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02.03.2020 Zivilrecht

OGH: Zur Frage, ob und – bejahendenfalls – unter welchen Voraussetzungen ein Hundehalter seine in § 1320 ABGB verankerten Pflichten verletzt, wenn er seinen mit Maulkorb ausgestattetem Hund an einem Poller (vor dem Supermarkt) anleint und dann unbeaufsichtigt lässt

Berücksichtigt man, dass sich die Klägerin selbst in die Gefahrenlage brachte, weil sie den vor ihrem Fahrzeug an den Poller angeleinten Hund übersah und bis auf einen Meter (die festgestellte Leinenlänge) an ihn herantrat, ohne ihn zu bemerken, sodass dieser hochsprang und bellte, ist es jedenfalls nicht unvertretbar, davon auszugehen, der Beklagten sei der Beweis gelungen, dass sie für die von den gegebenen Umständen erforderliche Verwahrung und Beaufsichtigung des Hundes ausreichend Sorge getragen hat; eine besondere Gefährlichkeit des Hundes war bis zum Vorfall nicht erkennbar; damit, dass sich jemand dem Hund bis auf einen Meter annähert, weil er ihn übersieht, und dann vor dem Hund – obwohl er angeleint war und einen Beißkorb trug – wegen dessen Bellens und Hochspringens so erschrickt, dass er zu Sturz kommt, musste die Beklagte nicht rechnen; dass der Hund auf Grund besonderer (örtlicher oder anderer) Umstände für die Klägerin nicht früher bemerkbar gewesen wäre oder sie daran gehindert gewesen wäre, ihm rechtzeitig auszuweichen, steht nicht fest


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Tierhalterhaftung, Hund, Maulkorb, Anleinen an Poller vor Supermarkt, Sturz aufgrund Erschreckens
Gesetze:

 

§ 1320 ABGB

 

GZ 10 Ob 88/19t [1], 21.01.2020

 

OGH: Gem § 1320 Satz 2 ABGB ist derjenige, der ein Tier hält, für den durch das Tier verursachten Schaden verantwortlich, wenn er nicht beweist, dass er für die erforderliche Verwahrung oder Beaufsichtigung gesorgt hat.

 

Mit dieser Bestimmung hat der Gesetzgeber keine (volle) Gefährdungshaftung normiert, die besondere Tiergefahr aber dadurch berücksichtigt, dass nicht auf das subjektive Verschulden des Halters, sondern auf die objektiv gebotene Sorgfalt abgestellt wird.

 

Der Tierhalter hat zu beweisen, dass er sich nicht sorgfaltswidrig verhalten hat. Misslingt ihm dieser Beweis, haftet er für sein objektiv sorgfaltswidriges, wenn auch schuldloses Verhalten.

 

Welche Verwahrung und Beaufsichtigung durch den Tierhalter erforderlich ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Die Vorkehrungen müssen dem Tierhalter zumutbar sein. Die Anforderungen an die Verwahrungs- und Beaufsichtigungspflichten dürfen nicht überspannt werden.

 

Nach § 5 Abs 1 des Wiener Tierhaltegesetzes (LGBl 1987/39 idgF) müssen Hunde an öffentlichen Orten wie Straßen und Plätzen entweder mit einem geschlossenen Maulkorb versehen sein oder so an der Leine geführt werden, dass eine jederzeitige Beherrschung des Tieres gewährleistet ist.

 

Die Vorinstanzen gingen davon aus, dass die Beklagte ihren Verwahrungspflichten entsprochen habe. Sie habe keine Möglichkeit gehabt, ihren Hund an einer anderen Stelle anzuleinen. Zusätzlich habe sie dem Tier auch noch einen Maulkorb angelegt. Sie habe daher keine erhöhte Gefahrenlage geschaffen.

 

Diese Auffassung des Berufungsgerichts weicht von den eingangs wiedergegebenen Grundsätzen der Rsp nicht derart ab, dass im Interesse der Rechtssicherheit eine Korrektur durch den OGH geboten wäre:

 

Berücksichtigt man, dass sich die Klägerin selbst in die Gefahrenlage brachte, weil sie den vor ihrem Fahrzeug an den Poller angeleinten Hund übersah und bis auf einen Meter (die festgestellte Leinenlänge) an ihn herantrat, ohne ihn zu bemerken, sodass dieser hochsprang und bellte, ist es jedenfalls nicht unvertretbar, davon auszugehen, der Beklagten sei der Beweis gelungen, dass sie für die von den gegebenen Umständen erforderliche Verwahrung und Beaufsichtigung des Hundes ausreichend Sorge getragen hat. Eine besondere Gefährlichkeit des Hundes war bis zum Vorfall nicht erkennbar. Damit, dass sich jemand dem Hund bis auf einen Meter annähert, weil er ihn übersieht, und dann vor dem Hund – obwohl er angeleint war und einen Beißkorb trug – wegen dessen Bellens und Hochspringens so erschrickt, dass er zu Sturz kommt, musste die Beklagte nicht rechnen. Dass der Hund auf Grund besonderer (örtlicher oder anderer) Umstände für die Klägerin nicht früher bemerkbar gewesen wäre oder sie daran gehindert gewesen wäre, ihm rechtzeitig auszuweichen, steht nicht fest.