel „stets über 60 dB“ lag.

 

Ob sich bei den übrigen Kinderfesten die teilnehmenden Kinder überhaupt im Garten aufhielten, wenn ja, für wie lange, wurde ebenfalls nicht festgestellt.

 

Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht deshalb auf geeignete Weise zu klären haben, wie instensiv die Geräuschentwicklung (möglichst in dB) und die Einwirkungen durch das Eindringen von Spielzeug oder ähnlichen Gegenständen auf die Nachbarliegenschaft bei den auf der Liegenschaft (im Garten) des Beklagten abgehaltenen Kinderfesten jeweils sind (waren), wie häufig solche Kinderfeste stattfinden (stattfanden) und wie viel Zeit die teilnehmenden Kinder jeweils im Garten verbringen (verbrachten).