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19.02.2020 Zivilrecht

OGH: Zur Frage der Berechtigung eines Trauerschmerzengeldes für ein knapp zweijähriges Kleinkind

Die Auffassung des Berufungsgerichts, einem noch nicht einmal zweijährigem Kind, das „noch keine Vorstellung von Geburt und Tod in Form der Endgültigkeit des Sterbens hat, sodass es von einem nachhaltigen Trauerprozess nicht betroffen sein kann“, stehe Trauerschmerzengeld aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls, nämlich dem Tod der Schwester wenige Stunden nach deren Geburt, nicht zu, ist jedenfalls vertretbar


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Tötung, kein Trauerschmerzengeld für zweijähriges Kind
Gesetze:

 

§ 1325 ABGB

 

GZ 6 Ob 103/19v [1], 24.09.2019

 

OGH: Nach nunmehr stRsp des OGH kommt ein Ersatz des Seelenschmerzes („Trauerschmerzengeld“) über den Verlust naher Angehöriger, der zu keiner eigenen Gesundheitsschädigung iSd § 1325 ABGB geführt hat, bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz des Schädigers in Betracht. Dabei sind die Intensität der familiären Bindung, das Alter von Getötetem und Angehörigen und insbesondere das Bestehen einer Haushaltsgemeinschaft von Bedeutung. Die Intensität der Gefühlsgemeinschaft kann nicht (nur) an der Anzahl der gemeinsam verbrachten Lebensjahre gemessen werden. Der Umstand, dass die Angehörigen um den Verlust eines haushaltszugehörigen Mitglieds der Kernfamilie (Eltern-Kinder) trauern und wegen der besonderen Intensität der familiären Nahebeziehung auch als besonders schutzwürdig anzusehen sind, fällt entscheidend ins Gewicht, wobei die genannten Umstände Hilfstatsachen, also Indizien sind, aus denen idR auf die im Einzelfall nur schwer beweisbare Intensität der Gefühlsgemeinschaft geschlossen werden kann.

 

Nach der Rsp ist für die Zuerkennung von Trauerschmerzengeld die intensive Gefühlsgemeinschaft maßgeblich, wie sie zwischen den nächsten Angehörigen typischerweise besteht; eine solche besteht typischerweise auch zwischen Geschwistern, die im gemeinsamen Haushalt leben. Ohne Haushaltsgemeinschaft – etwa im Falle von erwachsenen Geschwistern, die an verschiedenen Orten mit ihren eigenen Familien leben und nur mehr bei gelegentlichen Familienfeiern zusammentreffen – reicht das familiäre Naheverhältnis für sich allein jedoch nicht aus, um einen Anspruch auf Trauerschmerzengeld zu begründen; vielmehr wäre dann vom Geschädigten das Bestehen einer intensiven Gefühlsgemeinschaft, die jener innerhalb der Kernfamilie annähernd entspricht, zu beweisen. All diesen Entscheidungen lagen Sachverhalte zugrunde, in denen die Trauerschmerzengeld begehrenden Geschwister bereits älter, zum Teil fast volljährig und zum Teil bereits erwachsen waren.

 

Die Klägerin beruft sich im Revisionsverfahren darauf, dass „die ungeborene Schwester gemeinsam mit [der Klägerin] und ihren Eltern in einem gemeinsamen Haushalt [gelebt]“ habe, weshalb „typischerweise vom Bestehen einer intensiven Gefühlsgemeinschaft zwischen diesem noch ungeborenen Kind und seinen Geschwistern auszugehen“ sei; „auch wenn das ungeborene Kind den Mutterleib noch nicht verlassen hat, bedeute dies im Umkehrschluss nicht, dass ein gemeinsamer Haushalt noch nicht vorgelegen“ habe. „Natürlich bestehe auch bei einem Kleinkind, das die gesamte Schwangerschaft der Mutter miterlebt, typischerweise eine innige Beziehung zum ungeborenen Kind; das Kleinkind erlebe über neun Monate hinweg mit, wie sich die gesamte Kernfamilie auf ein neues Familienmitglied einstellt, der Bauch der Mutter wächst und darin neues Leben entsteht. Auch ein Kleinkind [sei] gefühlsmäßig in der Lage, die Freude der Kernfamilie auf ein neues Familienmitglied mitzuerleben und daran teilzuhaben. Ein Kleinkind [werde] natürlich auch die Trauer der Eltern über den Verlust eines Familienangehörigen miterleben und verstehen, dass etwas 'Schlimmes und für die Familie Einschneidendes' passiert ist.“

 

Mit diesen Ausführungen stellt die Klägerin aber nicht die von der Rsp geforderte intensive Gefühlsgemeinschaft zu ihrer ungeborenen Schwester dar, sondern beschreibt – durchaus nachvollziehbar – ihre gefühlsmäßige Beziehung zu ihrer Mutter. Die Haushaltsgemeinschaft für sich allein (sofern man bei einem Nasciturus überhaupt von einer solchen sprechen kann) stellt aber noch nicht das entscheidende Kriterium dar; maßgeblich ist die intensive Gefühlsgemeinschaft des Getöteten und des Angehörigen. Die Auffassung des Berufungsgerichts, einem noch nicht einmal zweijährigem Kind, das „noch keine Vorstellung von Geburt und Tod in Form der Endgültigkeit des Sterbens hat, sodass es von einem nachhaltigen Trauerprozess nicht betroffen sein kann“, stehe Trauerschmerzengeld aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls, nämlich dem Tod der Schwester wenige Stunden nach deren Geburt, nicht zu, ist somit jedenfalls vertretbar.