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27.07.2011 Zivilrecht

OGH: Verbandsklage gem § 28 KSchG iZm Konto-/Depotvertrag für Privatkunden – Haftungsbeschränkungen einer Bank

Zwar wird eine Beschränkung der Haftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit auch in AGB grundsätzlich als zulässig angesehen; die Auffassung, § 6 Abs 1 Z 9 KSchG lasse die Freizeichnung für leichte Fahrlässigkeit - auch über Personenschäden hinausgehend - ganz generell zu, ist jedoch abzulehnen


Schlagworte: Konsumentenschutzrecht, Verbandsklage, Haftungsbeschränkung, leichte Fahrlässigkeit, Transparenzgebot, Kreditinstitut
Gesetze:

§ 28 KSchG, § 6 Abs 1 Z 9 KSchG, § 6 Abs 3 KSchG

GZ 5 Ob 42/11d [1], 07.06.2011

 

Die Beklagte betreibt das Bankgeschäft und bietet ihre Leistungen im gesamten Bundesgebiet an. Dabei tritt sie laufend mit Verbrauchern in rechtsgeschäftlichen Kontakt. Die Klägerin forderte die Beklagte auf, die Verwendung der nachfolgenden, in dem von ihr einseitig vorformulierten „Konto-/Depotvertrag für Privatkunden“ idF 03-09 in Punkt 5. enthaltenen Klausel sowie sinngleiche Klauseln im rechtsgeschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern zu unterlassen und eine Unterlassungserklärung abzugeben:

 

„Haftungsbeschränkungen: Die Haftung der Bank ist zudem bei leichter Fahrlässigkeit in folgenden Fällen ausgeschlossen: Verzögerungen, Nicht- oder Fehldurchführung von Aufträgen, insbesondere infolge Zweifels an der Identität des Auftraggebers sowie nicht eindeutig formulierten, unvollständigen oder fehlerhaft erteilten Aufträgen; Störungen der und unberechtigte Eingriffe in die zur Auftragsentgegennahme und Weiterleitung verwendeten Kommunikationsmittel/-wege (bei Störungen ist der Kunde verpflichtet, sämtliche andere mögliche Kommunikationsmittel/-wege auszuschöpfen); Systemstörungen und unberechtigte Eingriffe bei der Bank oder bei den zur Durchführung des Auftrages von der Bank benutzten Unternehmen; erfolgte Sperren und Zugriffsbeschränkungen; verspätet, fehlerhaft oder nicht zur Verfügung gestellte Informationen, Kurse, Stück/Kennzahlen; Stammdaten oder Research-Daten; verspätete, fehlerhaft oder nicht erteilte Informationen über Auftragsdurchführungen und -stornierungen; fehlerhaft, verspätet oder nicht durchgeführte Zwangsverwertungen. Auch für andere Schäden, welcher Art und Ursache auch immer, insbesondere für entgangenen Gewinn, ist die Haftung der Bank für leichte Fahrlässigkeit ausgeschlossen.“

 

OGH: Vertragsbedingungen, die Schadenersatz für den Fall vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verursachung ausschließen, sind nach § 6 Abs 1 Z 9 KSchG unverbindlich. Zur Zulässigkeit von Haftungsfreizeichnungen eines Kreditinstituts für leicht fahrlässig verursachte Schäden hat der OGH bereits in der Entscheidung 4 Ob 179/02f Stellung genommen und die darin entwickelten Grundsätze in nachfolgenden Entscheidungen bekräftigt. Danach wird zwar eine Beschränkung der Haftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit auch in AGB grundsätzlich als zulässig angesehen, jedoch die Auffassung abgelehnt, § 6 Abs 1 Z 9 KSchG lasse die Freizeichnung für leichte Fahrlässigkeit - auch über Personenschäden hinausgehend - ganz generell zu.

 

Die Beklagte bestreitet diese Grundsätze nicht, sondern wendet sich mit ihrer Argumentation gegen die Beurteilung dieser Klausel als Einheit und meint, diese enthalte in ihrem ersten Satz eigenständige Haftungstatbestände, für die die Zulässigkeit eines Haftungsausschlusses für leichte Fahrlässigkeit gesondert geprüft werden müsse. Hinsichtlich der von der vorprozessualen Unterlassungserklärung nicht erfassten Tatbestände sei die Freizeichnung für leichte Fahrlässigkeit zulässig. Soweit die Tatbestände der Klausel von der Unterlassungserklärung erfasst worden seien, fehle es an der Wiederholungsgefahr.

