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17.08.2011 Zivilrecht

OGH: Zur Anwendung des Gewährleistungsrechts beim Erwerb von Wertpapieren

Mängel des Unternehmens können auch beim Erwerb einer Minderheitsbeteiligung relevant sein; maßgebend ist dabei die Auslegung des konkreten Vertrags; es ist zu klären, wieweit der Anteilserwerb Risikogeschäft ist und wieweit die - vom Zustand des von der Gesellschaft betriebenen Unternehmens abhängige - Güte eines Anteils ausdrücklich oder stillschweigend zum Gegenstand des Geschäfts gemacht worden ist


Schlagworte: Gewährleistungsrecht, Wertpapiere, Erwerb
Gesetze:

§§ 922 ff ABGB

GZ 4 Ob 44/11s [1], 05.07.2011

 

OGH: Bei der Veräußerung von Gesellschaftsanteilen hat der Verkäufer jedenfalls dann für die ausdrücklich zugesagten oder gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften des von der Gesellschaft betriebenen Unternehmens Gewähr zu leisten, wenn damit in Wahrheit das Unternehmen selbst veräußert wird; das trifft zu, wenn die Veräußerung alle oder doch einen die Beherrschung sichernden Teil der Geschäftsanteile erfasst. Anders als nach wohl hRsp zum deutschen Recht sieht aber zumindest ein großer Teil der österreichischen Lehre die Gewährleistung nicht auf solche Fälle beschränkt; Mängel des Unternehmens können danach auch beim Erwerb einer Minderheitsbeteiligung relevant sein. Maßgebend ist dabei die Auslegung des konkreten Vertrags; es ist zu klären, wieweit der Anteilserwerb Risikogeschäft ist und wieweit die - vom Zustand des von der Gesellschaft betriebenen Unternehmens abhängige - Güte eines Anteils ausdrücklich oder stillschweigend zum Gegenstand des Geschäfts gemacht worden ist.

 

Im vorliegenden Fall stand das spekulative Element eindeutig im Vordergrund. Der Aktienkauf diente nicht dazu, einen beherrschenden oder wenigstens auf Minderheitsrechten beruhenden Einfluss auf die Gesellschaft zu erlangen; sein Zweck war vielmehr ausschließlich die Veranlagung und va die weit über das Übliche hinausgehende Vermehrung des Vermögens. Die Aktien wurden nicht an der Börse, sondern - offenbar ohne Vorliegen eines Emissionsprospekts - als „Geheimtipp“ auf einem „grauen“ Markt gehandelt.

 

Auf dieser Grundlage musste dem Kläger bewusst sein, dass er ein Risikogeschäft schloss, bei dem sowohl der mögliche Ertrag als auch der mögliche Verlust allein in seine Sphäre fallen würde. Ein vertraglich geschütztes Vertrauen auf eine bestimmte Güte der Aktien kommt unter diesen Umständen nicht in Betracht. Besondere Zusicherungen über die Eigenschaften des Unternehmens machte der Beklagte nicht. Zudem war er ebenfalls ein Privatanleger; der Kläger durfte daher nicht annehmen, der Beklagte verfüge über besondere Kenntnisse in Bezug auf den Zustand und die Aussichten des von der Gesellschaft betriebenen Unternehmens. Das schließt ein Vertrauen auf eine „stillschweigende“ Zusicherung besonderer Eigenschaften der Aktien und des von der Gesellschaft betriebenen Unternehmens aus. „Kursierende“ Erwartungen über einen Börsengang und dadurch zu erzielende Renditen sind typische Elemente spekulativer Geschäfte und führen nicht dazu, dass die diesbezügliche - konkrete - Eignung der Aktien zu deren „gewöhnlich“ vorausgesetzter Eigenschaft wird.

 

Sollte der Kläger auf unrichtige Angaben des Vermittlers vertraut haben, mag das Ansprüche diesem gegenüber begründen; Anhaltspunkte dafür, dass solche Angaben dem Beklagten zuzurechnen wären und daher zu ausdrücklich zugesicherten Eigenschaften der Aktien geführt hätten, sind dem festgestellten Sachverhalt nicht zu entnehmen.

 

Der Beklagte war daher aufgrund des Vertrags lediglich verpflichtet, dem Kläger Aktien der Schweizer Gesellschaft zu verschaffen, die - ebenso wie andere Wertpapiere, die auf „grauen“ Märkten gehandelt werden - abstrakt geeignet waren, auf steigende Kurse zu spekulieren. Diese Pflicht hat er erfüllt; für die konkrete Eignung der Aktien zur Erhaltung oder Vermehrung des Vermögens hat er nicht einzustehen. Der Kläger kann sein Begehren daher nicht auf Gewährleistungsrecht stützen.