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16.06.2011 Zivilrecht

OGH: § 28 KSchG - Grundsätze des Verbandsprozesses

Ausführungen zu Geltungskontrolle, Inhaltskontrolle, gröbliche Benachteiligung und Transparenzgebot


Schlagworte: Konsumentenschutzrecht, Verbandsklage, Geltungskontrolle, Inhaltskontrolle, gröbliche Benachteiligung, Transparenzgebot
Gesetze:

§ 28 KSchG, § 879 ABGB, §864a ABGB, § 6 KSchG

GZ 7 Ob 173/10g [1], 11.05.2011

 

OGH: Im Rahmen der Verbandsklage hat die Auslegung der Klauseln im „kundenfeindlichsten“ Sinn zu erfolgen. Im Gegensatz zur jeweiligen Vertragsauslegung im Individualprozess kann auf eine etwaige teilweise Zulässigkeit der beanstandeten Bedingungen nicht Rücksicht genommen werden. Es kann also keine geltungserhaltende Reduktion stattfinden.

 

Die Geltungskontrolle nach § 864a ABGB geht der Inhaltskontrolle gem § 879 ABGB vor. Objektiv ungewöhnlich nach § 864a ABGB ist eine Klausel, die von den Erwartungen des Vertragspartners deutlich abweicht, mit der er also nach den Umständen vernünftigerweise nicht zu rechnen braucht. Der Klausel muss ein „Überrumplungs- oder Übertölpelungseffekt“ innewohnen. Die Ungewöhnlichkeit ist objektiv zu verstehen. Die Subsumtion hat sich an der Verkehrsüblichkeit beim betreffenden Geschäftstyp zu orientieren. Ein Abstellen auf die subjektive Erkennbarkeit gerade für den anderen Teil ist daher ausgeschlossen. Erfasst sind alle dem Kunden nachteilige Klauseln. Eine grobe Benachteiligung nach § 879 Abs 3 ABGB wird nicht vorausgesetzt.

 

Eine in AGB oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung, die nicht eine der beidseitigen Hauptleistungen festlegt, ist jedenfalls nichtig, wenn sie unter Berücksichtigung aller Umstände des Falls einen Teil gröblich benachteiligt (§ 879 Abs 3 ABGB). Durch diese Bestimmung wurde ein eine objektive Äquivalenzstörung und „verdünnte Willensfreiheit“ berücksichtigendes bewegliches System geschaffen. Sie wendet sich va gegen den Missbrauch der Privatautonomie durch das Aufdrängen benachteiligender vertraglicher Nebenbestimmungen durch den typischerweise überlegenen Vertragspartner bei Verwendung von AGB und Vertragsformblättern. Das Motiv des Gesetzgebers, insbesondere auf AGB und Vertragsformblätter abzustellen, liegt in der zwischen den Verwendern von AGB und deren Vertragspartnern typischerweise anzutreffenden Ungleichgewichtslage. Der mit den AGB konfrontierte Vertragspartner ist in seiner Willensbildung eingeengt, muss er sich doch zumeist den AGB fügen oder in Kauf nehmen, dass ihm der Verwender den Vertragsabschluss verweigert. Ein Abweichen vom dispositiven Recht wird uU schon dann eine gröbliche Benachteiligung des Vertragspartners iSd § 879 Abs 3 ABGB sein können, wenn sich für die Abweichung keine sachliche Rechtfertigung ergibt. Sie ist jedenfalls schon dann anzunehmen, wenn die dem Vertragspartner zugedachte Rechtsposition im auffallenden Missverhältnis zur vergleichbaren Rechtsposition des anderen steht, wenn also keine sachlich berechtigte Abweichung von der für den Durchschnittsfall getroffenen Norm des nachgiebigen Rechts vorliegt. Bei der Beurteilung, ob eine gröbliche Benachteiligung des Vertragspartners bewirkt wird, hat sich der Rechtsanwender daher am dispositiven Recht als dem Leitbild eines ausgewogenen und gerechten Interessenausgleichs zu orientieren.

 

Die Ausnahme von der im § 879 Abs 3 ABGB verankerten Inhaltskontrolle - die Festlegung der beiderseitigen Hauptleistungspflichten - ist möglichst eng zu verstehen und soll auf die individuelle, zahlenmäßige Umschreibung der beiderseitigen Leistungen beschränkt bleiben, so dass va auch die im dispositiven Recht geregelten Fragen bei der Hauptleistung, also va Ort und Zeit der Vertragserfüllung, nicht unter diese Ausnahme fallen. Klauseln, die das eigentliche Leistungsversprechen einschränken, verändern oder aushöhlen, unterliegen ebenfalls der Inhaltskontrolle.

 

Nach § 6 Abs 3 KSchG ist eine in AGB oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung unwirksam, wenn sie unklar oder unverständlich abgefasst ist. Durch diese Bestimmung wurde die Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. 4. 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen umgesetzt und damit das sog Transparenzgebot für Verbrauchergeschäfte normiert. Dieses soll dem Kunden ermöglichen, sich aus den AGB oder Vertragsformblättern zuverlässig über seine Rechte und Pflichten bei der Vertragsabwicklung zu informieren. Maßstab für die Transparenz ist das Verständnis der für die jeweilige Vertragsart typischen Durchschnittskunden. Es soll verhindert werden, dass der Verbraucher durch ein unzutreffendes oder auch nur unklares Bild seiner vertraglichen Position von der Durchsetzung seiner Rechte abgehalten wird. Daraus kann sich konkret eine Verpflichtung zur Vollständigkeit ergeben, wenn die Auswirkung einer Klausel sonst unklar bliebe.

 

Auch auf die für den Verbraucher ungünstigste Auslegung wird im Verbandsprozess deshalb abgestellt, weil befürchtet wird, dass der einzelne Verbraucher die wahre Rechtslage und die ihm zustehenden Rechte nicht erkennt und sich daher auch nicht auf diese beruft.