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10.08.2011 Zivilrecht

OGH: Verspätete / mangelhafte Umsetzung der UVP-Richtlinie - Staatshaftung für Minderung des Liegenschaftswerts (iZm Unterlassung einer Umweltverträglichkeitsprüfung)?

Das Schutzgut Eigentum (iSd Begriffs „Sachgüter“ in Art 3 der UVP-Richtline) ist auf dessen Substanz zu begrenzen


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Staatshaftung, Amtshaftung, EU-Richtlinie, verspätete / mangelhafte Umsetzung, Unterlassung einer Umweltverträglichkeitsprüfung, Minderung des Liegenschaftswerts
Gesetze:

§ 1 AHG, §§ 1295 ff ABGB, Art 23 B-VG, Art 10 EG-V, UVP-G

GZ 1 Ob 17/11y [1], 21.07.2011

 

Die Klägerin begehrt 120.000 EUR an Minderung des Werts ihrer Liegenschaft durch den Fluglärm und die Feststellung der Haftung der beklagten Parteien für zukünftige Schäden aus der Unterlassung einer Umweltverträglichkeitsprüfung im Rahmen der Bewilligung des Ausbaus des Flughafens Wien-Schwechat gemäß dem Masterplan 2015 sowie aus der mangelnden Umsetzung der UVP-Richtlinie(n). Der in den letzten Jahren als Folge der massiven Vergrößerung und Umgestaltung des Flughafens gestiegene Fluglärm habe die Liegenschaft der Klägerin entwertet.

 

OGH: Nach der Rsp des EuGH sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, durch das Unterlassen einer Umweltverträglichkeitsprüfung entstandene Schäden zu ersetzen.

 

Die Klägerin macht Schadenersatzansprüche geltend, die sie auf Amtshaftung (den Organen beider Parteien angelastete Unterlassung einer Umweltverträglichkeitsprüfung) sowie auf Staatshaftung (verspätete und mangelhafte Umsetzung der UVP-Richtlinie[n] als Ursache für die erwähnte Unterlassung) stützt.

 

Die Entscheidung über diese Ansprüche, die jedenfalls nicht zur Gänze verjährt sind, hängt davon ab, ob die im Unionsrecht sowie im nationalen Recht festgelegte Pflicht der Behörden, eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen, den einzelnen von einem umweltrelevanten Vorhaben Betroffenen vor den geltend gemachten Schäden schützen soll. Dies ist bei der Forderung auf Ersatz der Minderung des Werts der Liegenschaft der Klägerin, die dem Zahlungsbegehren und auch dem Feststellungsbegehren zugrundeliegt, strittig. In Österreich wird zu diesem Punkt zum Teil die Meinung vertreten, dass Nachbarn in Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren nur insoweit geschützt sind, als sie durch das Vorhaben in ihrem Eigentum oder sonstigen dinglichen Rechten in deren Substanz, also nicht im bloßen Vermögen, beeinträchtigt werden. Eine bloße Wertminderung soll demnach nicht unter diesen Eigentumsschutz fallen. Lediglich wenn die übliche Sachnutzung und/oder die Verwertbarkeit vollkommen ausgeschlossen ist, wird dies einer Substanzvernichtung gleichgehalten. Dies wird aber im konkreten Fall nicht behauptet.

 

Auch das vorlegende Gericht bevorzugt die Sichtweise, das Schutzgut Eigentum (iSd Begriffs „Sachgüter“ in Art 3 der UVP-Richtline) auf dessen Substanz zu begrenzen. Nach den Erwägungen zur UVP-Richtlinie in ihrer ursprünglichen Fassung sollen die Ziele der Gemeinschaft im Bereich des Schutzes der Umwelt und der Lebensqualität verwirklicht und die Genehmigung für Projekte, bei denen mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, erst nach vorheriger Beurteilung der möglichen erheblichen Umweltauswirkungen ermöglicht werden. Die Umweltauswirkungen eines Projekts müssten daher mit Rücksicht auf folgende Bestrebungen beurteilt werden: die menschliche Gesundheit zu schützen, durch eine Verbesserung der Umweltbedingungen zur Lebensqualität beizutragen, für die Erhaltung der Artenvielfalt zu sorgen und die Reproduktionsfähigkeit des Ökosystems als Grundlage allen Lebens zu erhalten. Die Erwägungsgründe 1 und 2 zur Richtlinie 2003/35/EG stellen ebenfalls auf die Umwelt und die menschliche Gesundheit ab. Rein vermögensrechtliche Interessen werden nicht erwähnt.