 

Die Klägerin hat diese Klausel nicht nur im Hinblick auf § 6 Abs 1 Z 9 KSchG, sondern auch wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot beanstandet.

 

Nach § 6 Abs 3 KSchG ist eine in AGB oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung unwirksam, wenn sie unklar oder unverständlich abgefasst ist. Durch diese Bestimmung wurde die Vertragsklausel-RL 93/13/EWG umgesetzt und damit ausdrücklich das sog Transparenzgebot für Verbrauchergeschäfte normiert. Sie soll eine durchschaubare, möglichst klare und verständliche Formulierung der AGB sicherstellen, um zu verhindern, dass der für die jeweilige Vertragsart typische Verbraucher von der Durchsetzung seiner Rechte abgehalten wird oder ihm unberechtigt Pflichten abverlangt werden, ohne dass er sich zur Wehr setzt, oder dass er über Rechtsfolgen getäuscht oder ihm ein unzutreffendes oder unklares Bild seiner vertraglichen Position vermittelt wird. Mit dem Verbandsprozess soll nicht nur das Verbot von gesetzwidrigen Klauseln erreicht, sondern es sollen auch jene Klauseln beseitigt werden, die dem Verbraucher ein unzutreffendes oder auch nur unklares Bild seiner vertraglichen Position vermitteln. Maßstab für die (In-)Transparenz ist das Verständnis des für die jeweilige Vertragsart typischen „Durchschnittskunden“. Einzelwirkungen des Transparenzgebots sind das Gebot der Erkennbarkeit und Verständlichkeit, das Gebot, den anderen Vertragsteil auf bestimmte Rechtsfolgen hinzuweisen, das Bestimmtheitsgebot, das Gebot der Differenzierung, das Richtigkeitsgebot und das Gebot der Vollständigkeit. Die Auslegung der Klauseln hat dabei stets im „kundenfeindlichsten“ Sinn zu erfolgen.

 

Die inkriminierte Klausel enthält in ihrem ersten Satz die Aufzählung einer Vielzahl von Tatbeständen, für die die Haftung der Beklagten bei leichter Fahrlässigkeit ausgeschlossen sein soll, und erweitert diesen Haftungsausschluss in ihrem zweiten Satz auch auf andere Schäden, „welcher Art und Ursache auch immer“. Beide Sätze haben Fälle einer Haftungsfreizeichnung und damit denselben materiellen Regelungsbereich zum Gegenstand, wobei erst die Zusammenschau beider Sätze der Klausel deutlich macht, dass die Klausel letztlich auf die vollständige Haftungsfreizeichnung für leicht fahrlässig herbeigeführte Schäden abzielt und damit einen verpönten Zweck anstrebt.

 

Demgegenüber erweckt die Formulierung „... in folgenden Fällen ....“ in der Einleitung des ersten Satzes den Eindruck einer abschließenden Aufzählung von einzelnen Tatbeständen, für die die Haftung für leichte Fahrlässigkeit ausgeschlossen sein soll. Anders als nach dieser Eingangsformulierung zu erwarten wäre, schließt an die schon durch ihren Umfang verwirrend anmutende Aufzählung einzelner Pflichtverletzungen im zweiten Satz die generalklauselartige Erweiterung des Haftungsausschlusses zur umfassenden (und damit jedenfalls unzulässigen) Freizeichnung an. Für den in Wahrheit angestrebten generellen Haftungsausschluss bei leichter Fahrlässigkeit ist die Aufzählung von Einzeltatbeständen nicht erforderlich. Die Aneinanderreihung der - auch nach Einschätzung der Beklagten zum Großteil unzulässigen - Einzeltatbestände dient damit der Verschleierung des verpönten Zwecks dieser Bestimmung. Die beiden Sätze der Klausel stehen damit insoweit in einem inneren Zusammenhang, als sie gemeinsam den völligen Haftungsausschluss normieren, über den der erste Satz der Klausel hinwegtäuschen will. Damit wird auch durch den ersten Satz der Klausel ein unzutreffendes und unklares Bild vermittelt, sodass er mit dem Transparenzgebot des § 6 Abs 3 KSchG nicht in Einklang gebracht werden kann.