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07.09.2011 Zivilrecht

OGH: Verkehrssicherungspflicht

Verkehrssicherungspflichten werden eingehalten, wenn dem dem jeweiligen Stand der Technik geltenden Standard durch zumutbare Instandhaltungs- und Verbesserungsarbeiten entsprochen wird; die laufende Adaptierung an einen höchstmöglichen Sicherheitsstandard einer Anlage wird mangels entgegenstehender Vereinbarung nicht generell geschuldet


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Verkehrssicherungspflicht
Gesetze:

§§ 1295 ff ABGB

GZ 7 Ob 95/11p [1], 06.07.2011

 

OGH: Den Inhaber eines Geschäfts trifft gegenüber jener Person, die das Geschäft in Kaufabsicht betritt, die (vor-)vertragliche Pflicht, für die Sicherheit des Geschäftslokals zu sorgen. Der Geschäftsinhaber hat die seiner Verfügung unterliegenden Anlagen, die er den Kunden zur Benützung einräumt, in verkehrssicherem und gefahrlosem Zustand zu halten. Bei eintretenden Schäden ist er dafür beweispflichtig, nicht schuldhaft gehandelt zu haben. Der konkrete Inhalt einer Verkehrssicherungspflicht hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Entscheidend ist va, welche Maßnahmen zur Vermeidung einer Gefahr möglich und zumutbar sind. Eine Verkehrssicherungspflicht entfällt, wenn sich jeder selbst schützen kann, weil die Gefahr leicht (dh ohne genauere Betrachtung) erkennbar ist. Umfang und Intensität von Verkehrssicherungspflichten richten sich va danach, in welchem Maß die Verkehrsteilnehmer selbst vorhandene Gefahren erkennen und ihnen begegnen können. Die Verkehrssicherungspflicht findet ihre Grenzen in der Zumutbarkeit. Es sind nur jene Maßnahmen zu ergreifen, die nach der Verkehrsauffassung verlangt werden können. Ein darüber hinausgehendes Verlangen würde die Verkehrssicherungspflicht überspannen und letzten Endes auf eine vom Gesetz nicht vorgesehene, vom Verschulden unabhängige Haftung hinauslaufen. Auch die Benützer der zur Verfügung gestellten Einrichtungen sind zur Anwendung der verkehrsüblichen Aufmerksamkeit und bei Vorliegen besonderer Umstände zu erhöhter Aufmerksamkeit verpflichtet. Bei der Abgrenzung der aus einer vertraglichen Sonderverbindung entspringenden Schutz- und Sorgfaltspflichten sind die einschlägigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften und die von den Verwaltungsbehörden erteilten Bewilligungen bedeutsam. Durch diese werden im Einzelfall die Grenzen der verkehrsüblichen und vom Erwartungshorizont der Beteiligtenkreise als zumutbar umfassten Anforderungen aber nicht schlechthin abgesteckt, sondern es wird lediglich ein Mindeststandard der dem Verantwortlichen obliegenden Sicherheitsvorkehrungen umrissen. So kann zB den Hauseigentümer eine einmal erteilte Benützungsbewilligung nicht für alle Mal entschuldigen, sondern er hat die bauliche Sicherheit laufend zu überprüfen und die Baulichkeiten dem Ergebnis der Kontrolle entsprechend einwandfrei in Stand zu setzen und ganz allgemein den für die körperliche Sicherheit der Bewohner maßgeblichen, nach einschlägigen Gesetzen und anderen Vorschriften, aber auch nach dem jeweiligen Stand der Technik geltenden Mindeststandard durch ihm zumutbare Verbesserungsarbeiten einzuhalten. Dieser Mindeststandard ist herzustellen, sofern die Vorschriften die Sicherheitsanforderungen verschärfen. Verkehrssicherungspflichten werden eingehalten, wenn dem dem jeweiligen Stand der Technik geltenden Standard durch zumutbare Instandhaltungs- und Verbesserungsarbeiten entsprochen wird. Die laufende Adaptierung an einen höchstmöglichen Sicherheitsstandard einer Anlage wird mangels entgegenstehender Vereinbarung nicht generell geschuldet.

 

Im vorliegenden Fall steht fest, dass im Zeitpunkt des Vorfalls die Türanlagen im Geschäftslokal der Beklagten ohne Anbringen von Sensorleisten dem Stand der Technik und den geltenden Ö-Normen entsprachen und dass die bauliche Anordnung der Türen bis zum Zeitpunkt des Vorfalls Standard war. Dies bedeutet iSd dargelegten Rsp, dass es der Beklagten nicht als Verschulden anzurechnen ist, wenn sie nicht zusätzliche Maßnahmen, wie etwa das Anbringen von Sensorleisten, traf, zumal nicht durch (andere) Schadensereignisse bekannt war, dass der geltende Standard den Anforderungen des Lebens nicht mehr entsprach. Die laufende Adaptierung an einen höchstmöglichen Sicherheitsstandard wird - wie dargelegt - nicht generell geschuldet. Dabei ist auch zu bedenken, dass Sensorleisten keine Garantie für das Verhindern von Unfällen gegeben hätten, weil sie nicht „selbstüberwachend“ waren, also ein eigener Defekt unerkannt geblieben wäre. Vielmehr ist auf Grund der Feststellungen davon auszugehen, dass der durchschnittliche potentielle Kunde des Einkaufsmarkts der Beklagten den Ausgangsbereich deutlich erkennen und auch auf ein allfälliges Öffnen der Tür reagieren hätte können. Nach den Feststellungen kam der Kläger nur deshalb zu Fall, weil er sowohl zu 90 % sehbehindert als auch bewegungseingeschränkt war und jeder Aufenthalt im Freien, also außerhalb seiner gewohnten Umgebung, mit einem erhöhten Risiko verbunden war. Das Klagebegehren wurde daher vom Erstgericht zu Recht abgewiesen.