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06.07.2011 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Zur Frage der Erfüllung der sechsmonatigen Wartezeit nach § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG (iVm § 106 Abs 2 leg cit) bei einem vorangehenden Beschäftigungsverhältnis iSd § 36 Abs 2 ArbVG

Der Kündigungs- und Entlassungsschutz nach §§ 105 und 106 ArbVG kommt ausschließlich den Arbeitnehmern iSd § 36 Abs 1 ArbVG zu; in die Berechnung der sechsmonatigen Wartezeit des § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG sind nur Zeiten einzubeziehen, in denen der Arbeitnehmer als Arbeitnehmer iSd § 36 Abs 1 ArbVG beschäftigt war; für vertretungsbefugte Organmitglieder einer juristischen Person oder leitende Angestellte iSd § 36 Abs 2 ArbVG beginnt mit dem Wegfall ihrer Ausnahmestellung die sechsmonatige Wartezeit neu zu laufen


Schlagworte: Arbeitsverfassungsrecht, Kündigungsanfechtung wegen Sozialwidrigkeit, sechsmonatige Wartezeit, Arbeitnehmer, leitender Angestellter, Organmitglied einer juristischen Person
Gesetze:

§ 105 Abs 3 Z 2 ArbVG, § 36 ArbVG

GZ 8 ObA 28/11t [1], 25.05.2011

 

OGH: Der Kläger steht auf dem Standpunkt, dass für die Inanspruchnahme des (hier) Entlassungsschutzes nach § 106 Abs 2 iVm § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG eine sechsmonatige Beschäftigung im Betrieb (gleichgültig in welcher Funktion) sowie das Vorliegen der Arbeitnehmereigenschaft iSd § 36 Abs 1 ArbVG allein im Zeitpunkt der Entlassung genügten. Es sei nicht erforderlich, dass der Anfechtende im Zeitpunkt der Entlassung sechs Monate lang als Arbeitnehmer iSd § 36 Abs 1 ArbVG beschäftigt gewesen sei.

 

In der Rsp ist anerkannt, dass für den II. Teil des ArbVG, der die gesetzliche Betriebsverfassung behandelt, nicht der allgemeine Arbeitnehmerbegriff iSd § 1151 ABGB, sondern der besondere Arbeitnehmerbegriff des § 36 ArbVG maßgebend ist. Der auf diese Weise definierte personelle Geltungsbereich des II. Teils des ArbVG bildet die Grenze für den allgemeinen Kündigungs- und Entlassungsschutz. Vertretungsbefugte Organmitglieder einer juristischen Person sowie leitende Angestellte (§ 36 Abs 2 Z 1 und 3 ArbVG) sind daher nicht zur Kündigungs- bzw Entlassungsanfechtung gem §§ 105 f ArbVG berechtigt.

 

In der Revision führt der Kläger zur Sechsmonatsfrist nach § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG selbst aus, dass „der Arbeitnehmer“ bereits sechs Monate im Betrieb oder Unternehmen, dem der Betrieb angehört, beschäftigt sein muss, um die Beendigung des Dienstverhältnisses durch den Dienstgeber wegen Sozialwidrigkeit anfechten zu können. Der Wortlaut, auf den sich der Kläger beruft, verknüpft die Sechsmonatsfrist mit der Arbeitnehmereigenschaft. Daraus ist eindeutig abzuleiten, dass in die Berechnung der Sechsmonatsfrist nur Zeiten einzubeziehen sind, in denen der Arbeitnehmer als Arbeitnehmer iSd § 36 ArbVG beschäftigt war. Zeiten der Beschäftigung als vertretungsbefugtes Organmitglied oder leitender Angestellter sind hingegen nicht zu berücksichtigen.

 

In der Rsp ist weiters anerkannt, dass der Kündigungs- und Entlassungsschutz nur einem Arbeitnehmer zukommt, der seit wenigstens sechs Monaten im Unternehmen beschäftigt ist, sowie dass es sich bei der Sechsmonatsfrist um eine Wartezeit handelt. Die Wendung „seit sechs Monaten“ spricht eindeutig für einen andauernden Zustand. Da nur Zeiten als Arbeitnehmer iSd § 36 Abs 1 ArbVG Berücksichtigung finden können, muss die Wartezeit mit solchen Beschäftigungszeiten ausgefüllt sein. Die hier relevante besondere Arbeitnehmereigenschaft muss demnach während der gesamten Wartezeit und - entgegen der Ansicht des Klägers - nicht nur im Zeitpunkt der Kündigung oder Entlassung bestehen.

 

Der an die Innehabung eines Arbeitsplatzes anknüpfende Kündigungs- und Entlassungsschutz soll einem Arbeitnehmer erst nach einer bestimmten Mindestdauer zur Verfügung stehen. Schutzwürdig ist nur der „einfache Arbeitnehmer“. Nach dem Zweck der in Rede stehenden sozialen Schutzbestimmung verliert ein Arbeitnehmer, der auf die Arbeitgeberseite wechselt, die betriebsverfassungsgesetzliche Schutzwürdigkeit und scheidet daher aus dem Kündigungs- und Entlassungsschutz aus. In diesem Fall ist es nur konsequent, dass der Arbeitnehmer, der zum Organ einer juristischen Person oder zum leitenden Angestellten bestellt wurde, nicht auf frühere Zeiten als „einfacher Arbeitnehmer“ zurückgreifen kann. Für solche Personen beginnt daher nach dem allfälligen Wegfall ihrer Ausnahmestellung die sechsmonatige Wartezeit neu zu laufen.

 

Der VwGH hat in seiner Entscheidung vom 13. 1. 1988, 85/01/0219, im gegebenen Zusammenhang ausgesprochen, dass Zeiten, in denen eine Person nicht als Arbeitnehmer iSd II. Teils des ArbVG anzusehen ist, nicht in die Sechsmonatsfrist des § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG einzurechnen seien, sowie dass eine bereits zur Zeit des Ausspruchs der Kündigung ununterbrochen andauernde Arbeitnehmereigenschaft iSd § 36 Abs 1 ArbVG Tatbestandsvoraussetzung des Kündigungsschutzes sei. Dieses Ergebnis stimmt mit der vom erkennenden Senat vertretenen Auffassung überein.