OGH > Verfahrensrecht
16.06.2011 Verfahrensrecht

OGH: Feststellungen im Zivilprozess aufgrund eines Privatgutachtens ohne Zustimmung des Gegners?

Anders als im Sicherungsverfahren, wo bloße Bescheinigung genügt, können im Zivilprozess Feststellungen aufgrund von Privatgutachten nur mit Zustimmung des Gegners getroffen werden; verstößt das Berufungsgericht gegen diesen Grundsatz, liegt eine Mangelhaftigkeit iSd § 503 Z 2 ZPO vor


Schlagworte: Beweis durch Sachverständige, Feststellungen aufgrund von Privatgutachten
Gesetze:

§§ 351 ff ZPO, § 294 ZPO, § 503 Z 2 ZPO

GZ 17 Ob 21/10b [1], 12.04.2011

 

OGH: Nach § 351 ZPO hat das Gericht einen oder mehrere Sachverständige zu bestellen, wenn die Aufnahme eines Beweises durch Sachverständige „notwendig“ wird. Das ist immer dann der Fall, wenn das Gericht nicht über die zur Beurteilung eines Gegenstands erforderlichen „fachmännischen Kenntnisse“ (§ 364 ZPO) verfügt.

 

Ein iSd §§ 351 ff ZPO „notwendiges“ Gutachten kann nicht durch ein Privatgutachten ersetzt werden. Denn Privatgutachten sind nicht mehr als Urkunden, die die Meinung ihres Verfassers wiedergeben, wobei dieser Verfasser nicht den Pflichten eines gerichtlich bestellten Sachverständigen unterliegt. Sie sind daher nach der Rsp nicht geeignet, in einer Sachverständigenfrage „für sich allein die Entscheidung zu stützen“.

 

Zwar betreffen die meisten Entscheidungen, die diesen Rechtssatz enthalten, andere Fallgestaltungen, nämlich den inhaltlichen Widerspruch zwischen einem gerichtlichen und einem Privatgutachten oder die Eignung eines Privatgutachtens zur Begründung einer Wiederaufnahmeklage. In 6 Ob 721/81 ging es allerdings tatsächlich um die Verwertung einer als Privatgutachten zu qualifizierenden Urkunde: Der gerichtliche Sachverständige hatte im erstinstanzlichen Verfahren aufgrund einer Blutgruppenanalyse einen Verstorbenen als Vater des Klägers ausgeschlossen. Die dafür erforderliche Blutprobe hatte ein Arzt einen Tag nach Eintritt des Todes abgenommen. In der Berufung hatte der Kläger ausgeführt, dass diese Vorgangsweise eine sichere Beurteilung ausschließe. Das Berufungsgericht hatte zu dieser Frage (nur) eine Stellungnahme jenes Arztes eingeholt, der das Blut abgenommen hatte, und auf dieser Grundlage die Entscheidung des Erstgerichts bestätigt. Der OGH sah darin einen Mangel des Berufungsverfahrens, weil der Arzt (als sachverständiger Zeuge iSv § 350 ZPO) nur über die Umstände der Blutabnahme zu vernehmen gewesen wäre, während die Frage, ob das so gewonnene Blut für eine Blutgruppenbestimmung geeignet war, ausschließlich vom gerichtlich bestellten Sachverständigen zu beurteilen sei. Die Vorgangsweise des Berufungsgerichts, die „schriftliche Äußerung eines Zeugen zu einer Sachverständigenfrage“ seiner Entscheidung zugrunde zu legen, würde auch in einem Verfahren, das nicht dem Untersuchungsgrundsatz unterliege, „einen erheblichen Verfahrensmangel“ bilden.

 

Gründe für ein Abgehen von dieser Rsp sind nicht ersichtlich. Erfordert die Beurteilung einer Tatsachenfrage besondere Fachkunde, so ordnet die ZPO eine bestimmte Vorgangsweise an: Entweder ist ein Sachverständiger zu bestellen, oder das Gericht verwertet mit Zustimmung der Parteien seine eigene Fachkunde. Diese Regelungen wären nicht erforderlich, wenn der Beweis daneben auch durch bloße Privatgutachten möglich wäre. Anders als im Sicherungsverfahren, wo bloße Bescheinigung genügt, hat es daher im Zivilprozess dabei zu bleiben, dass Feststellungen in einer Sachverständigenfrage nicht allein aufgrund von Privatgutachten getroffen werden können.

 

In der Literatur wird zwar - wie in Deutschland - die Auffassung vertreten, ein Privatgutachten könne unter gewissen Umständen als „urkundlich belegtes Sachvorbringen“ verwertet werden. Das kann aber nur dann gelten, wenn dieses Sachvorbringen wegen einer Außerstreitstellung für wahr zu halten ist, wofür nach § 267 ZPO in Ausnahmefällen auch das Fehlen einer substanziierten Bestreitung genügen kann. Erhebt der Gegner aber - wie hier - substanziierte Einwände, so wäre es eine Umgehung der Regeln über den Sachverständigenbeweis, wenn das Gericht das Privatgutachten dennoch seiner Entscheidung zugrunde legte. Denn im Ergebnis würde es damit in einer Sachverständigenfrage die Richtigkeit von - wenngleich „urkundlich belegtem“ - Sachvorbringen aufgrund eigener Fachkunde bejahen. Das stünde im Widerspruch zu § 364 ZPO.

 

Aus diesem Grund durfte das Berufungsgericht das von der Klägerin vorgelegte Privatgutachten nicht ohne Zustimmung der Beklagten verwerten. Sein Verfahren leidet daher an einem Mangel iSv § 503 Z 2 ZPO.