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27.07.2011 Zivilrecht

OGH: Herausgabe des Geschenks - stehen Ansprüche nach § 951 ABGB nur Pflichtteilsberechtigten oder auch testamentarischen und gesetzlichen Erben zu?

Auch der gesetzliche Erbe kann einen Pflichtteilsanspruch erheben und somit die Einrechnung von Schenkungen gem § 785 ABGB begehren; dies gilt auch für den testamentarischen Erben; nur dann, wenn sich bei einem Schenkungspflichtteil ergibt, dass dieser nicht aus dem Nachlass abgedeckt werden kann, ist der Beschenkte passiv klagslegitimiert


Schlagworte: Erbrecht, Herausgabe des Geschenks, Schenkungsanrechnung, Pflichtteil, Pflichtteilsberechtigter, testamentarischer / gesetzlicher Erbe
Gesetze:

§ 951 ABGB, § 785 ABGB

GZ 6 Ob 54/11a [1], 16.06.2011

 

OGH: § 951 Abs 1 ABGB sieht vor, dass dann, wenn bei der Bestimmung des Pflichtteils Schenkungen in Anschlag gebracht werden (§ 785 ABGB), der Nachlass aber zu dessen Deckung nicht ausreicht, der verkürzte Noterbe vom Beschenkten die Herausgabe des Geschenks zur Deckung des Fehlbetrags verlangen kann; der Beschenkte kann die Herausgabe durch Zahlung des Fehlbetrags abwenden. Auch der gesetzliche Erbe kann einen Pflichtteilsanspruch erheben und somit die Einrechnung von Schenkungen gem § 785 ABGB begehren; dies gilt auch für den testamentarischen Erben. § 951 ABGB artikuliert nämlich - neben §§ 783, 786 ABGB - den Grundsatz, dass der Pflichtteil weder durch Schenkung unter Lebenden noch durch letztwillige Verfügung geschmälert werden darf. §§ 785, 951 ABGB bezwecken, den übergangenen Noterben so zu stellen, wie er stünde, wenn die Schenkung unterblieben wäre; „In Anschlag Bringen“ einer Schenkung bedeutet die rechnerische Annahme, es wären noch alle Schenkungen im Nachlass.

 

Der Anspruch nach § 785 Abs 1 ABGB richtet sich dabei gegen den Nachlass oder den Erben, jener nach § 951 Abs 1 ABGB aber gegen den Beschenkten und greift erst ein, wenn mit § 785 ABGB nicht auszukommen ist. Nur dann, wenn sich bei einem Schenkungspflichtteil ergibt, dass dieser nicht aus dem Nachlass abgedeckt werden kann, ist der Beschenkte also passiv klagslegitimiert.

 

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen sind beide Streitteile testamentarische und je zur Hälfte erbantrittserklärte Erben nach ihrer Mutter; als Söhne der Erblasserin sind sie gem § 762 ABGB pflichtteilsberechtigt. Der überschuldete Nachlass wurde ihnen je zur Hälfte eingeantwortet.

 

Dass ein überschuldeter Nachlass ein Anwendungsfall des § 951 ABGB sein kann, entspricht der Rsp. Als pflichtteilsberechtigte Söhne haben die Streitteile Anspruch auf Berücksichtigung von Schenkungen nach §§ 785, 951 ABGB.

 

Die Vorinstanzen haben sich nicht mit den vom Kläger geltend gemachten Ansprüchen nach § 951 ABGB auseinandergesetzt; das Berufungsgericht hat dies mit einem Hinweis auf die Erklärung des Klägers begründet, er mache keine Pflichtteilsansprüche geltend. Allerdings wollte der Kläger mit dieser Erklärung - in Erwiderung entsprechenden Vorbringens des Beklagten - offensichtlich lediglich klarstellen, dass er nicht Noterbe, sondern Erbe ist. Seine Erklärung kann jedenfalls nicht als derart eindeutig dahin angesehen werden, dass er damit seinen ursprünglich geltend gemachten Anspruch nach § 951 ABGB fallen gelassen hätte.