OGH > Zivilrecht
24.12.2018 Zivilrecht

OGH: Zur Haftung für einen im Wald umstürzenden Baum

Die Sonderregel des § 176 Abs 2 ForstG verdrängt die allgemeine Deliktshaftung nach den §§ 1295 ff, 1319 ABGB


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Forstrecht, morscher Baum, Werk, Umfallen, Ablösen von Teilen, Wald, Ingerenz, Gefahrenquelle, Forstweg
Gesetze:

 

§§ 1295 ff ABGB, § 1319 ABGB, § 176 ForstG

 

GZ 9 Ob 7/18x [1], 30.10.2018

 

OGH: Nach § 176 Abs 2 ForstG trifft den Waldeigentümer und dessen Leute sowie sonstige an der Waldbewirtschaftung mitwirkende Personen - vorbehaltlich des Abs 4 oder des Bestehens eines besonderen Rechtsgrundes - keine Pflicht zur Abwendung der Gefahr von Schäden, die abseits von öffentlichen Straßen und Wegen durch den Zustand des Waldes entstehen könnten; sie sind insbesondere nicht verpflichtet, den Zustand des Waldbodens und dessen Bewuchses so zu ändern, dass dadurch solche Gefahren abgewendet oder vermindert werden.

 

Die Sonderregel des § 176 Abs 2 ForstG verdrängt die allgemeine Deliktshaftung nach den §§ 1295 ff ABGB. Für das Umstürzen eines Baumes im Wald kommt daher auch § 1319 ABGB nicht in Betracht: § 1319 ABGB normiert die Haftung für den Einsturz oder die Ablösung von Teilen eines Gebäudes, wodurch jemand verletzt wird oder sonst einen Schaden erleidet. Diese Haftung ist analog auf Schäden durch Ablösung von Bäumen anzuwenden. Aus ihr ergibt sich eine Obsorgepflicht des Grundstückseigentümers und seines Nutzungsberechtigten für die Schäden, die durch einen umstürzenden Baum verursacht werden, ohne dass das Tatbestandsmerkmal eines Waldes vorliegen müsste. Im Anwendungsbereich des ForstG geht die Haftungsbeschränkung nach § 176 der Anwendung des § 1319 ABGB jedoch vor und entlastet den Halter von Bäumen in einem Wald.

 

Die Rsp sieht die Haftung nach dem Ingerenzprinzip als besonderen Rechtsgrund iSd § 176 Abs 2 ForstG an. Allgemein hat danach jeder, der eine Gefahrenquelle schafft, die notwendigen Vorkehrungen zur Abwendung daraus drohender Gefahren zu treffen. Die Verpflichtung zur Beseitigung der Gefahrenquelle und damit die Verpflichtung zum positiven Tun folgt aus der vorhergehenden Verursachung der Gefahrensituation. Eine gleiche Verpflichtung trifft auch denjenigen, in dessen Sphäre gefährliche Zustände bestehen. Hier folgt die Verpflichtung zur Beseitigung aus der Zusammengehörigkeit von Verantwortung und Bestimmungsgewalt. Die Verkehrssicherungspflicht trifft denjenigen, der die Gefahr erkennen und die erforderlichen Schutzmaßnahmen ergreifen kann. Wer demnach eine Gefahrenquelle schafft oder bestehen lässt, muss die notwendigen und ihm zumutbaren Vorkehrungen treffen, um eine Schädigung anderer nach Tunlichkeit abzuwenden. Für die Sicherung von Gefahrenquellen ist in umso höherem Maß zu sorgen, je weniger angenommen werden kann, dass die von der Gefahr betroffenen Personen sich ihrerseits vor Schädigungen vorzusehen und zu sichern wissen.

 

Das bloße Bestehenlassen einer Gefahr (hier: morscher Baum) ist im Hinblick auf § 176 ForstG aber nur dann haftungsbegründend, wenn die Gefahr nicht zu den natürlichen Gefahren des Waldes zählt (zB überwachsener Stacheldraht im Wald, Schlägerungsarbeiten), während der Waldeigentümer vorbehaltlich des § 176 Abs 4 ForstG sonst gerade keine Verpflichtung zur Gefahrenabwehr hat.