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24.03.2020 Zivilrecht

OGH: Zur Veröffentlichung widerrechtlich hergestellter Tonaufnahmen

Wird der höchstpersönliche Lebensbereich des Aufgenommenen nicht berührt, so können sich Medien zur Rechtfertigung auf die Meinungsäußerungsfreiheit stützen, wenn die Eingriffshandlung tatsächlich einen Beitrag zu einer Debatte von öffentlichem Interesse leistete


Schlagworte: Persönlichkeitsrecht, Schutz der Privatsphäre, widerrechtliche Tonaufnahmen, Veröffentlichung, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Rechtfertigung, Ibiza-Video
Gesetze:

 

§ 16 ABGB, Art 8 EMRK, Art 10 EMRK, § 120 StGB, § 12 DSG

 

GZ 6 Ob 236/19b [1], 23.01.2020

 

OGH: Bei der Beurteilung von Veröffentlichungen hat eine Abwägung zwischen der von Art 8 EMRK geschützten Privatsphäre und der in Art 10 EMRK garantierten Meinungsäußerungsfreiheit stattzufinden. Dabei ist insbesondere darauf zu achten, dass es den Medien möglich sein muss, ihre Rolle als „public watchdog“ zu erfüllen. Ein „Verwertungsverbot“ für rechtswidrig erlangte Informationen, wonach Medien Informationen, die sie unter Verletzung von Verschwiegenheitspflichten durch Dritte erhalten haben, nicht veröffentlichen dürften, lässt sich aus der Rechtsordnung nicht ableiten und wäre auch mit der vom EGMR postulierten Rolle der Medien als „public watchdog“ unvereinbar. Allerdings haben auch Politiker oder sonst allgemein bekannte Personen Anspruch darauf, dass die Allgemeinheit Rücksicht auf ihre Persönlichkeit nimmt. Daher ist auch die Intimsphäre dieser Personen geschützt und die Verbreitung von Bildern, die entstellend wirken oder den Abgebildeten iZm der Bildunterschrift oder dem Begleittext der Neugierde und Sensationslust der Öffentlichkeit preisgeben, oder ihn mit Vorgängen in Verbindung bringen, mit denen er nichts zu tun hat, unzulässig. Im Kernbereich der geschützten Privatsphäre kann die Interessenabwägung daher - auch bei Politikern - nur dann zugunsten des Äußernden ausfallen, wenn ein allgemeines Informationsinteresse besteht oder der Verletzte seine privaten Lebensumstände selbst öffentlich gemacht hat.

 

§ 120 Abs 2 StGB pönalisiert die Weitergabe oder Veröffentlichung nicht nur von strafrechtswidrig gewonnenen, sondern auch von sonstwie erlangten Tonaufnahmen einer nicht öffentlichen Äußerung an Unberechtigte ohne Einverständnis des Sprechenden. Als Rechtfertigung kommen Notwehr, rechtfertigender Notstand, mutmaßliche Einwilligung und gesetzliche Befugnisse in Betracht, nicht aber „überwiegende rechtliche Interessen“. Anerkannt ist aber, dass - insbesondere iZm investigativem Journalismus - auch die Vorgaben des Art 10 EMRK zu beachten sind.

 

Hier („Ibiza-Video“) wird der höchstpersönliche Lebensbereich des Klägers, der einer den Eingriff rechtfertigenden Interessenabwägung entzogen wäre, nämlich seine Gesundheit, seine Sexualsphäre und sein Familienleben durch die Aufnahme und deren Weitergabe nicht berührt. Hinsichtlich dieser Eingriffshandlungen kann sich daher der Beklagte - anders als hinsichtlich der Herstellung der Aufnahmen - zur Rechtfertigung des dadurch bewirkten Eingriffs in die Privatsphäre des Klägers auf die von Art 10 EMRK geschützte Meinungsäußerungsfreiheit stützen, weil die hier zu beurteilende Eingriffshandlung tatsächlich einen Beitrag zu einer Debatte von öffentlichem Interesse leistete.